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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Satiren des Horaz im Lichte des moderne" italienischen Lebens

die Zeitgenossen des Horaz sind es auch, wenn sie nicht etwa "die Hitze fliegend
überfällt," Dein Schwätzer gegenüber wird Horaz zwar zuweilen etwas deutlich,
aber niemals grob, mit vornehmer Gelassenheit nimmt Mäcenas die Albern¬
heiten des Protzen Nasidienus hin, und auch seine Genossen maskieren den
wirklichen Grund ihres unbezähmbaren Gelächters dadurch, daß sie sich harm¬
lose witzige Geschichtchen erzählen, über die sie dann lachen können, ohne die
Höflichkeit außer Augen zu setzen.

Wer selbst soviel Wert auf die eigne Erscheinung, das eigne Auftreten
legt, der wird auch geneigt sein, die Persönlichkeit des andern zu achten.
Wohl wollen die Römer zur Zeit des Horaz nur von vornehmen Männern
regiert sein, und von Emporkömmlingen niedern Standes wollen sie nichts
wissen;^') sie beneiden deshalb auch den Horaz um seiner vornehmen Ver¬
bindungen willen.''") Aber in ihren gesellschaftlichen Gewohnheiten huldigen
sie sehr demokratischen Grundsätzen. Mäcenas selbst, obwohl von hohem
etruskischen Adel ans Arretimn (Arrezzo), legt bei der Auswahl seiner Um¬
gebung auf Standesunterschiede gar keinen Wert; er zieht den Horaz in seinen
Kreis, obwohl dieser nur der Sohn eines Freigelassenen und kleinen Beamten
ist,und verschmäht es nicht, bei dem Parvenu Nasidienus zu speisen, ja einige
uinbras seines Umgangs zu würdigen.'^) Horaz wieder nimmt es ruhig hin,
als ein Possenreißer zu ihm sagt: "Du bist nichts Besseres als ich und
vielleicht was Schlechteres."^) Auch zu den Sklaven, wenigstens zu denen
des Hauses, stehn die Herren in einem freundlichen Verhältnis, obwohl es
nicht an Beispielen harter Behandlung fehlt.") Daß der Sklave seinen ein¬
fältig verliebten jungen Herrn init überlegner Lebensweisheit zur Vernunft
mahnt, ^°) ist ein echter Zug der Komödie, und wenn Horaz auf seinem
Sabinum sich um eignen .Herde so recht behaglich fühlt, so füttert er seine
"dreisten Sklaven" mit den Überbleibseln seines einfachen Mahls/"') jn er läßt
sich von dem Sklaven Davus an den Saturnalien im eignen Hause schnöde
Wahrheiten sagen/") so gut wie von dem neubacknen Stoiker Damasippus,
den er weiter gnr nicht kennt. ^) Denn an diesem Feste herrschte Masken-
und Redefreiheit, etwa wie beim Karneval. Schon dieser übermütige Brauch
wurde bezeugen, daß die modernen Italiener ähnlichen demokratischen An¬
schauungen huldigen, denn die Maske macht alle Stände gleich. Aber auch
sonst tritt das im Verkehr hervor. So schroff die Vermögensunterschiede
sind, der Italiener niedern Standes ist niemals devot und knechtisch, wie z. B.
der Russe, und der Vornehme begegnet ihm nicht hochfahrend, sondern achtungs¬
voll und höflich; beide sehen in dem andern den Menschen, nicht nur den
Bettler oder den Principe. Auch der einfachste Maun aus dem Volke weiß
sich eben in solchem Falle zu benehmen. Garibaldi, der eigentliche Nntional-
held des modernen Italiens, dessen Gestalt schon von dem Schleier der Sage
umwoben ist, war von Gelmrt und Erziehung gewiß kein vornehmer Herr,
sondern ein einfacher Schiffer, ohne alle wissenschaftliche Bildung, aber er
hatte die Manieren eines Aristokraten und imponierte dadurch selbst einem so


