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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Städte die Wohnungsinspektion einem besondern Beamten ausschließlich oder
doch als Hauptbeschäftigung zu übertragen; und da von diesem Recht in beiden
Ländern vielfach Gebrauch gemacht wurde, so hat die Wohnungsinspektion
gerade dort, wo sie ursprünglich der Polizei vorbehalten ist, recht verschiedenartige
Wege eingeschlagen, die sich zum Teil sogar jenem andern System beträchtlich
nähern. So z, B, sind in Elberfeld zwei ältere erfahrne Polizeiwachtmeister,
die ihren Dienst in Zivil thun, ausschließlich mit der Wohnungspflege betraut;
in Essen ist seit 1899 ein Bauführer förmlich zum Wohnungsinspektor ernannt.
In Duisburg sind auf Grund jener Anweisung des Regierungspräsidenten
geradezu Wohnungskommissionen für die einzelnen Polizeibezirke gebildet, die
aus einem Arzt, einem Bauverstündigen und einem Polizeikommissar bestehn.
In Hessen haben mehrere Städte die eigentliche Wohnungsinspektion Armen¬
ärzten oder einem bautechnisch vorgebildeten Beamten übertragen. So sind
also heute in Deutschland die verschiedenartigsten Formen der Wohnungspflege
in Wirksamkeit, und es liegt darum nahe, ihre Leistungen miteinander zu ver¬
gleichen und so zu einem Urteil über den Vorzug des einen oder des andern
Systems zu gelangen. Aber was Goltz in dieser Beziehung auf Grund einer
Umfrage bei den fünfundfünfzig Städten über 50000 Einwohner beibringt, ist
leider nicht geeignet, diese Erwartung zu erfüllen. Das ist natürlich nicht
seine Schuld, vielmehr liegt -- begreiflich genug -- die Sache so, daß schlie߬
lich alle Städte mit ihren verschiednen Organisationen der Wohnungsinspektion
zufrieden sind und Erfolge damit erreicht haben, die sich unmöglich gegenein¬
ander abwägen lassen -- übrigens ein Ergebnis, das auch nicht ohne Wert ist.

Interessanter sind die Antworten der Städte auf eine andre Frage, die
v. d. Goltz an sie gerichtet hat, ob sie nämlich "ein Bedürfnis des Eingreifens
der Reichsgesetzgebung auf dem Gebiete der Wohnungsfrage, insbesondre
in Bezug auf die Wohnungsinspektion," anerkennen. Dreiundvierzig Städte
haben diese Frage beantwortet, und zwar zweiunddreißig mit nein und nur
neun mit ja. Am wichtigsten ist dabei die Stellungnahme der Städte, die
schon eine eigne Wohnungsinspektion haben. Von diesen haben sich über¬
haupt nur zwei unbedingt für ein Reichsgesetz allsgesprochen, nämlich Stra߬
burg und Mannheim, was dort wohl auf den Einfluß von Goltz selbst, hier
auf den des Oberbürgermeisters Beck, eines warmen Anhängers der reichs¬
gesetzlichen Regelung, zurückzuführen ist. Alle andern haben sich entweder un¬
bedingt dagegen oder nur sehr mit Vorbehalt dafür erklärt. Das kann kein
Zufall sein, und wenn Goltz meint, es sei nicht schön, das Gute, das man
selbst besitzt, nicht auch andern zu gönnen, so verkennt er doch wohl, was in
Wirklichkeit diese Städte zu ihrer Stellungnahme bewogen hat. Offenbar
befürchten diese, daß ein Reichsgesetz ihnen eine Organisation aufzwingt, die
die von ihnen selbst mühsam geschaffnen Einrichtungen vernichtet, und die sie
deshalb nicht haben wollen. Dies giebt aber, wie mir scheint, einen wichtigen
Fingerzeig für alle die, die ein Reichswohnungsgesetz wünschen: wenn sie nicht
von vornherein an diesem nicht unberechtigten Partikularismus einen heftigen


Städte die Wohnungsinspektion einem besondern Beamten ausschließlich oder
doch als Hauptbeschäftigung zu übertragen; und da von diesem Recht in beiden
Ländern vielfach Gebrauch gemacht wurde, so hat die Wohnungsinspektion
gerade dort, wo sie ursprünglich der Polizei vorbehalten ist, recht verschiedenartige
Wege eingeschlagen, die sich zum Teil sogar jenem andern System beträchtlich
nähern. So z, B, sind in Elberfeld zwei ältere erfahrne Polizeiwachtmeister,
die ihren Dienst in Zivil thun, ausschließlich mit der Wohnungspflege betraut;
in Essen ist seit 1899 ein Bauführer förmlich zum Wohnungsinspektor ernannt.
