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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Politik, wie sie Fürst Bismarck in den oben wiedergegebnen Reden dargelegt
hat. Daß eine so neue und eigentümliche politische Erscheinung wie die deutsche
Kolonialpolitik einiger diplomatischer Auseinandersetzungen bedarf, damit die poli¬
tische Konstellation im Gleichgewicht erhalten bleibt, ist selbstverständlich. Aber
diese kolonialpolitischen Verhältnisse sind ohne den Hochdruck der großen Politik,
lediglich in dem werktagsmäßigen Betriebe der Auswärtigen Ämter geregelt
worden. Zu der Anwendung der rütiirni. ratio oder auch nur zu politischen
Drohungen hätte sich Fürst Bismarck der Kolonialpolitik wegen niemals ver¬
standen. Die Kolonialpolitik war ihm dazu ein zu geringwertiger Bestandteil
seiner Gesamtpolitik, wie er in der Reichstagssitzung vom 26. Januar 1889
ausgeführt hat. Er sagte damals: "Der Vorredner hat im Anfang seiner
Rede die Frage berührt, in welche Beziehungen uns die Kolonialfrage zu aus¬
wärtigen Mächten setzt. Da kann ich die Versicherung abgeben, daß wir in
dieser Frage wie in allen übrigen -- und nicht ohne Erfolg -- stets bemüht
gewesen sind, uns in Fühlung mit der größten Kolonialmacht der Erde, mit
England, zu halten, daß wir auch hier nur nach Verständigung mit England
vorgegangen sind und nicht weiter vorgehn werden, als wir uns mit England
zu verständigen imstande sein werden. . . . Im Kampf mit England vorzugehn,
im Widerstreit, oder auch nur die Maßregeln zu erwidern, die von einzelnen
untergeordnete" englischen Organen uns gegenüber getroffen werden, fällt mir
nicht ein. Wir sind in Sansibar sowohl wie in Samoa mit der englischen
Regierung absolut in Einigkeit und gehn mit ihr Hand in Hand, und ich bin
fest entschlossen, diese Beziehungen festzuhalten. . . . Wenn die Blockade auf¬
hört, ohne den Eindruck eines Bruchs der Einigkeit zwischen England und
Deutschland zu machen, so will ich nichts dawider haben. Dieser Eindruck ist
mir nach meiner politischen Auffassung die Hauptsache -- ebenso wie ich in
andern Kolonien, in Samoa z. B., unbedingt festhalte an der Übereinstimmung
mit der englischen Regierung und an dem Entschluß, sobald wir mit derselben
in Übereinstimmung sind, gemeinsam vorzugehn, und sobald wir das nicht sind,
uns zu enthalten oder mit Zurückhaltung zu verfahren. Ich betrachte Eng¬
land als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit den? wir keine
streitigen Interessen haben; wen" ich sage "Bundesgenossen", so ist das in
diplomatischem Sinne zu fassen; wir haben keine Verträge mit England; aber
ich wünsche die Fühlung, die wir seit nnn doch mindestens hundertfünfzig
Jahren mit England gehabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen.
Und wenn mir nachgewiesen würde, daß wir die verlieren, so würde ich vor¬
sichtig werden und den Verlust zu verhüten suchen."

Nach seiner Entlassung hat der Fürst ebenfalls noch Gelegenheit ge¬
nommen, sich über die deutsch-englischen Beziehungen auszusprechen, so z. B.
am 2. Juli 1890 gegenüber einer Anzahl englischer Besucher in Friedrichs-
wh. Den Bericht der?unes8 darüber übernehmen die "Hamburger Nachrichten"
und ergänzen ihn auf Grund authentischer Erkundigung. Der Fürst hat damals
gesagt: "Der Handel ist der große Beförderer der Zivilisation und hat viel


Politik, wie sie Fürst Bismarck in den oben wiedergegebnen Reden dargelegt
hat. Daß eine so neue und eigentümliche politische Erscheinung wie die deutsche
Kolonialpolitik einiger diplomatischer Auseinandersetzungen bedarf, damit die poli¬
tische Konstellation im Gleichgewicht erhalten bleibt, ist selbstverständlich. Aber
diese kolonialpolitischen Verhältnisse sind ohne den Hochdruck der großen Politik,
lediglich in dem werktagsmäßigen Betriebe der Auswärtigen Ämter geregelt
worden. Zu der Anwendung der rütiirni. ratio oder auch nur zu politischen
Drohungen hätte sich Fürst Bismarck der Kolonialpolitik wegen niemals ver¬
standen. Die Kolonialpolitik war ihm dazu ein zu geringwertiger Bestandteil
seiner Gesamtpolitik, wie er in der Reichstagssitzung vom 26. Januar 1889
ausgeführt hat. Er sagte damals: „Der Vorredner hat im Anfang seiner
Rede die Frage berührt, in welche Beziehungen uns die Kolonialfrage zu aus¬
wärtigen Mächten setzt. Da kann ich die Versicherung abgeben, daß wir in
dieser Frage wie in allen übrigen — und nicht ohne Erfolg — stets bemüht
gewesen sind, uns in Fühlung mit der größten Kolonialmacht der Erde, mit
England, zu halten, daß wir auch hier nur nach Verständigung mit England
vorgegangen sind und nicht weiter vorgehn werden, als wir uns mit England
zu verständigen imstande sein werden. . . . Im Kampf mit England vorzugehn,
im Widerstreit, oder auch nur die Maßregeln zu erwidern, die von einzelnen
untergeordnete» englischen Organen uns gegenüber getroffen werden, fällt mir
nicht ein. Wir sind in Sansibar sowohl wie in Samoa mit der englischen
Regierung absolut in Einigkeit und gehn mit ihr Hand in Hand, und ich bin
fest entschlossen, diese Beziehungen festzuhalten. . . . Wenn die Blockade auf¬
hört, ohne den Eindruck eines Bruchs der Einigkeit zwischen England und
Deutschland zu machen, so will ich nichts dawider haben. Dieser Eindruck ist
mir nach meiner politischen Auffassung die Hauptsache — ebenso wie ich in
andern Kolonien, in Samoa z. B., unbedingt festhalte an der Übereinstimmung
mit der englischen Regierung und an dem Entschluß, sobald wir mit derselben
in Übereinstimmung sind, gemeinsam vorzugehn, und sobald wir das nicht sind,
uns zu enthalten oder mit Zurückhaltung zu verfahren. Ich betrachte Eng¬
land als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit den? wir keine
streitigen Interessen haben; wen» ich sage »Bundesgenossen«, so ist das in
diplomatischem Sinne zu fassen; wir haben keine Verträge mit England; aber
ich wünsche die Fühlung, die wir seit nnn doch mindestens hundertfünfzig
Jahren mit England gehabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen.
Und wenn mir nachgewiesen würde, daß wir die verlieren, so würde ich vor¬
sichtig werden und den Verlust zu verhüten suchen."