Die Satiren des Horaz im Lichte des moderne» italienischen Lebens

die Zeitgenossen des Horaz sind es auch, wenn sie nicht etwa „die Hitze fliegend
überfällt," Dein Schwätzer gegenüber wird Horaz zwar zuweilen etwas deutlich,
aber niemals grob, mit vornehmer Gelassenheit nimmt Mäcenas die Albern¬
heiten des Protzen Nasidienus hin, und auch seine Genossen maskieren den
wirklichen Grund ihres unbezähmbaren Gelächters dadurch, daß sie sich harm¬
lose witzige Geschichtchen erzählen, über die sie dann lachen können, ohne die
Höflichkeit außer Augen zu setzen.

Wer selbst soviel Wert auf die eigne Erscheinung, das eigne Auftreten
legt, der wird auch geneigt sein, die Persönlichkeit des andern zu achten.
Wohl wollen die Römer zur Zeit des Horaz nur von vornehmen Männern
regiert sein, und von Emporkömmlingen niedern Standes wollen sie nichts
wissen;^') sie beneiden deshalb auch den Horaz um seiner vornehmen Ver¬
bindungen willen.''") Aber in ihren gesellschaftlichen Gewohnheiten huldigen
sie sehr demokratischen Grundsätzen. Mäcenas selbst, obwohl von hohem
etruskischen Adel ans Arretimn (Arrezzo), legt bei der Auswahl seiner Um¬
gebung auf Standesunterschiede gar keinen Wert; er zieht den Horaz in seinen
Kreis, obwohl dieser nur der Sohn eines Freigelassenen und kleinen Beamten
ist,und verschmäht es nicht, bei dem Parvenu Nasidienus zu speisen, ja einige
uinbras seines Umgangs zu würdigen.'^) Horaz wieder nimmt es ruhig hin,
als ein Possenreißer zu ihm sagt: „Du bist nichts Besseres als ich und
vielleicht was Schlechteres."^) Auch zu den Sklaven, wenigstens zu denen
des Hauses, stehn die Herren in einem freundlichen Verhältnis, obwohl es
nicht an Beispielen harter Behandlung fehlt.") Daß der Sklave seinen ein¬
fältig verliebten jungen Herrn init überlegner Lebensweisheit zur Vernunft
mahnt, ^°) ist ein echter Zug der Komödie, und wenn Horaz auf seinem
Sabinum sich um eignen .Herde so recht behaglich fühlt, so füttert er seine
„dreisten Sklaven" mit den Überbleibseln seines einfachen Mahls/"') jn er läßt
sich von dem Sklaven Davus an den Saturnalien im eignen Hause schnöde
Wahrheiten sagen/") so gut wie von dem neubacknen Stoiker Damasippus,
den er weiter gnr nicht kennt. ^) Denn an diesem Feste herrschte Masken-
und Redefreiheit, etwa wie beim Karneval. Schon dieser übermütige Brauch
wurde bezeugen, daß die modernen Italiener ähnlichen demokratischen An¬
schauungen huldigen, denn die Maske macht alle Stände gleich. Aber auch
sonst tritt das im Verkehr hervor. So schroff die Vermögensunterschiede
sind, der Italiener niedern Standes ist niemals devot und knechtisch, wie z. B.
der Russe, und der Vornehme begegnet ihm nicht hochfahrend, sondern achtungs¬
voll und höflich; beide sehen in dem andern den Menschen, nicht nur den
Bettler oder den Principe. Auch der einfachste Maun aus dem Volke weiß
sich eben in solchem Falle zu benehmen. Garibaldi, der eigentliche Nntional-
held des modernen Italiens, dessen Gestalt schon von dem Schleier der Sage
umwoben ist, war von Gelmrt und Erziehung gewiß kein vornehmer Herr,
sondern ein einfacher Schiffer, ohne alle wissenschaftliche Bildung, aber er
hatte die Manieren eines Aristokraten und imponierte dadurch selbst einem so


