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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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licher Ausdehnung, überholte die englische. Sie war insofern für die Schu߬
wirkung sehr günstig, als etwas hinter uns eine ganze Reihe von 30 bis
40 Meter hohen Kopjes lag, von denen aus sich das Gelände bis zu den
Engländern hin ganz allmählich senkte, also eine Art sanft abfallenden Glacis
bildete.

In drei Abschnitten sollte diese Stellung besetzt werden; auf je tausend
Mann fiel ein Abschnitt. Uns wurde die Mitte zugeteilt. Während der noch
herrschenden Feuerruhe suchten wir diese Stellung möglichst sicher und un¬
einnehmbar zu macheu. Nach Anweisung des Kommandanten wurde bei Tag
und bei Nacht mit den Spaten der Feldkornettschafteu ein Schützengraben aus¬
gehoben, und zwar so tief, daß jeder Mann darin stehn konnte. Seine Breite
war etwa 75 Centimeter. Die Grabenwand nach dein Feinde zu wurde aus¬
gehöhlt, damit mau sich in der Höhlung gegen Schrapnellfeuer decken könnte.
Der nnsgehvbne Grund wurde möglichst auseinandergeworfen und mit trocknem
Gras und Zweigen bedeckt. Der einzelne Mann sorgte für eine Gewehrauf¬
lage und vertiefte den Schützengraben, wo er ihm für seine Gestalt nicht tief
genug erschien, wie es ihm paßte. Auch fanden wir noch Zeit, einen Stachel¬
draht in einer Entfernung von 30 bis 60 Metern vor unserm Graben ein bis
zwei Fuß über der Erde durch niedriges Buschwerk zu ziehn und an einzelnen
Bäumen und eingeschlagnen Stangen festzumachen. Der Draht wurde den
Augen sorgfältig verborge", damit er Pferde und Mettscheu, die dort gehtt
wollten, zu Fall brächte. Auch Blechstückchen hängten wir am Draht auf, die
bei Berührung des Drahtes aneiuauderschlugen und durch ihren hellen Klang
uns vor Überraschungen des Feindes sichern sollten. Als Hindernis gegen
anrückende Truppen unterstützte uns teilweise ein mannshoher Zaun, gleich¬
falls aus Stacheldraht, ein Überbleibsel ans der Zeit der Rinderpest, der längs
der Freistaatgrenze etwa 70 Meter vor uns her zog. Hinter den Kopjes waren
die Pferde angepflockt und grasten, bewacht von Kaffernjnngen, die auch für
uns kochen mußten.

Nach drei Tage" Arbeit eröffneten die Engländer das Artilleriefeuer. Ich
lag gerade in der Morgendämmerung schlafend, das Gewehr im Arm und in
meine Decke gehüllt hinter dem Schützengraben, als der erste Schuß dicht über
mich hinausflog. Halbwach hatte ich gemeint, mein Nebenmann sei mir mit
der Hand über den Rücken gestrichen, als mich die etwa hundertachtzig Schritte
hinter mir krepierende Granate belehrte, daß der Morgengruß ernster gemeint
war. "Paß op!" rief mir mein Nachbar zu und sprang so eilig auf und in
den Schützengraben hinein, daß er mit seinem Gewehrkolben mir die Brille
-- die einzige, die ich hatte -- von der Nase und beinahe das Auge ausschlug.
Hilflos tastend suchte ich mit den Händen deu Boden ab, gottfroh, bald die
mir unersetzbare Brille mit unbeschädigten Glase und damit das Gesicht wieder
gefunden zu haben.

An diesem Tage war das Artilleriefener nur langsam, immerhin war es
für uns deprimierend genug, nichts dagegen thun zu können. Wir hatten


licher Ausdehnung, überholte die englische. Sie war insofern für die Schu߬
wirkung sehr günstig, als etwas hinter uns eine ganze Reihe von 30 bis
40 Meter hohen Kopjes lag, von denen aus sich das Gelände bis zu den
Engländern hin ganz allmählich senkte, also eine Art sanft abfallenden Glacis
bildete.

In drei Abschnitten sollte diese Stellung besetzt werden; auf je tausend
Mann fiel ein Abschnitt. Uns wurde die Mitte zugeteilt. Während der noch
herrschenden Feuerruhe suchten wir diese Stellung möglichst sicher und un¬
einnehmbar zu macheu. Nach Anweisung des Kommandanten wurde bei Tag
und bei Nacht mit den Spaten der Feldkornettschafteu ein Schützengraben aus¬
gehoben, und zwar so tief, daß jeder Mann darin stehn konnte. Seine Breite
war etwa 75 Centimeter. Die Grabenwand nach dein Feinde zu wurde aus¬
gehöhlt, damit mau sich in der Höhlung gegen Schrapnellfeuer decken könnte.
Der nnsgehvbne Grund wurde möglichst auseinandergeworfen und mit trocknem
Gras und Zweigen bedeckt. Der einzelne Mann sorgte für eine Gewehrauf¬
lage und vertiefte den Schützengraben, wo er ihm für seine Gestalt nicht tief
genug erschien, wie es ihm paßte. Auch fanden wir noch Zeit, einen Stachel¬
draht in einer Entfernung von 30 bis 60 Metern vor unserm Graben ein bis
zwei Fuß über der Erde durch niedriges Buschwerk zu ziehn und an einzelnen
Bäumen und eingeschlagnen Stangen festzumachen. Der Draht wurde den
Augen sorgfältig verborge», damit er Pferde und Mettscheu, die dort gehtt
wollten, zu Fall brächte. Auch Blechstückchen hängten wir am Draht auf, die
bei Berührung des Drahtes aneiuauderschlugen und durch ihren hellen Klang
uns vor Überraschungen des Feindes sichern sollten. Als Hindernis gegen
anrückende Truppen unterstützte uns teilweise ein mannshoher Zaun, gleich¬
falls aus Stacheldraht, ein Überbleibsel ans der Zeit der Rinderpest, der längs
der Freistaatgrenze etwa 70 Meter vor uns her zog. Hinter den Kopjes waren
die Pferde angepflockt und grasten, bewacht von Kaffernjnngen, die auch für
uns kochen mußten.

