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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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IVohmmgs- und Bodenpolitik

60000 Thaler, 1707 schon 185000, 1739: 314000, beim Tode Friedrichs
des Großen 915000 und 1801 sogar 1215000 Thaler. Im Jahre 1740
belief sich bei einem Gesamtetat von 7 Millionen Thalern der Aceiseertrag
im ganzen Staat auf fast anderthalb Millionen, wovon Berlin den fünften Teil
beisteuerte.

Man erkennt aus diesen wenigen Zügen des Voigtschen Bildes, daß auch
in Brandenburg-Preußen der Merkantilismus wie überall, wo er klug und
energisch durchgeführt wurde, den Zug nach dem Gewerbe und zugleich den
Zug nach der Stadt erfolgreich förderte, um Leute und Reichtum ins Land,
Geld in die Kassen und eine starke Armee für den Staat zu bekommen. Es
ist gewiß von Interesse, die Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts damit
zu vergleichen, wo sich dieses heiße Verlangen jener großen Merkantilisten in
ungeahntem Maße verwirklichte, freilich ganz ohne merkantilistische Kunst¬
leistung; so sehr sogar, daß das "Stadtproblcm" anfängt, den Staatsmännern
im umgekehrten Sinne Sorge zu machen, wie den Fürsten und Ökonomen von
1650 bis 1800. Schon dieser flüchtige Vergleich zwischen einst und jetzt
scheint mir darauf hinzuweisen, daß es nicht so leicht sein wird, für die Wol)--
nnngs- und Banpolitik des zwanzigsten Jahrhunderts richtige Grundsätze aus
dem achtzehnten zu gewinnen.

Die praktischen Maßnahmen zur Erreichung des in der Berliner Wohnungs¬
und Vaupolitik verfolgten Ziels richteten sich unter dem Großen Kurfürsten
zunächst hauptsächlich auf die Wiederbebanung der infolge der Notjahre sehr
zahlreich gewordnen "wüsten Stellen." Das Verfahren dabei wird durch
folgende, wie Voigt sagt, tief in alle privatrechtlichen Verhältnisse einschnei¬
dende Bestimmung aus einem Patent von 1667 charakterisiert: "Weil wir
vernehmen, daß viele . . . darüber abgeschrecket worden, weil ihnen die wüsten
Stellen nicht umbsonst gegeben, sondern theuer angeschlagen, auch wohl gar
die Schoße und Contributionsreste gefordert werden wollen, also verordnen Wir
hiermit, allen und jeden, die aufbauen wollen, die wüsten Stellen frey umb¬
sonst und ohne einiges Entgeld zu geben und anzuweisen, auch ihnen wegen
der alten restierenden Schosse und Contributionen . . . nichts abzufordern. . , .
Es wäre denn, daß etwann noch Leute vorhanden, denen solche wüsten Stellen
zugehöreten, und dieselben wieder aufbauen wollte", auf welchen Fall sie billig
vor anderen den Vorzug hätten, welche aber auch bald, und zwar zum längsten
in einem halben Jahre zum Bau wirklich thun sollen, widrigenfalls sie ihres
darall habenden Rechtes verlustig und die Stelle demnach demjenigen, der solche
alsofort wieder bebauen wollen, umbsonst gegeben werden soll." Dazu wurde
den Baulustigen das Bauholz geschenkt, anch bare Zuschüsse von 10 bis 15 Pro¬
zent des Bauwerks aus der Aecisekasse geleistet. Das Enteignungsrecht zu
Gunsten Baulustiger fand, wie Voigt sagt, nach einem "sehr formlosen und
abgekürzten Verfahren auf der Basis des obrigkeitlich festgestellten Ackerwerts"
statt, die große Masse des für Umbauten in Betracht kommenden Geländes
gehörte aber den Regenten selbst und wurde einfach verschenkt.


IVohmmgs- und Bodenpolitik

60000 Thaler, 1707 schon 185000, 1739: 314000, beim Tode Friedrichs
des Großen 915000 und 1801 sogar 1215000 Thaler. Im Jahre 1740
belief sich bei einem Gesamtetat von 7 Millionen Thalern der Aceiseertrag
im ganzen Staat auf fast anderthalb Millionen, wovon Berlin den fünften Teil
beisteuerte.

Man erkennt aus diesen wenigen Zügen des Voigtschen Bildes, daß auch
in Brandenburg-Preußen der Merkantilismus wie überall, wo er klug und
energisch durchgeführt wurde, den Zug nach dem Gewerbe und zugleich den
Zug nach der Stadt erfolgreich förderte, um Leute und Reichtum ins Land,
Geld in die Kassen und eine starke Armee für den Staat zu bekommen. Es
ist gewiß von Interesse, die Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts damit
zu vergleichen, wo sich dieses heiße Verlangen jener großen Merkantilisten in
ungeahntem Maße verwirklichte, freilich ganz ohne merkantilistische Kunst¬
leistung; so sehr sogar, daß das „Stadtproblcm" anfängt, den Staatsmännern
im umgekehrten Sinne Sorge zu machen, wie den Fürsten und Ökonomen von
1650 bis 1800. Schon dieser flüchtige Vergleich zwischen einst und jetzt
scheint mir darauf hinzuweisen, daß es nicht so leicht sein wird, für die Wol)--
nnngs- und Banpolitik des zwanzigsten Jahrhunderts richtige Grundsätze aus
dem achtzehnten zu gewinnen.

Die praktischen Maßnahmen zur Erreichung des in der Berliner Wohnungs¬
und Vaupolitik verfolgten Ziels richteten sich unter dem Großen Kurfürsten
zunächst hauptsächlich auf die Wiederbebanung der infolge der Notjahre sehr
zahlreich gewordnen „wüsten Stellen." Das Verfahren dabei wird durch
folgende, wie Voigt sagt, tief in alle privatrechtlichen Verhältnisse einschnei¬
dende Bestimmung aus einem Patent von 1667 charakterisiert: „Weil wir
vernehmen, daß viele . . . darüber abgeschrecket worden, weil ihnen die wüsten
Stellen nicht umbsonst gegeben, sondern theuer angeschlagen, auch wohl gar
die Schoße und Contributionsreste gefordert werden wollen, also verordnen Wir
hiermit, allen und jeden, die aufbauen wollen, die wüsten Stellen frey umb¬
sonst und ohne einiges Entgeld zu geben und anzuweisen, auch ihnen wegen
der alten restierenden Schosse und Contributionen . . . nichts abzufordern. . , .
Es wäre denn, daß etwann noch Leute vorhanden, denen solche wüsten Stellen
zugehöreten, und dieselben wieder aufbauen wollte«, auf welchen Fall sie billig
vor anderen den Vorzug hätten, welche aber auch bald, und zwar zum längsten
in einem halben Jahre zum Bau wirklich thun sollen, widrigenfalls sie ihres
darall habenden Rechtes verlustig und die Stelle demnach demjenigen, der solche
alsofort wieder bebauen wollen, umbsonst gegeben werden soll." Dazu wurde
den Baulustigen das Bauholz geschenkt, anch bare Zuschüsse von 10 bis 15 Pro¬
zent des Bauwerks aus der Aecisekasse geleistet. Das Enteignungsrecht zu
Gunsten Baulustiger fand, wie Voigt sagt, nach einem „sehr formlosen und
abgekürzten Verfahren auf der Basis des obrigkeitlich festgestellten Ackerwerts"
statt, die große Masse des für Umbauten in Betracht kommenden Geländes
gehörte aber den Regenten selbst und wurde einfach verschenkt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/354>, abgerufen am 26.06.2024.