In Duisburg sind auf Grund jener Anweisung des Regierungspräsidenten
geradezu Wohnungskommissionen für die einzelnen Polizeibezirke gebildet, die
aus einem Arzt, einem Bauverstündigen und einem Polizeikommissar bestehn.
In Hessen haben mehrere Städte die eigentliche Wohnungsinspektion Armen¬
ärzten oder einem bautechnisch vorgebildeten Beamten übertragen. So sind
also heute in Deutschland die verschiedenartigsten Formen der Wohnungspflege
in Wirksamkeit, und es liegt darum nahe, ihre Leistungen miteinander zu ver¬
gleichen und so zu einem Urteil über den Vorzug des einen oder des andern
Systems zu gelangen. Aber was Goltz in dieser Beziehung auf Grund einer
Umfrage bei den fünfundfünfzig Städten über 50000 Einwohner beibringt, ist
leider nicht geeignet, diese Erwartung zu erfüllen. Das ist natürlich nicht
seine Schuld, vielmehr liegt — begreiflich genug — die Sache so, daß schlie߬
lich alle Städte mit ihren verschiednen Organisationen der Wohnungsinspektion
zufrieden sind und Erfolge damit erreicht haben, die sich unmöglich gegenein¬
ander abwägen lassen — übrigens ein Ergebnis, das auch nicht ohne Wert ist.

Interessanter sind die Antworten der Städte auf eine andre Frage, die
v. d. Goltz an sie gerichtet hat, ob sie nämlich „ein Bedürfnis des Eingreifens
der Reichsgesetzgebung auf dem Gebiete der Wohnungsfrage, insbesondre
in Bezug auf die Wohnungsinspektion," anerkennen. Dreiundvierzig Städte
haben diese Frage beantwortet, und zwar zweiunddreißig mit nein und nur
neun mit ja. Am wichtigsten ist dabei die Stellungnahme der Städte, die
schon eine eigne Wohnungsinspektion haben. Von diesen haben sich über¬
haupt nur zwei unbedingt für ein Reichsgesetz allsgesprochen, nämlich Stra߬
burg und Mannheim, was dort wohl auf den Einfluß von Goltz selbst, hier
auf den des Oberbürgermeisters Beck, eines warmen Anhängers der reichs¬
gesetzlichen Regelung, zurückzuführen ist. Alle andern haben sich entweder un¬
bedingt dagegen oder nur sehr mit Vorbehalt dafür erklärt. Das kann kein
Zufall sein, und wenn Goltz meint, es sei nicht schön, das Gute, das man
selbst besitzt, nicht auch andern zu gönnen, so verkennt er doch wohl, was in
Wirklichkeit diese Städte zu ihrer Stellungnahme bewogen hat. Offenbar
befürchten diese, daß ein Reichsgesetz ihnen eine Organisation aufzwingt, die
die von ihnen selbst mühsam geschaffnen Einrichtungen vernichtet, und die sie
deshalb nicht haben wollen. Dies giebt aber, wie mir scheint, einen wichtigen
Fingerzeig für alle die, die ein Reichswohnungsgesetz wünschen: wenn sie nicht
von vornherein an diesem nicht unberechtigten Partikularismus einen heftigen


