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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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andre von Genzsch und Heyse in Hamburgs die sich viel schlechter liest, nicht
nur weil die Lettern schmächtiger und schmäler sind, sondern namentlich auch,
weil einzelne Buchstaben (F, G, I) zu wenig Körper und Ecken haben. Was
nützt aber die schönste Schrift, wenn die Ähnlichkeit der Buchstabenbilder das
Lesen zu einer Mühe macht! Es wäre verfrüht, anzunehmen, daß die Buch¬
ausstattung mit der auf unsern Beilagen zur Anschauung kommenden Art ihren
Höhepunkt erreicht hätte, sagt der Bericht. Wir meinen sogar, wenn das der
Höhepunkt wäre, so hätte sich das Anfangen nicht gelohnt, denn durch das
Alte und Vorhandne war entschieden für unser Bedürfnis besser gesorgt. Die
Hauptsache bei jeder Druckschrift muß ihre Lesbarkeit sein; für das unleserliehe
Schöne sind ja die Plakate da.

Außer der Schrift kommt für den Leser, dem das Buch kein bloßer Luxus¬
gegenstand ist, der Drucksatz in Frage. Wenn dieser nachlässig und lückenhaft
weiße Flecken über die Buchseiten hinsprenkelt, so wird er das ebenso wie der
typographische Künstler als Schönheitsfehler empfinden; wenn sich aber Zeile
an Zeile reiht ohne Unterbrechung, damit ein gleichmäßiges Seitenbild ge¬
wonnen wird, so muß das ihm vorkommen, wie wenn ein Mensch ohne Pause
spricht. Die gut disponierte Rede macht Gedcmkengruppcn, die sich von ein¬
ander abheben, und dieser logischen Notwendigkeit typographischer Ausdruck
ist das Alinea, das der Leser als eine Erleichterung empfindet. Zeilen¬
füllungen aber bei Einzügen und Ausgängen der Absätze durch Schnörkel und
Ornamente, die der Bericht des Jahrbuchs Seite 162 für eine gelungne Lösung
der Forderung hält, daß eine Vuchseite keine Lücken aufweisen soll, kann er
nur als künstlerische Schrullen ansehen, die den Vorteil des Alinea wieder
aufheben, und die dadurch nicht an Berechtigung gewinnen, daß man sie schon
in frühern Zeiten angewandt hat. Ebenso verhält es sich mit dem Buchtitel.
Seine Bestimmung ist, in möglichster Kürze eine klare und leicht aufnehmbare
Vorstellung von dem Inhalt eines Buchs zu geben, darum ließ man bisher
die einzelnen Zeilen von verschiednen Kraftwert frei auf der Papierflüche
"schweben," und man fand die ausführlichen, einer gefüllten Buchseite ähn¬
lichen Buchtitel älterer Zeiten komisch. Jetzt kommt man wieder dahin, wo
die Buchdrucker vor Jahrhunderten standen: Zeilen von möglichst gleichem
Schriftcharakter werden zu Gruppen zusammengerückt und füllen als recht¬
winklige Figuren oder als Dreiecke einen bestimmten Raum. Der Bericht¬
erstatter des Jahrbuchs hat darüber einen vortrefflichen Artikel: Die moderne
typographische Kleinkunst, der durch treffende Abbildungen erläutert ist. Wir
meinen, bei Tischkarten, Geschäftsempfehlungen, Glückwunschadressen, Miniatur¬
plakaten und derlei Aufgaben des Accidenzsatzes kann man an diesen antiqua¬
rischen Spielereien seine Freude haben, aber die Titelblätter von wirklichen
Büchern sind dafür kein geeigneter Tummelplatz, denn alles in allem: ein Buch
mag in seiner äußern Erscheinung ein Kunstwerk sein oder werden, aber nur
soweit sich das mit seiner ernsten Bestimmung verträgt und seine Brauch¬
barkeit nicht vermindert, sonst wird es ein Spielwerk.