Nach drei Tage» Arbeit eröffneten die Engländer das Artilleriefeuer. Ich
lag gerade in der Morgendämmerung schlafend, das Gewehr im Arm und in
meine Decke gehüllt hinter dem Schützengraben, als der erste Schuß dicht über
mich hinausflog. Halbwach hatte ich gemeint, mein Nebenmann sei mir mit
der Hand über den Rücken gestrichen, als mich die etwa hundertachtzig Schritte
hinter mir krepierende Granate belehrte, daß der Morgengruß ernster gemeint
war. „Paß op!" rief mir mein Nachbar zu und sprang so eilig auf und in
den Schützengraben hinein, daß er mit seinem Gewehrkolben mir die Brille
— die einzige, die ich hatte — von der Nase und beinahe das Auge ausschlug.
Hilflos tastend suchte ich mit den Händen deu Boden ab, gottfroh, bald die
mir unersetzbare Brille mit unbeschädigten Glase und damit das Gesicht wieder
gefunden zu haben.

An diesem Tage war das Artilleriefener nur langsam, immerhin war es
für uns deprimierend genug, nichts dagegen thun zu können. Wir hatten


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[0230] licher Ausdehnung, überholte die englische. Sie war insofern für die Schu߬ wirkung sehr günstig, als etwas hinter uns eine ganze Reihe von 30 bis 40 Meter hohen Kopjes lag, von denen aus sich das Gelände bis zu den Engländern hin ganz allmählich senkte, also eine Art sanft abfallenden Glacis bildete. In drei Abschnitten sollte diese Stellung besetzt werden; auf je tausend Mann fiel ein Abschnitt. Uns wurde die Mitte zugeteilt. Während der noch herrschenden Feuerruhe suchten wir diese Stellung möglichst sicher und un¬ einnehmbar zu macheu. Nach Anweisung des Kommandanten wurde bei Tag und bei Nacht mit den Spaten der Feldkornettschafteu ein Schützengraben aus¬ gehoben, und zwar so tief, daß jeder Mann darin stehn konnte. Seine Breite war etwa 75 Centimeter. Die Grabenwand nach dein Feinde zu wurde aus¬ gehöhlt, damit mau sich in der Höhlung gegen Schrapnellfeuer decken könnte. Der nnsgehvbne Grund wurde möglichst auseinandergeworfen und mit trocknem Gras und Zweigen bedeckt. Der einzelne Mann sorgte für eine Gewehrauf¬ lage und vertiefte den Schützengraben, wo er ihm für seine Gestalt nicht tief genug erschien, wie es ihm paßte. Auch fanden wir noch Zeit, einen Stachel¬ draht in einer Entfernung von 30 bis 60 Metern vor unserm Graben ein bis zwei Fuß über der Erde durch niedriges Buschwerk zu ziehn und an einzelnen Bäumen und eingeschlagnen Stangen festzumachen. Der Draht wurde den Augen sorgfältig verborge», damit er Pferde und Mettscheu, die dort gehtt wollten, zu Fall brächte. Auch Blechstückchen hängten wir am Draht auf, die bei Berührung des Drahtes aneiuauderschlugen und durch ihren hellen Klang uns vor Überraschungen des Feindes sichern sollten. Als Hindernis gegen anrückende Truppen unterstützte uns teilweise ein mannshoher Zaun, gleich¬ falls aus Stacheldraht, ein Überbleibsel ans der Zeit der Rinderpest, der längs der Freistaatgrenze etwa 70 Meter vor uns her zog. Hinter den Kopjes waren die Pferde angepflockt und grasten, bewacht von Kaffernjnngen, die auch für uns kochen mußten. Nach drei Tage» Arbeit eröffneten die Engländer das Artilleriefeuer. Ich lag gerade in der Morgendämmerung schlafend, das Gewehr im Arm und in meine Decke gehüllt hinter dem Schützengraben, als der erste Schuß dicht über mich hinausflog. Halbwach hatte ich gemeint, mein Nebenmann sei mir mit der Hand über den Rücken gestrichen, als mich die etwa hundertachtzig Schritte hinter mir krepierende Granate belehrte, daß der Morgengruß ernster gemeint war. „Paß op!" rief mir mein Nachbar zu und sprang so eilig auf und in den Schützengraben hinein, daß er mit seinem Gewehrkolben mir die Brille — die einzige, die ich hatte — von der Nase und beinahe das Auge ausschlug. Hilflos tastend suchte ich mit den Händen deu Boden ab, gottfroh, bald die mir unersetzbare Brille mit unbeschädigten Glase und damit das Gesicht wieder gefunden zu haben. An diesem Tage war das Artilleriefener nur langsam, immerhin war es für uns deprimierend genug, nichts dagegen thun zu können. Wir hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/230>, abgerufen am 03.07.2024.