Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Uindersprache und Sprachgeschichte schätz auf dieser niedrigen Sprachstnfe steht. Das Kind ist nun in der glück¬ (Schluß folgt) Uindersprache und Sprachgeschichte schätz auf dieser niedrigen Sprachstnfe steht. Das Kind ist nun in der glück¬ (Schluß folgt) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234959"/> <fw type="header" place="top"> Uindersprache und Sprachgeschichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> schätz auf dieser niedrigen Sprachstnfe steht. Das Kind ist nun in der glück¬<lb/> lichen Lage, daß ihm unausgesetzt neuer Wortvorrat aus der Sprache der Er¬<lb/> wachsenen zuströmt. Zum Teil hilft es sich aber auch mit eignen Mitteln<lb/> heraus, und dieses Verfahren ist wieder lehrreich. Das Kind schreitet zu¬<lb/> nächst zur Wortzusammensetzung vor. Ein noch nicht zwei Jahre alter Knabe,<lb/> der bisher alles Bedeckende, Kopfbedeckungen so gut wie Kannendeckel, mit huta<lb/> bezeichnet hatte, schuf sich auf diesem Wege ein neues Wort, indem er eine<lb/> Pelzmütze aßhnta nannte; nß war der Name für seinen mit rauhem Fell be¬<lb/> kleideten Ziegenbock. Entsprechend bildete ein englischer Knabe, der alle Nahrung<lb/> mit ilium (mon) bezeichnet hatte, einen Namen für den Zucker: sbumum<lb/> (schumvm), sun war natürlich eine Verstümmlung des englischen su^r. Die<lb/> Ausdrucksweise ist unbeholfen aber verständlich, und vor allem zeigt sich darin<lb/> ein großer geistiger Fortschritt. Das Kind hatte eine begriffliche Unterscheidung<lb/> vorgenommen, und das Bedürfnis nach einem Ausdrucke dafür hatte zur<lb/> Wortzusammensetzung getrieben. Dasselbe Ausdrucksmittel haben wir für die<lb/> Ursprache in Anspruch zu nehmen. Dahin gehören nnter anderm die höchst<lb/> merkwürdigen jüngern Bildungen des Ägyptischen wie fernnah, altjung im<lb/> Sinne vou nahe und jung. Ein andres Mittel dagegen findet in der Kinder¬<lb/> sprache nur spärliche Verwendung, das der Bedeutuugsdifferenzieruug. Es<lb/> kommt in der Sprachgeschichte häufig vor, daß sich an zufällig eiugetretue<lb/> ländliche Verschiedenheit im Laufe der Zeit auch ein Bedeutuugsuuterschied<lb/> knüpft. Knabe und Knappe, Reiter und Ritter waren ursprünglich gleich¬<lb/> bedeutende Doppelformen. Der Lcintspaltung aber ist Bedeutungsspaltung ge¬<lb/> folgt. Dergleichen beobachten wir in der Kindersprache selten. Ein Beispiel<lb/> ist das eben angeführte aß; ein Freudenruf des Kindes, el, hatte sich in el<lb/> und eiz, weiter aze und aß gespalten, el blieb dann Ausruf der Freude, aß<lb/> wurde Name für den immer mit Freude begrüßten Ziegenbock und wurde später<lb/> von da auf manches andre übertragen. Um so weitere Ausdehnung wird aber<lb/> die Differenzierung in der Ursprache gehabt haben. Einen Beweis dafür<lb/> liefert wieder das Altägyptische. Hier waren z. B. die Wörter für decken und<lb/> aufdecken, binden und trennen, hören und taub sein lautlich nur ganz wenig<lb/> verschieden. Es hatte sich offenbar jedesmal die eine Wortform ans der andern<lb/> durch bloßen Lautwandel gebildet, und dann war die ländliche Verschiedenheit<lb/> benutzt worden, um die bis dahin gleich benannten Gegensätze besonders zu<lb/> bezeichnen. Daß es sich bei diesem Vorgange um nichts Plötzliches und nichts<lb/> Beabsichtigtes handelt, daß sich die eine Bedeutung nur zufällig mehr mit dieser,<lb/> die andre mehr mit jener Wortform verbindet und dann Umdeutung eintritt,<lb/> die zu völliger Trennung führt, bedarf wohl keiner besondern Bemerkung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1249"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0429]
