Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches scharf genug entgegengetreten werden kann. Was hat die Suche nach solchen er¬ Als vor vierundvierzig Jahren die preußischen Konservativen im Landtage den "Seien Sie so gut, lieber Manteuffel, den Herren Ministern in meinem Namen Wir können nur recht sehr wünschen, daß es der Regierung in Preußen wie Maßgebliches und Unmaßgebliches scharf genug entgegengetreten werden kann. Was hat die Suche nach solchen er¬ Als vor vierundvierzig Jahren die preußischen Konservativen im Landtage den „Seien Sie so gut, lieber Manteuffel, den Herren Ministern in meinem Namen Wir können nur recht sehr wünschen, daß es der Regierung in Preußen wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234919"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1144" prev="#ID_1143"> scharf genug entgegengetreten werden kann. Was hat die Suche nach solchen er¬<lb/> giebigen Agitativnsmitteln nicht schon für Unrat angerichtet? Um so ärger, je<lb/> findiger die Sucher waren. Der deutsche Parteiliberalismus, der lange Zeit ein<lb/> gewisses Monopol dieser Findigkeit hatte, ist schließlich dadurch bankerott geworden.<lb/> Jetzt scheint sich der Parteikonservatismus mit Ungestüm auf die Sache zu werfen.<lb/> Wir fürchten sehr, er wird dabei gleichfalls bankerott werden. Das muncius vult<lb/> ciseipi, orZo ein-eipmwr ist ein zweischneidiges Schwert, das zuletzt immer den am<lb/> schwersten schlägt, der es führt. Vollends jetzt, wo die Zahl der klug gemachten<lb/> denn doch verhältnismäßig sehr dick großer ist als früher, und auch der große<lb/> Haufe es sehr viel übler nimmt, dumm gemacht zu werden. Mit dem alten Rezept<lb/> der parteipolitischer Fälschungen ihr Glück zu versuchen, wäre wahrhaftig das<lb/> dümmste, was die konservative Partei unternehmen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1145"> Als vor vierundvierzig Jahren die preußischen Konservativen im Landtage den<lb/> Steucrvorlagen der Regierung, wie es scheint, faktiöse Opposition machten, schrieb<lb/> König Friedrich Wilhelm IV. an Manteuffel folgenden Brief, den Poschinger<lb/> kürzlich veröffentlicht hat, und der bet der gegenwärtigen Lage ein eigentümliches<lb/> Interesse hat:</p><lb/> <p xml:id="ID_1146"> „Seien Sie so gut, lieber Manteuffel, den Herren Ministern in meinem Namen<lb/> den Auftrag zu sagen: »Ich sei nach vielfacher Überlegung und im lebhaften Gefühl<lb/> der Situation des Moments und der Stellung der Regierung und des Königs in<lb/> Person gegenüber der aristokratischen Opposition des Herrenhauses zum Entschluß<lb/> gekommen, die Steuervorlage je eher je lieber zurückzuziehn, d. h. vor Ende der<lb/> Osterferien.« Diese Opposition ist im Begriff und Anlauf, mich und die Minister<lb/> in eine schiefe Lage zu versetzen und verfolgt das Beginnen mit einer bedenklichen<lb/> Jnstance und Siegesgewißheit. Ich will weder mich selbst noch meinen höchsten<lb/> Rat der Gefahr aussetzen, im Blachfeld geschlagen zu werden. Die Konsequenzen<lb/> scheinen mir unberechenbar bei der höchst eigentümlichen Auffassungsweise deutscher<lb/> mißleiteter Aristokraten, bei der nach dem »Siege« veritablen Verdrehtheit derselben,<lb/> bei ihrer notwendigen Befestigung »ans dem Holzwege.« Wir müssen dieser<lb/> Aristokratie womöglich das lebendige Gefühl ihrer gefälschten Lage der Regierung<lb/> gegeuüber beibringen. Das geht, wenn nicht alles trügt, allein auf dem bekannten<lb/> Wege, den geschickte Ringer anzuwenden wissen. Durch plötzliches, unvorhergesehenes<lb/> Loslassen mitten im Ringen, wodurch der Gegenpart hintenüber fällt. Der Fall<lb/> auf den Hinterkopf kann hier das kranke Kopforgan gesund machen., Die Kur ist<lb/> eine heroische, ober ich weiß kein andres Mittel, aus der Situation heraus zu<lb/> kommen in einem Augenblick, wo diese Opposition nahe dabei ist, den Habitus eines<lb/> schnell wachsenden Polypen mit tausend Armen anzunehmen. Ich warne das Stnats-<lb/> ministerium vor einem Kampfe, bei welchem nichts gewiß ist als die Niederlage.<lb/> Gönnen wir dem Feinde den Katzenjammer, den ein plötzliches Nüchternwerden aus<lb/> dem Rausch hier gewiß erzeugt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1147"> Wir können nur recht sehr wünschen, daß es der Regierung in Preußen wie<lb/> im Reich gelingen wird, den konservativen Parteien recht bald das lebendige Gefühl<lb/> ihrer gefälschten Lage der Regierung gegenüber beizubringen. In der preußischen<lb/> Kanalfrage sind sie ja vorläufig auf den Hinterkopf gefallen, aber ob das sobald<lb/> zu dem Nüchternwerden, das nötig ist, und dem Katzenjammer, den wir ihnen<lb/> gönnen, führen wird, steht noch dahin. Sie erhoffen noch auf einem andern Blach¬<lb/> feld den „Sieg," der sie natürlich erst recht „auf dem Holzwege" befestigen<lb/> würde. Das würde aber jeder, der wirklich konservativ denkt, aufs tiefste beklagen<lb/><note type="byline"> A</note> müssen. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
scharf genug entgegengetreten werden kann. Was hat die Suche nach solchen er¬
giebigen Agitativnsmitteln nicht schon für Unrat angerichtet? Um so ärger, je
findiger die Sucher waren. Der deutsche Parteiliberalismus, der lange Zeit ein
gewisses Monopol dieser Findigkeit hatte, ist schließlich dadurch bankerott geworden.
