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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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schaftlich theoretisches Produkt als eine unmittelbare Empfindung, und die
Massen, die sich 1848 gegen die alten Zustünde erhoben, erstrebten überhaupt
nicht die Einheit, sondern die Freiheit. An diesem innern Widerspruch und
an dem Widerstande oder dem Kleinmut der Regierungen scheiterte die große
volkstümliche Bewegung der Sturmjahre. Aber das Ziel war erkannt, und
unvergessen blieb das Frankfurter Parlament, das es zum erstenmal wieder
gewagt hatte, einen deutschen Kaiser zu küren, und das an geistigem Adel einzig
geblieben ist, denn es vereinigte in der That die geistige Aristokratie der Nation,
alle die großen Namen der deutschen Wissenschaft. Darum wirkte die Er¬
innerung daran gerade ans die wissenschaftliche Erkenntnis so stark hinüber.
Theodor Mommsen, der seine nationale Gesinnung mit dem Verluste seiner
Leipziger Stellung büßen mußte, sprach es in seiner Römischen Geschichte (1851)
zuerst aus, daß diese römische Geschichte der Thpns der nationalen Entwicklung
sei, und daß er deshalb nicht etwa die Geschichte der Stadt Rom erzählen
wolle, sondern die des von Rom geeinten Italiens. Ich kann mich noch
deutlich daran erinnern, wie sehr mich das befremdete, als ich es zum ersten¬
mal las. Also alle die blutigen Kriege gegen die italischen Stamme, bei denen
ich als Schüler natürlich die Partei der heldenmütigen Samniter genommen
hatte, und der Hannibcilische Krieg, bei dem ich mich selbstverständlich für den
großen Punier begeistert hatte, das sollten nicht nur Eroberungskriege dieser
hartem, unliebenswürdigen Römer gewesen sein, sondern auch und vor allem
Kämpfe um die Einigung Italiens und für ihre Behauptung gegen den furcht¬
baren semitischen Landesfeind? Natürlich, wir lebten damals in der Zeit der
Turner-, Sänger- und Schützenfeste; wir glaubten alles Ernstes, daß die
deutschen "Stämme" einander alle brüderlich liebte" und nur darauf warteten,
einander gerührt in die Arme zu sinken, wie es ja Turner, Sänger und
Schützen bei jedem Feste thaten, wenn nur die bösen Regierungen es endlich
erlauben wollten, und wir ahnten gar nicht, wie viel Eigensinn, Haß und
Neid unter ihnen lebte, und wie jeder "Stamm," jedes "Lündle" zwar die
deutsche Einheit wollte, aber nur unter der Bedingung, daß dabei jede "be¬
rechtigte Eigentümlichkeit" -- und berechtigt waren sie alle -- sorgfältig ge¬
schont werde. Oder wenn wir einmal daran dachten und sahen, wie oft
Einigungsversuche fehlgeschlagen waren, dann nahmen wir unsre gelehrte
Bildung zu Hilfe und suchten -- echt deutsch -- Trost bei der philosophischen
Erwägung, daß Deutschland das Griechenland des Altertums sei. Ich muß
allerdings gestehn, daß ich, als mir dieses Thema einmal in Prima zugemutet
wurde, trotzig die Widerlegung dieses resignierten niebuhrschen Satzes unter-
nahm. Schließlich sollte ich Recht behalten; aber daß die Einheit einer Nation
nicht mit Reden und Trinksprüchen und patriotische!, Liedern gemacht werde,
auch nicht mit Zeitungsartikeln und Majoritätsbeschlüssen, sondern "mit Blut
und Eisen," unter schweren Kämpfen, das lehrten uns erst die Sommerwochen
von 1866, und wir sahen auch, daß es niemals anders gewesen sei, daß viel¬
mehr alle die großen europäischen Kulturvölker, Engländer, Spanier, Franzosen,


schaftlich theoretisches Produkt als eine unmittelbare Empfindung, und die
Massen, die sich 1848 gegen die alten Zustünde erhoben, erstrebten überhaupt
nicht die Einheit, sondern die Freiheit. An diesem innern Widerspruch und
an dem Widerstande oder dem Kleinmut der Regierungen scheiterte die große
volkstümliche Bewegung der Sturmjahre. Aber das Ziel war erkannt, und
unvergessen blieb das Frankfurter Parlament, das es zum erstenmal wieder
gewagt hatte, einen deutschen Kaiser zu küren, und das an geistigem Adel einzig
geblieben ist, denn es vereinigte in der That die geistige Aristokratie der Nation,
alle die großen Namen der deutschen Wissenschaft. Darum wirkte die Er¬
innerung daran gerade ans die wissenschaftliche Erkenntnis so stark hinüber.
Theodor Mommsen, der seine nationale Gesinnung mit dem Verluste seiner
Leipziger Stellung büßen mußte, sprach es in seiner Römischen Geschichte (1851)
zuerst aus, daß diese römische Geschichte der Thpns der nationalen Entwicklung
sei, und daß er deshalb nicht etwa die Geschichte der Stadt Rom erzählen
wolle, sondern die des von Rom geeinten Italiens. Ich kann mich noch
deutlich daran erinnern, wie sehr mich das befremdete, als ich es zum ersten¬
mal las. Also alle die blutigen Kriege gegen die italischen Stamme, bei denen
ich als Schüler natürlich die Partei der heldenmütigen Samniter genommen
hatte, und der Hannibcilische Krieg, bei dem ich mich selbstverständlich für den
großen Punier begeistert hatte, das sollten nicht nur Eroberungskriege dieser
hartem, unliebenswürdigen Römer gewesen sein, sondern auch und vor allem
Kämpfe um die Einigung Italiens und für ihre Behauptung gegen den furcht¬
baren semitischen Landesfeind? Natürlich, wir lebten damals in der Zeit der
Turner-, Sänger- und Schützenfeste; wir glaubten alles Ernstes, daß die
deutschen „Stämme" einander alle brüderlich liebte» und nur darauf warteten,
einander gerührt in die Arme zu sinken, wie es ja Turner, Sänger und
Schützen bei jedem Feste thaten, wenn nur die bösen Regierungen es endlich
erlauben wollten, und wir ahnten gar nicht, wie viel Eigensinn, Haß und
Neid unter ihnen lebte, und wie jeder „Stamm," jedes „Lündle" zwar die
deutsche Einheit wollte, aber nur unter der Bedingung, daß dabei jede „be¬
rechtigte Eigentümlichkeit" — und berechtigt waren sie alle — sorgfältig ge¬
schont werde. Oder wenn wir einmal daran dachten und sahen, wie oft
Einigungsversuche fehlgeschlagen waren, dann nahmen wir unsre gelehrte
Bildung zu Hilfe und suchten — echt deutsch — Trost bei der philosophischen
Erwägung, daß Deutschland das Griechenland des Altertums sei. Ich muß
allerdings gestehn, daß ich, als mir dieses Thema einmal in Prima zugemutet
wurde, trotzig die Widerlegung dieses resignierten niebuhrschen Satzes unter-
nahm. Schließlich sollte ich Recht behalten; aber daß die Einheit einer Nation
nicht mit Reden und Trinksprüchen und patriotische!, Liedern gemacht werde,
auch nicht mit Zeitungsartikeln und Majoritätsbeschlüssen, sondern „mit Blut
und Eisen," unter schweren Kämpfen, das lehrten uns erst die Sommerwochen
von 1866, und wir sahen auch, daß es niemals anders gewesen sei, daß viel¬
mehr alle die großen europäischen Kulturvölker, Engländer, Spanier, Franzosen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/13>, abgerufen am 01.07.2024.