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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Lin Notschrei ans Bosnien und der Herzegowina

"Die orientalische Politik Österreichs seit 1774" veranlaßt sieht: "Soweit sich
die Tragweite der Oricntpolitik des Grafen Andrässh gegenwartig überblicken
läßt, ist dem österreichischen Staate keinerlei Vorteil aus derselben erwachsen,
und eine wcitcrblickende Staatsleitung würde durch andre Mittel den berech¬
tigten Interessen Österreichs im Oriente Rechnung getragen haben."

Zur Erreichung des gesteckte" hohen Ziels für Österreich war niemand
geeigneter als Herzog Wilhelm von Württemberg, der als erster Organisator
in das Land kam. Die Aufgabe war sehr groß, die ihm durch die chaotischen,
in vierhundertjähriger Mißwirtschaft völlig verkommnen Zustände des Landes
und die verwickelten Verhandlungen der neuen Negierung mit den Zentral¬
behörden erwachsen war. Im Lande selbst fehlten bis auf die fahrbaren
Straßen alle Einrichtungen, die als Basis eines modernen Kulturlebens un¬
erläßlich sind; überall waren Ruinen und Brandstätten, und was die Bevölke¬
rung betraf, so war der materiell und der Intelligenz nach bedeutendste Bruch¬
teil der Bevölkerung, der muhammedanische, feindlich gesinnt; der seiner Zahl
nach größte Bestandteil der Bewohnerschaft, das serbisch-orthodoxe Element,
sah wohl die Okkupation nicht ungern, stellte aber an das neue Regime die
unerfüllbare Forderung der Umwälzung der bestehenden, auf gesetzlicher Grund¬
lage ruhenden Agrarverhältniffe. Ein kleiner Bruchteil endlich, der römisch¬
katholische, erwartete von der katholischen Großmacht eine weitergehende Patro-
nisierung, als mit der Gerechtigkeit vereinbar war. Daß der zur Lösung seiner
Aufgabe von der Natur besonders begünstigte Herzog Wilhelm scheiterte, liegt
trotzdem weniger an den traurigen Zuständen des Landes, als an ünßern Ur¬
sachen. Vor allem an der Unzulänglichkeit der Mittel, die Österreich für die
neugewonnenen, so weit zurückgebliebnen Gebiete aufwandte. Von Anfang an
wurde dem Herzog die möglichste Sparsamkeit empfohlen, die Notwendigkeit von
Aufwendungen und Darlehen zwar anerkannt, die Höhe etwaiger Zuschüsse aber
in keiner Weise festgestellt. Von vornherein war sich der Herzog klar über die
Notwendigkeit, ein Kataster als Vorbedingung für die Regelung der agrarischen
Verhältnisse aufzustellen, und er verlangte ein Programm für den systematischen
Ausbau der Straßen und der dauernden Truppeuuuterbriuguug, einen Eisen¬
bahnbau bis Sarajevo und die Vollendung der Bahn Sissck-Baujaluka, endlich
brachte er die Notwendigkeit einer hinreichenden Dotation für die Hebung des
Ackerbaus und des Schulwesens und für Gotteshäuser aller Konfessionen zur
Sprache. Allein das Katnsterprojekt ging verloren; bezüglich der Schulen, wobei
er mit gutem Grunde ans Jnterkonfessionalität drang, erhielt er erst nach
monatelangem Warten eine ausweichende Antwort. Als endlich des Herzogs
Klagen über die böhmische (Vcrzögernngs ^Kommission Gehör gefunden hatten,
und Baron Hofmann als Reichsfinanzminister die böhmischen Agenten in sein
Ressort erhalten hatte, war kaum viel gewonnen. Denn die Weisungen, die
Baron Hofmann von Anfang an empfing, gingen vor allem auf eine möglichst
regelmäßige und ausgiebige Eintreibung der bestehenden Steuern, sodann
dahin, daß die Administration, den Sicherheitsdienst einbegriffen, so wohlfeil


Lin Notschrei ans Bosnien und der Herzegowina

„Die orientalische Politik Österreichs seit 1774" veranlaßt sieht: „Soweit sich
die Tragweite der Oricntpolitik des Grafen Andrässh gegenwartig überblicken
läßt, ist dem österreichischen Staate keinerlei Vorteil aus derselben erwachsen,
und eine wcitcrblickende Staatsleitung würde durch andre Mittel den berech¬
tigten Interessen Österreichs im Oriente Rechnung getragen haben."