Jetzt scheint sich der Parteikonservatismus mit Ungestüm auf die Sache zu werfen.
Wir fürchten sehr, er wird dabei gleichfalls bankerott werden. Das muncius vult
ciseipi, orZo ein-eipmwr ist ein zweischneidiges Schwert, das zuletzt immer den am
schwersten schlägt, der es führt. Vollends jetzt, wo die Zahl der klug gemachten
denn doch verhältnismäßig sehr dick großer ist als früher, und auch der große
Haufe es sehr viel übler nimmt, dumm gemacht zu werden. Mit dem alten Rezept
der parteipolitischer Fälschungen ihr Glück zu versuchen, wäre wahrhaftig das
dümmste, was die konservative Partei unternehmen könnte.
Als vor vierundvierzig Jahren die preußischen Konservativen im Landtage den
Steucrvorlagen der Regierung, wie es scheint, faktiöse Opposition machten, schrieb
König Friedrich Wilhelm IV. an Manteuffel folgenden Brief, den Poschinger
kürzlich veröffentlicht hat, und der bet der gegenwärtigen Lage ein eigentümliches
Interesse hat:
„Seien Sie so gut, lieber Manteuffel, den Herren Ministern in meinem Namen
den Auftrag zu sagen: »Ich sei nach vielfacher Überlegung und im lebhaften Gefühl
der Situation des Moments und der Stellung der Regierung und des Königs in
Person gegenüber der aristokratischen Opposition des Herrenhauses zum Entschluß
gekommen, die Steuervorlage je eher je lieber zurückzuziehn, d. h. vor Ende der
Osterferien.« Diese Opposition ist im Begriff und Anlauf, mich und die Minister
in eine schiefe Lage zu versetzen und verfolgt das Beginnen mit einer bedenklichen
Jnstance und Siegesgewißheit. Ich will weder mich selbst noch meinen höchsten
Rat der Gefahr aussetzen, im Blachfeld geschlagen zu werden. Die Konsequenzen
scheinen mir unberechenbar bei der höchst eigentümlichen Auffassungsweise deutscher
mißleiteter Aristokraten, bei der nach dem »Siege« veritablen Verdrehtheit derselben,
bei ihrer notwendigen Befestigung »ans dem Holzwege.« Wir müssen dieser
Aristokratie womöglich das lebendige Gefühl ihrer gefälschten Lage der Regierung
gegeuüber beibringen. Das geht, wenn nicht alles trügt, allein auf dem bekannten
Wege, den geschickte Ringer anzuwenden wissen. Durch plötzliches, unvorhergesehenes
Loslassen mitten im Ringen, wodurch der Gegenpart hintenüber fällt. Der Fall
auf den Hinterkopf kann hier das kranke Kopforgan gesund machen., Die Kur ist
eine heroische, ober ich weiß kein andres Mittel, aus der Situation heraus zu
kommen in einem Augenblick, wo diese Opposition nahe dabei ist, den Habitus eines
schnell wachsenden Polypen mit tausend Armen anzunehmen. Ich warne das Stnats-
ministerium vor einem Kampfe, bei welchem nichts gewiß ist als die Niederlage.
Gönnen wir dem Feinde den Katzenjammer, den ein plötzliches Nüchternwerden aus
dem Rausch hier gewiß erzeugt."
Wir können nur recht sehr wünschen, daß es der Regierung in Preußen wie
im Reich gelingen wird, den konservativen Parteien recht bald das lebendige Gefühl
ihrer gefälschten Lage der Regierung gegenüber beizubringen. In der preußischen
Kanalfrage sind sie ja vorläufig auf den Hinterkopf gefallen, aber ob das sobald
zu dem Nüchternwerden, das nötig ist, und dem Katzenjammer, den wir ihnen
gönnen, führen wird, steht noch dahin. Sie erhoffen noch auf einem andern Blach¬
feld den „Sieg," der sie natürlich erst recht „auf dem Holzwege" befestigen
würde. Das würde aber jeder, der wirklich konservativ denkt, aufs tiefste beklagen
A müssen.
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