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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Thomas Babingtcm Macaulciy

denken; er findet dafür den schönen Vergleich: "Wohl mag eine einzelne
Brandungswelle zurückweichen, aber die Flut kommt sicherlich herein,"

3

Aber so sehr man sich auch an dem gesunden Sinn Macaulays und an
seiner milden Auffassung erfreuen mag, so groß auch seine Gelehrsamkeit sein
mag, und infolgedessen das Vertrauen des Lesers in die Festigkeit des Bodens,
auf den ihn der Historiker führt, ein drittes muß doch noch hinzukommen, wo¬
durch erst der ganz ungewöhnlich große Erfolg seiner Schriften erklärt werden
kann: dieses dritte ist seine litterarisch-künstlerische Gestaltungskraft.

Wir nehmen dem Verdienste Macaulays nichts, wenn wir bei dieser Ge¬
legenheit seine Abhängigkeit von seiner Zeit feststellen. Als er anfing, für die
DäinvnrAN Rovisv zu schreiben -- sein erster Aufsatz für diese Zeitschrift war
bekanntlich der über Milton aus dem Jahre 1825 --, da stand schon der
Ruhm des Schöpfers von Wcwerley, Ivanhoe und Kenilworth auf seinem
Höhepunkte. England begeisterte sich damals für die Romane, die ihm zu¬
gleich mit einer spannenden Handlung, die der Phantasie des Dichters ihren
Ursprung verdankte, ein treues Bild seiner Vergangenheit gewährte oder
wenigstens zu gewähren vorgab. Macaulay strebte danach, geschichtliche Stoffe
so zu behandeln, daß sie dein großen gebildeten Publikum ebenso anziehend
wären wie ein Roman, jedoch so, daß nicht ein einziger Zug erwähnt würde,
der nicht ausreichend bezeugt wäre: der Historiker hatte vom Dichter gelernt.
Ja, Mamulay geht uoch weiter. Er findet, daß die Geschichte seltsamere
Dinge berichtet als die Poesie; daß die Natur Launen hat, die die Kunst nicht
nachzuahmen wagt. Als er von dein Ehebruch des katholisch-frommglüubigen
Königs Jakobs II. mit Katherine settes spricht und die Intriguen berichtet,
die der orthodoxe Schatzmeister Rochester anspinnt, um den Einfluß der seiner
Partei ergebner Dirne zu stärke", da hält er in seiner Erzählung inne und
fügt diese Bemerkung ein: kein Dramatiker würde es wagen, einen Fürsten
darzustellen, der seine Krone aufs Spiel setzt, um den Interessen seiner Reli¬
gion zu dienen, und der doch seine schöne und junge Fran betrügt um einer
häßlichen und alten Buhlerin willen'; und ebenso wenig würde er es wagen,
einen Staatsmann hinzustellen, der sich zum Kuppler hergiebt und sich darin
noch von seiner Frau unterstützen läßt, und der zur selben Zeit in seinen
Mußestunden religiöse Meditationen niederschreibe, die nur für sein Auge be¬
stimmt sind und den Geist tiefster Frömmigkeit atmen."

Daß es Macaulay gelungen ist, eine Spannung in dem Leser zu erwecken
wie bei der Lektüre eines Romans, wird jeder zugeben, der die Schilderung
bon dem Tode Karls II. gelesen hat oder die von Argylcs Landung in Schott¬
land (Listoi,^ 2, 124), oder die Stellen, in denen er beschreibt, wie Karl VI. von
Spanien der Gruft seiner Väter einen Besuch abstattet. Wir können auch im
einzelnen beobachten, wie sich Macaulay die Technik des Romans angeeignet
hat. Wenn die Erzählung an einen bedeutsamen Punkt gelangt ist, dann läßt


Thomas Babingtcm Macaulciy

denken; er findet dafür den schönen Vergleich: „Wohl mag eine einzelne
Brandungswelle zurückweichen, aber die Flut kommt sicherlich herein,"

3

Aber so sehr man sich auch an dem gesunden Sinn Macaulays und an
seiner milden Auffassung erfreuen mag, so groß auch seine Gelehrsamkeit sein
mag, und infolgedessen das Vertrauen des Lesers in die Festigkeit des Bodens,
auf den ihn der Historiker führt, ein drittes muß doch noch hinzukommen, wo¬
durch erst der ganz ungewöhnlich große Erfolg seiner Schriften erklärt werden
kann: dieses dritte ist seine litterarisch-künstlerische Gestaltungskraft.