Uindersprache und Sprachgeschichte
schätz auf dieser niedrigen Sprachstnfe steht. Das Kind ist nun in der glück¬
lichen Lage, daß ihm unausgesetzt neuer Wortvorrat aus der Sprache der Er¬
wachsenen zuströmt. Zum Teil hilft es sich aber auch mit eignen Mitteln
heraus, und dieses Verfahren ist wieder lehrreich. Das Kind schreitet zu¬
nächst zur Wortzusammensetzung vor. Ein noch nicht zwei Jahre alter Knabe,
der bisher alles Bedeckende, Kopfbedeckungen so gut wie Kannendeckel, mit huta
bezeichnet hatte, schuf sich auf diesem Wege ein neues Wort, indem er eine
Pelzmütze aßhnta nannte; nß war der Name für seinen mit rauhem Fell be¬
kleideten Ziegenbock. Entsprechend bildete ein englischer Knabe, der alle Nahrung
mit ilium (mon) bezeichnet hatte, einen Namen für den Zucker: sbumum
(schumvm), sun war natürlich eine Verstümmlung des englischen su^r. Die
Ausdrucksweise ist unbeholfen aber verständlich, und vor allem zeigt sich darin
ein großer geistiger Fortschritt. Das Kind hatte eine begriffliche Unterscheidung
vorgenommen, und das Bedürfnis nach einem Ausdrucke dafür hatte zur
Wortzusammensetzung getrieben. Dasselbe Ausdrucksmittel haben wir für die
Ursprache in Anspruch zu nehmen. Dahin gehören nnter anderm die höchst
merkwürdigen jüngern Bildungen des Ägyptischen wie fernnah, altjung im
Sinne vou nahe und jung. Ein andres Mittel dagegen findet in der Kinder¬
sprache nur spärliche Verwendung, das der Bedeutuugsdifferenzieruug. Es
kommt in der Sprachgeschichte häufig vor, daß sich an zufällig eiugetretue
ländliche Verschiedenheit im Laufe der Zeit auch ein Bedeutuugsuuterschied
knüpft. Knabe und Knappe, Reiter und Ritter waren ursprünglich gleich¬
bedeutende Doppelformen. Der Lcintspaltung aber ist Bedeutungsspaltung ge¬
folgt. Dergleichen beobachten wir in der Kindersprache selten. Ein Beispiel
ist das eben angeführte aß; ein Freudenruf des Kindes, el, hatte sich in el
und eiz, weiter aze und aß gespalten, el blieb dann Ausruf der Freude, aß
wurde Name für den immer mit Freude begrüßten Ziegenbock und wurde später
von da auf manches andre übertragen. Um so weitere Ausdehnung wird aber
die Differenzierung in der Ursprache gehabt haben. Einen Beweis dafür
liefert wieder das Altägyptische. Hier waren z. B. die Wörter für decken und
aufdecken, binden und trennen, hören und taub sein lautlich nur ganz wenig
verschieden. Es hatte sich offenbar jedesmal die eine Wortform ans der andern
durch bloßen Lautwandel gebildet, und dann war die ländliche Verschiedenheit
benutzt worden, um die bis dahin gleich benannten Gegensätze besonders zu
bezeichnen. Daß es sich bei diesem Vorgange um nichts Plötzliches und nichts
Beabsichtigtes handelt, daß sich die eine Bedeutung nur zufällig mehr mit dieser,
die andre mehr mit jener Wortform verbindet und dann Umdeutung eintritt,
die zu völliger Trennung führt, bedarf wohl keiner besondern Bemerkung.
(Schluß folgt)
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