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andre von Genzsch und Heyse in Hamburgs die sich viel schlechter liest, nicht
nur weil die Lettern schmächtiger und schmäler sind, sondern namentlich auch,
weil einzelne Buchstaben (F, G, I) zu wenig Körper und Ecken haben. Was
nützt aber die schönste Schrift, wenn die Ähnlichkeit der Buchstabenbilder das
Lesen zu einer Mühe macht! Es wäre verfrüht, anzunehmen, daß die Buch¬
ausstattung mit der auf unsern Beilagen zur Anschauung kommenden Art ihren
Höhepunkt erreicht hätte, sagt der Bericht. Wir meinen sogar, wenn das der
Höhepunkt wäre, so hätte sich das Anfangen nicht gelohnt, denn durch das
Alte und Vorhandne war entschieden für unser Bedürfnis besser gesorgt. Die
Hauptsache bei jeder Druckschrift muß ihre Lesbarkeit sein; für das unleserliehe
Schöne sind ja die Plakate da.

Außer der Schrift kommt für den Leser, dem das Buch kein bloßer Luxus¬
gegenstand ist, der Drucksatz in Frage. Wenn dieser nachlässig und lückenhaft
weiße Flecken über die Buchseiten hinsprenkelt, so wird er das ebenso wie der
typographische Künstler als Schönheitsfehler empfinden; wenn sich aber Zeile
an Zeile reiht ohne Unterbrechung, damit ein gleichmäßiges Seitenbild ge¬
wonnen wird, so muß das ihm vorkommen, wie wenn ein Mensch ohne Pause
spricht. Die gut disponierte Rede macht Gedcmkengruppcn, die sich von ein¬
ander abheben, und dieser logischen Notwendigkeit typographischer Ausdruck
ist das Alinea, das der Leser als eine Erleichterung empfindet. Zeilen¬
füllungen aber bei Einzügen und Ausgängen der Absätze durch Schnörkel und
Ornamente, die der Bericht des Jahrbuchs Seite 162 für eine gelungne Lösung
der Forderung hält, daß eine Vuchseite keine Lücken aufweisen soll, kann er
nur als künstlerische Schrullen ansehen, die den Vorteil des Alinea wieder
aufheben, und die dadurch nicht an Berechtigung gewinnen, daß man sie schon
in frühern Zeiten angewandt hat. Ebenso verhält es sich mit dem Buchtitel.
Seine Bestimmung ist, in möglichster Kürze eine klare und leicht aufnehmbare
Vorstellung von dem Inhalt eines Buchs zu geben, darum ließ man bisher
die einzelnen Zeilen von verschiednen Kraftwert frei auf der Papierflüche
„schweben," und man fand die ausführlichen, einer gefüllten Buchseite ähn¬
lichen Buchtitel älterer Zeiten komisch. Jetzt kommt man wieder dahin, wo
die Buchdrucker vor Jahrhunderten standen: Zeilen von möglichst gleichem
Schriftcharakter werden zu Gruppen zusammengerückt und füllen als recht¬
winklige Figuren oder als Dreiecke einen bestimmten Raum. Der Bericht¬
erstatter des Jahrbuchs hat darüber einen vortrefflichen Artikel: Die moderne
typographische Kleinkunst, der durch treffende Abbildungen erläutert ist. Wir
meinen, bei Tischkarten, Geschäftsempfehlungen, Glückwunschadressen, Miniatur¬
plakaten und derlei Aufgaben des Accidenzsatzes kann man an diesen antiqua¬
rischen Spielereien seine Freude haben, aber die Titelblätter von wirklichen
Büchern sind dafür kein geeigneter Tummelplatz, denn alles in allem: ein Buch
mag in seiner äußern Erscheinung ein Kunstwerk sein oder werden, aber nur
soweit sich das mit seiner ernsten Bestimmung verträgt und seine Brauch¬
barkeit nicht vermindert, sonst wird es ein Spielwerk.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/40>, abgerufen am 01.07.2024.