Wir nehmen dem Verdienste Macaulays nichts, wenn wir bei dieser Ge¬
legenheit seine Abhängigkeit von seiner Zeit feststellen. Als er anfing, für die
DäinvnrAN Rovisv zu schreiben — sein erster Aufsatz für diese Zeitschrift war
bekanntlich der über Milton aus dem Jahre 1825 —, da stand schon der
Ruhm des Schöpfers von Wcwerley, Ivanhoe und Kenilworth auf seinem
Höhepunkte. England begeisterte sich damals für die Romane, die ihm zu¬
gleich mit einer spannenden Handlung, die der Phantasie des Dichters ihren
Ursprung verdankte, ein treues Bild seiner Vergangenheit gewährte oder
wenigstens zu gewähren vorgab. Macaulay strebte danach, geschichtliche Stoffe
so zu behandeln, daß sie dein großen gebildeten Publikum ebenso anziehend
wären wie ein Roman, jedoch so, daß nicht ein einziger Zug erwähnt würde,
der nicht ausreichend bezeugt wäre: der Historiker hatte vom Dichter gelernt.
Ja, Mamulay geht uoch weiter. Er findet, daß die Geschichte seltsamere
Dinge berichtet als die Poesie; daß die Natur Launen hat, die die Kunst nicht
nachzuahmen wagt. Als er von dein Ehebruch des katholisch-frommglüubigen
Königs Jakobs II. mit Katherine settes spricht und die Intriguen berichtet,
die der orthodoxe Schatzmeister Rochester anspinnt, um den Einfluß der seiner
Partei ergebner Dirne zu stärke», da hält er in seiner Erzählung inne und
fügt diese Bemerkung ein: kein Dramatiker würde es wagen, einen Fürsten
darzustellen, der seine Krone aufs Spiel setzt, um den Interessen seiner Reli¬
gion zu dienen, und der doch seine schöne und junge Fran betrügt um einer
häßlichen und alten Buhlerin willen'; und ebenso wenig würde er es wagen,
einen Staatsmann hinzustellen, der sich zum Kuppler hergiebt und sich darin
noch von seiner Frau unterstützen läßt, und der zur selben Zeit in seinen
Mußestunden religiöse Meditationen niederschreibe, die nur für sein Auge be¬
stimmt sind und den Geist tiefster Frömmigkeit atmen."

Daß es Macaulay gelungen ist, eine Spannung in dem Leser zu erwecken
wie bei der Lektüre eines Romans, wird jeder zugeben, der die Schilderung
bon dem Tode Karls II. gelesen hat oder die von Argylcs Landung in Schott¬
land (Listoi,^ 2, 124), oder die Stellen, in denen er beschreibt, wie Karl VI. von
Spanien der Gruft seiner Väter einen Besuch abstattet. Wir können auch im
einzelnen beobachten, wie sich Macaulay die Technik des Romans angeeignet
hat. Wenn die Erzählung an einen bedeutsamen Punkt gelangt ist, dann läßt


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[0135] Thomas Babingtcm Macaulciy denken; er findet dafür den schönen Vergleich: „Wohl mag eine einzelne Brandungswelle zurückweichen, aber die Flut kommt sicherlich herein," 3 Aber so sehr man sich auch an dem gesunden Sinn Macaulays und an seiner milden Auffassung erfreuen mag, so groß auch seine Gelehrsamkeit sein mag, und infolgedessen das Vertrauen des Lesers in die Festigkeit des Bodens, auf den ihn der Historiker führt, ein drittes muß doch noch hinzukommen, wo¬ durch erst der ganz ungewöhnlich große Erfolg seiner Schriften erklärt werden kann: dieses dritte ist seine litterarisch-künstlerische Gestaltungskraft. Wir nehmen dem Verdienste Macaulays nichts, wenn wir bei dieser Ge¬ legenheit seine Abhängigkeit von seiner Zeit feststellen. Als er anfing, für die DäinvnrAN Rovisv zu schreiben — sein erster Aufsatz für diese Zeitschrift war bekanntlich der über Milton aus dem Jahre 1825 —, da stand schon der Ruhm des Schöpfers von Wcwerley, Ivanhoe und Kenilworth auf seinem Höhepunkte. England begeisterte sich damals für die Romane, die ihm zu¬ gleich mit einer spannenden Handlung, die der Phantasie des Dichters ihren Ursprung verdankte, ein treues Bild seiner Vergangenheit gewährte oder wenigstens zu gewähren vorgab. Macaulay strebte danach, geschichtliche Stoffe so zu behandeln, daß sie dein großen gebildeten Publikum ebenso anziehend wären wie ein Roman, jedoch so, daß nicht ein einziger Zug erwähnt würde, der nicht ausreichend bezeugt wäre: der Historiker hatte vom Dichter gelernt. Ja, Mamulay geht uoch weiter. Er findet, daß die Geschichte seltsamere Dinge berichtet als die Poesie; daß die Natur Launen hat, die die Kunst nicht nachzuahmen wagt. Als er von dein Ehebruch des katholisch-frommglüubigen Königs Jakobs II. mit Katherine settes spricht und die Intriguen berichtet, die der orthodoxe Schatzmeister Rochester anspinnt, um den Einfluß der seiner Partei ergebner Dirne zu stärke», da hält er in seiner Erzählung inne und fügt diese Bemerkung ein: kein Dramatiker würde es wagen, einen Fürsten darzustellen, der seine Krone aufs Spiel setzt, um den Interessen seiner Reli¬ gion zu dienen, und der doch seine schöne und junge Fran betrügt um einer häßlichen und alten Buhlerin willen'; und ebenso wenig würde er es wagen, einen Staatsmann hinzustellen, der sich zum Kuppler hergiebt und sich darin noch von seiner Frau unterstützen läßt, und der zur selben Zeit in seinen Mußestunden religiöse Meditationen niederschreibe, die nur für sein Auge be¬ stimmt sind und den Geist tiefster Frömmigkeit atmen." Daß es Macaulay gelungen ist, eine Spannung in dem Leser zu erwecken wie bei der Lektüre eines Romans, wird jeder zugeben, der die Schilderung bon dem Tode Karls II. gelesen hat oder die von Argylcs Landung in Schott¬ land (Listoi,^ 2, 124), oder die Stellen, in denen er beschreibt, wie Karl VI. von Spanien der Gruft seiner Väter einen Besuch abstattet. Wir können auch im einzelnen beobachten, wie sich Macaulay die Technik des Romans angeeignet hat. Wenn die Erzählung an einen bedeutsamen Punkt gelangt ist, dann läßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/135>, abgerufen am 03.07.2024.