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[0419] Die Satiren des Horaz im Lichte des moderne» italienischen Lebens die Zeitgenossen des Horaz sind es auch, wenn sie nicht etwa „die Hitze fliegend überfällt," Dein Schwätzer gegenüber wird Horaz zwar zuweilen etwas deutlich, aber niemals grob, mit vornehmer Gelassenheit nimmt Mäcenas die Albern¬ heiten des Protzen Nasidienus hin, und auch seine Genossen maskieren den wirklichen Grund ihres unbezähmbaren Gelächters dadurch, daß sie sich harm¬ lose witzige Geschichtchen erzählen, über die sie dann lachen können, ohne die Höflichkeit außer Augen zu setzen. Wer selbst soviel Wert auf die eigne Erscheinung, das eigne Auftreten legt, der wird auch geneigt sein, die Persönlichkeit des andern zu achten. Wohl wollen die Römer zur Zeit des Horaz nur von vornehmen Männern regiert sein, und von Emporkömmlingen niedern Standes wollen sie nichts wissen;^') sie beneiden deshalb auch den Horaz um seiner vornehmen Ver¬ bindungen willen.''") Aber in ihren gesellschaftlichen Gewohnheiten huldigen sie sehr demokratischen Grundsätzen. Mäcenas selbst, obwohl von hohem etruskischen Adel ans Arretimn (Arrezzo), legt bei der Auswahl seiner Um¬ gebung auf Standesunterschiede gar keinen Wert; er zieht den Horaz in seinen Kreis, obwohl dieser nur der Sohn eines Freigelassenen und kleinen Beamten ist,und verschmäht es nicht, bei dem Parvenu Nasidienus zu speisen, ja einige uinbras seines Umgangs zu würdigen.'^) Horaz wieder nimmt es ruhig hin, als ein Possenreißer zu ihm sagt: „Du bist nichts Besseres als ich und vielleicht was Schlechteres."^) Auch zu den Sklaven, wenigstens zu denen des Hauses, stehn die Herren in einem freundlichen Verhältnis, obwohl es nicht an Beispielen harter Behandlung fehlt.") Daß der Sklave seinen ein¬ fältig verliebten jungen Herrn init überlegner Lebensweisheit zur Vernunft mahnt, ^°) ist ein echter Zug der Komödie, und wenn Horaz auf seinem Sabinum sich um eignen .Herde so recht behaglich fühlt, so füttert er seine „dreisten Sklaven" mit den Überbleibseln seines einfachen Mahls/"') jn er läßt sich von dem Sklaven Davus an den Saturnalien im eignen Hause schnöde Wahrheiten sagen/") so gut wie von dem neubacknen Stoiker Damasippus, den er weiter gnr nicht kennt. ^) Denn an diesem Feste herrschte Masken- und Redefreiheit, etwa wie beim Karneval. Schon dieser übermütige Brauch wurde bezeugen, daß die modernen Italiener ähnlichen demokratischen An¬ schauungen huldigen, denn die Maske macht alle Stände gleich. Aber auch sonst tritt das im Verkehr hervor. So schroff die Vermögensunterschiede sind, der Italiener niedern Standes ist niemals devot und knechtisch, wie z. B. der Russe, und der Vornehme begegnet ihm nicht hochfahrend, sondern achtungs¬ voll und höflich; beide sehen in dem andern den Menschen, nicht nur den Bettler oder den Principe. Auch der einfachste Maun aus dem Volke weiß sich eben in solchem Falle zu benehmen. Garibaldi, der eigentliche Nntional- held des modernen Italiens, dessen Gestalt schon von dem Schleier der Sage umwoben ist, war von Gelmrt und Erziehung gewiß kein vornehmer Herr, sondern ein einfacher Schiffer, ohne alle wissenschaftliche Bildung, aber er hatte die Manieren eines Aristokraten und imponierte dadurch selbst einem so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/419>, abgerufen am 22.07.2024.