Zur Erreichung des gesteckte» hohen Ziels für Österreich war niemand
geeigneter als Herzog Wilhelm von Württemberg, der als erster Organisator
in das Land kam. Die Aufgabe war sehr groß, die ihm durch die chaotischen,
in vierhundertjähriger Mißwirtschaft völlig verkommnen Zustände des Landes
und die verwickelten Verhandlungen der neuen Negierung mit den Zentral¬
behörden erwachsen war. Im Lande selbst fehlten bis auf die fahrbaren
Straßen alle Einrichtungen, die als Basis eines modernen Kulturlebens un¬
erläßlich sind; überall waren Ruinen und Brandstätten, und was die Bevölke¬
rung betraf, so war der materiell und der Intelligenz nach bedeutendste Bruch¬
teil der Bevölkerung, der muhammedanische, feindlich gesinnt; der seiner Zahl
nach größte Bestandteil der Bewohnerschaft, das serbisch-orthodoxe Element,
sah wohl die Okkupation nicht ungern, stellte aber an das neue Regime die
unerfüllbare Forderung der Umwälzung der bestehenden, auf gesetzlicher Grund¬
lage ruhenden Agrarverhältniffe. Ein kleiner Bruchteil endlich, der römisch¬
katholische, erwartete von der katholischen Großmacht eine weitergehende Patro-
nisierung, als mit der Gerechtigkeit vereinbar war. Daß der zur Lösung seiner
Aufgabe von der Natur besonders begünstigte Herzog Wilhelm scheiterte, liegt
trotzdem weniger an den traurigen Zuständen des Landes, als an ünßern Ur¬
sachen. Vor allem an der Unzulänglichkeit der Mittel, die Österreich für die
neugewonnenen, so weit zurückgebliebnen Gebiete aufwandte. Von Anfang an
wurde dem Herzog die möglichste Sparsamkeit empfohlen, die Notwendigkeit von
Aufwendungen und Darlehen zwar anerkannt, die Höhe etwaiger Zuschüsse aber
in keiner Weise festgestellt. Von vornherein war sich der Herzog klar über die
Notwendigkeit, ein Kataster als Vorbedingung für die Regelung der agrarischen
Verhältnisse aufzustellen, und er verlangte ein Programm für den systematischen
Ausbau der Straßen und der dauernden Truppeuuuterbriuguug, einen Eisen¬
bahnbau bis Sarajevo und die Vollendung der Bahn Sissck-Baujaluka, endlich
brachte er die Notwendigkeit einer hinreichenden Dotation für die Hebung des
Ackerbaus und des Schulwesens und für Gotteshäuser aller Konfessionen zur
Sprache. Allein das Katnsterprojekt ging verloren; bezüglich der Schulen, wobei
er mit gutem Grunde ans Jnterkonfessionalität drang, erhielt er erst nach
monatelangem Warten eine ausweichende Antwort. Als endlich des Herzogs
Klagen über die böhmische (Vcrzögernngs ^Kommission Gehör gefunden hatten,
und Baron Hofmann als Reichsfinanzminister die böhmischen Agenten in sein
Ressort erhalten hatte, war kaum viel gewonnen. Denn die Weisungen, die
Baron Hofmann von Anfang an empfing, gingen vor allem auf eine möglichst
regelmäßige und ausgiebige Eintreibung der bestehenden Steuern, sodann
dahin, daß die Administration, den Sicherheitsdienst einbegriffen, so wohlfeil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/396>, abgerufen am 24.08.2024.