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[0127] Städte die Wohnungsinspektion einem besondern Beamten ausschließlich oder doch als Hauptbeschäftigung zu übertragen; und da von diesem Recht in beiden Ländern vielfach Gebrauch gemacht wurde, so hat die Wohnungsinspektion gerade dort, wo sie ursprünglich der Polizei vorbehalten ist, recht verschiedenartige Wege eingeschlagen, die sich zum Teil sogar jenem andern System beträchtlich nähern. So z, B, sind in Elberfeld zwei ältere erfahrne Polizeiwachtmeister, die ihren Dienst in Zivil thun, ausschließlich mit der Wohnungspflege betraut; in Essen ist seit 1899 ein Bauführer förmlich zum Wohnungsinspektor ernannt. In Duisburg sind auf Grund jener Anweisung des Regierungspräsidenten geradezu Wohnungskommissionen für die einzelnen Polizeibezirke gebildet, die aus einem Arzt, einem Bauverstündigen und einem Polizeikommissar bestehn. In Hessen haben mehrere Städte die eigentliche Wohnungsinspektion Armen¬ ärzten oder einem bautechnisch vorgebildeten Beamten übertragen. So sind also heute in Deutschland die verschiedenartigsten Formen der Wohnungspflege in Wirksamkeit, und es liegt darum nahe, ihre Leistungen miteinander zu ver¬ gleichen und so zu einem Urteil über den Vorzug des einen oder des andern Systems zu gelangen. Aber was Goltz in dieser Beziehung auf Grund einer Umfrage bei den fünfundfünfzig Städten über 50000 Einwohner beibringt, ist leider nicht geeignet, diese Erwartung zu erfüllen. Das ist natürlich nicht seine Schuld, vielmehr liegt — begreiflich genug — die Sache so, daß schlie߬ lich alle Städte mit ihren verschiednen Organisationen der Wohnungsinspektion zufrieden sind und Erfolge damit erreicht haben, die sich unmöglich gegenein¬ ander abwägen lassen — übrigens ein Ergebnis, das auch nicht ohne Wert ist. Interessanter sind die Antworten der Städte auf eine andre Frage, die v. d. Goltz an sie gerichtet hat, ob sie nämlich „ein Bedürfnis des Eingreifens der Reichsgesetzgebung auf dem Gebiete der Wohnungsfrage, insbesondre in Bezug auf die Wohnungsinspektion," anerkennen. Dreiundvierzig Städte haben diese Frage beantwortet, und zwar zweiunddreißig mit nein und nur neun mit ja. Am wichtigsten ist dabei die Stellungnahme der Städte, die schon eine eigne Wohnungsinspektion haben. Von diesen haben sich über¬ haupt nur zwei unbedingt für ein Reichsgesetz allsgesprochen, nämlich Stra߬ burg und Mannheim, was dort wohl auf den Einfluß von Goltz selbst, hier auf den des Oberbürgermeisters Beck, eines warmen Anhängers der reichs¬ gesetzlichen Regelung, zurückzuführen ist. Alle andern haben sich entweder un¬ bedingt dagegen oder nur sehr mit Vorbehalt dafür erklärt. Das kann kein Zufall sein, und wenn Goltz meint, es sei nicht schön, das Gute, das man selbst besitzt, nicht auch andern zu gönnen, so verkennt er doch wohl, was in Wirklichkeit diese Städte zu ihrer Stellungnahme bewogen hat. Offenbar befürchten diese, daß ein Reichsgesetz ihnen eine Organisation aufzwingt, die die von ihnen selbst mühsam geschaffnen Einrichtungen vernichtet, und die sie deshalb nicht haben wollen. Dies giebt aber, wie mir scheint, einen wichtigen Fingerzeig für alle die, die ein Reichswohnungsgesetz wünschen: wenn sie nicht von vornherein an diesem nicht unberechtigten Partikularismus einen heftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/127>, abgerufen am 03.07.2024.