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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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seinem ganzen Thun spricht , niemals bei bloßer Defensive zu verharren und
sich nicht vom politischen Gegner das Kampffeld bestimmen zu lassen.

Welche Bestimmungen der Reichsverfnssung um hat Fürst Bismarck seiner
Zeit angenommen, obgleich sie ihm unzweckmäßig oder bedenklich erschienen?
Welche hat er trotz ungünstiger Erfahrungen unangefochten gelassen, weil sie
einmal bestanden? Was ist an die Stelle zu setzen? Im allgemeinen Inter¬
esse und in dem besondern des Reichstags, um dessen Ansehen wieder zu
heben und ihm die besten Kräfte unsers Volks zu erhalten oder wiederzu¬
gewinnen.

Unter den Ursachen, die das Interesse an den Rcichstagsverhandlungen
lahmen, fällt keine mehr ins Auge, als die jedes Jahr mehrere Monate in
Anspruch nehmende Beratung des Budgets. Immer wieder die endlose Breit-
treterei, Besserwisserei und Nörgelei! Wer liest das alles? Wer ist imstande,
es mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, und trägt, wenn er dazu gezwungen ist,
ein andres Gefühl davon als Widerwillen? Und wozu dient es? Doch wohl
um in der Reichsverwaltung zu sparen. Mir hat einmal ein Offizier, der
genau Bescheid wußte, gesagt, im Kriegsmimsterium sei man gar nicht so schlecht
auf Herrn Richter zu sprechen, denn er lasse mit sich reden, nur müßte es
nach seiner Weise ins Budget eingestellt werden, billiger würde es dadurch
nicht. Ich habe seitdem -- es ist schon eine Weile her -- von der Mit¬
thätigkeit dieses großen Finanzkünstlers fast immer den Eindruck gewonnen,
daß sie formalistisch wirkt, bureaukratisch, möchte man sagen, und daß er uns
eine erkleckliche Zahl von Millionen kostet. Ist er unsern Herzen nicht teuer,
so doch unserm Geldbeutel, lind von den kleinern Sternen hat jeder sein
Steckenpferd, das für Partei und Wahlkreis Parade geritten wird. Wenn die
Ausgaben beraten werden, verlangt jeder, wenn aber die Einnahmen, ist für
die notwendige Steigerung keiner zu finden; da muß die arme Regierung als
herzlose, volksbedrückeude Sündenbüßerin herhalten. Und sowas wiederholt
sich jedes Jahr, in einer Sitzung nach der andern, sinnverwirrend und, was
hier die Hauptsache ist, das Ansehen des Reichstags herabsetzend, andre, wirkliche
Aufgaben zurückdrängend und hemmend.

Niemand im Reich hat ein größeres Interesse daran, mehrjährige Budget¬
perioden zu wünschen, als der Reichstag selbst. Würden in die Reichs-
verfassung nur zweijährige statt der jetzt verfassungsmäßig einjährigen gesetzt,
so wäre auch das von Fürst Bismarck so oft beklagte gleichzeitige Tagen von
Reichstag und Landtagen bald beseitigt, denu die Einzelstaaten würden, gern
oder ungern, das Beispiel des Reichs befolgen und den Anfangspunkt ihrer
zweijährigen Bndgetperiodc, selbstverständlich auch die Vorlegung und Beratung
des Staatshaushaltplaus, in das vom Reiche freigelassene Jahr verlegen.
Sollten die Kammern Anstand nehmen, so würde reichsgesetzlicher Zwang
kaum als Gewaltthat empfunden werden. Und ums die Ersparnis bei allen
nicht von vornherein feststehenden Ausgaben betrifft, so frage man jeden be¬
liebigen Geschäftsmann, ob er nicht teurer fährt, wenn er bedeutende Mittel


seinem ganzen Thun spricht , niemals bei bloßer Defensive zu verharren und
sich nicht vom politischen Gegner das Kampffeld bestimmen zu lassen.

Welche Bestimmungen der Reichsverfnssung um hat Fürst Bismarck seiner
Zeit angenommen, obgleich sie ihm unzweckmäßig oder bedenklich erschienen?
Welche hat er trotz ungünstiger Erfahrungen unangefochten gelassen, weil sie
einmal bestanden? Was ist an die Stelle zu setzen? Im allgemeinen Inter¬
esse und in dem besondern des Reichstags, um dessen Ansehen wieder zu
heben und ihm die besten Kräfte unsers Volks zu erhalten oder wiederzu¬
gewinnen.

Unter den Ursachen, die das Interesse an den Rcichstagsverhandlungen
lahmen, fällt keine mehr ins Auge, als die jedes Jahr mehrere Monate in
Anspruch nehmende Beratung des Budgets. Immer wieder die endlose Breit-
treterei, Besserwisserei und Nörgelei! Wer liest das alles? Wer ist imstande,
es mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, und trägt, wenn er dazu gezwungen ist,
ein andres Gefühl davon als Widerwillen? Und wozu dient es? Doch wohl
um in der Reichsverwaltung zu sparen. Mir hat einmal ein Offizier, der
genau Bescheid wußte, gesagt, im Kriegsmimsterium sei man gar nicht so schlecht
auf Herrn Richter zu sprechen, denn er lasse mit sich reden, nur müßte es
nach seiner Weise ins Budget eingestellt werden, billiger würde es dadurch
nicht. Ich habe seitdem — es ist schon eine Weile her — von der Mit¬
thätigkeit dieses großen Finanzkünstlers fast immer den Eindruck gewonnen,
daß sie formalistisch wirkt, bureaukratisch, möchte man sagen, und daß er uns
eine erkleckliche Zahl von Millionen kostet. Ist er unsern Herzen nicht teuer,
so doch unserm Geldbeutel, lind von den kleinern Sternen hat jeder sein
Steckenpferd, das für Partei und Wahlkreis Parade geritten wird. Wenn die
Ausgaben beraten werden, verlangt jeder, wenn aber die Einnahmen, ist für
die notwendige Steigerung keiner zu finden; da muß die arme Regierung als
herzlose, volksbedrückeude Sündenbüßerin herhalten. Und sowas wiederholt
sich jedes Jahr, in einer Sitzung nach der andern, sinnverwirrend und, was
hier die Hauptsache ist, das Ansehen des Reichstags herabsetzend, andre, wirkliche
Aufgaben zurückdrängend und hemmend.

Niemand im Reich hat ein größeres Interesse daran, mehrjährige Budget¬
perioden zu wünschen, als der Reichstag selbst. Würden in die Reichs-
verfassung nur zweijährige statt der jetzt verfassungsmäßig einjährigen gesetzt,
so wäre auch das von Fürst Bismarck so oft beklagte gleichzeitige Tagen von
Reichstag und Landtagen bald beseitigt, denu die Einzelstaaten würden, gern
oder ungern, das Beispiel des Reichs befolgen und den Anfangspunkt ihrer
zweijährigen Bndgetperiodc, selbstverständlich auch die Vorlegung und Beratung
des Staatshaushaltplaus, in das vom Reiche freigelassene Jahr verlegen.
Sollten die Kammern Anstand nehmen, so würde reichsgesetzlicher Zwang
kaum als Gewaltthat empfunden werden. Und ums die Ersparnis bei allen
nicht von vornherein feststehenden Ausgaben betrifft, so frage man jeden be¬
liebigen Geschäftsmann, ob er nicht teurer fährt, wenn er bedeutende Mittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/346>, abgerufen am 01.07.2024.