Nach seiner Entlassung hat der Fürst ebenfalls noch Gelegenheit ge¬
nommen, sich über die deutsch-englischen Beziehungen auszusprechen, so z. B.
am 2. Juli 1890 gegenüber einer Anzahl englischer Besucher in Friedrichs-
wh. Den Bericht der?unes8 darüber übernehmen die „Hamburger Nachrichten"
und ergänzen ihn auf Grund authentischer Erkundigung. Der Fürst hat damals
gesagt: „Der Handel ist der große Beförderer der Zivilisation und hat viel


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[0157] Politik, wie sie Fürst Bismarck in den oben wiedergegebnen Reden dargelegt hat. Daß eine so neue und eigentümliche politische Erscheinung wie die deutsche Kolonialpolitik einiger diplomatischer Auseinandersetzungen bedarf, damit die poli¬ tische Konstellation im Gleichgewicht erhalten bleibt, ist selbstverständlich. Aber diese kolonialpolitischen Verhältnisse sind ohne den Hochdruck der großen Politik, lediglich in dem werktagsmäßigen Betriebe der Auswärtigen Ämter geregelt worden. Zu der Anwendung der rütiirni. ratio oder auch nur zu politischen Drohungen hätte sich Fürst Bismarck der Kolonialpolitik wegen niemals ver¬ standen. Die Kolonialpolitik war ihm dazu ein zu geringwertiger Bestandteil seiner Gesamtpolitik, wie er in der Reichstagssitzung vom 26. Januar 1889 ausgeführt hat. Er sagte damals: „Der Vorredner hat im Anfang seiner Rede die Frage berührt, in welche Beziehungen uns die Kolonialfrage zu aus¬ wärtigen Mächten setzt. Da kann ich die Versicherung abgeben, daß wir in dieser Frage wie in allen übrigen — und nicht ohne Erfolg — stets bemüht gewesen sind, uns in Fühlung mit der größten Kolonialmacht der Erde, mit England, zu halten, daß wir auch hier nur nach Verständigung mit England vorgegangen sind und nicht weiter vorgehn werden, als wir uns mit England zu verständigen imstande sein werden. . . . Im Kampf mit England vorzugehn, im Widerstreit, oder auch nur die Maßregeln zu erwidern, die von einzelnen untergeordnete» englischen Organen uns gegenüber getroffen werden, fällt mir nicht ein. Wir sind in Sansibar sowohl wie in Samoa mit der englischen Regierung absolut in Einigkeit und gehn mit ihr Hand in Hand, und ich bin fest entschlossen, diese Beziehungen festzuhalten. . . . Wenn die Blockade auf¬ hört, ohne den Eindruck eines Bruchs der Einigkeit zwischen England und Deutschland zu machen, so will ich nichts dawider haben. Dieser Eindruck ist mir nach meiner politischen Auffassung die Hauptsache — ebenso wie ich in andern Kolonien, in Samoa z. B., unbedingt festhalte an der Übereinstimmung mit der englischen Regierung und an dem Entschluß, sobald wir mit derselben in Übereinstimmung sind, gemeinsam vorzugehn, und sobald wir das nicht sind, uns zu enthalten oder mit Zurückhaltung zu verfahren. Ich betrachte Eng¬ land als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit den? wir keine streitigen Interessen haben; wen» ich sage »Bundesgenossen«, so ist das in diplomatischem Sinne zu fassen; wir haben keine Verträge mit England; aber ich wünsche die Fühlung, die wir seit nnn doch mindestens hundertfünfzig Jahren mit England gehabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen. Und wenn mir nachgewiesen würde, daß wir die verlieren, so würde ich vor¬ sichtig werden und den Verlust zu verhüten suchen." Nach seiner Entlassung hat der Fürst ebenfalls noch Gelegenheit ge¬ nommen, sich über die deutsch-englischen Beziehungen auszusprechen, so z. B. am 2. Juli 1890 gegenüber einer Anzahl englischer Besucher in Friedrichs- wh. Den Bericht der?unes8 darüber übernehmen die „Hamburger Nachrichten" und ergänzen ihn auf Grund authentischer Erkundigung. Der Fürst hat damals gesagt: „Der Handel ist der große Beförderer der Zivilisation und hat viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/157>, abgerufen am 03.07.2024.