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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Es war klar, daß die so geschaffne Gesamtmasse der Unterthanen von
dem Recht der Selbstbestimmung ans die Dauer nicht ausgeschlossen werden
konnte. Würde es gelingen, die Interessenkonflikte zwischen Volk und Mon¬
archen auf gütlichem Wege beizulegen, oder war eine Wiederholung der
französischen Revolntionsvorgänge auf deutschem Boden unvermeidlich? Hier
zeigte sich doch, daß die großen preußischen Monarchen des siebzehnten und
des achtzehnten Jahrhunderts nicht umsonst in aufopfernder Pflichterfüllung
die Gesamtwohlfahrt zur Richtschnur des Handelns genommen hatten. Das
Vertrauen, das sie erworben hatten, übertrug sich, wenn nicht ohne weiteres
auf die Personen ihrer Nachfolger, so doch auf die monarchische Institution,
Die Zahl der Leute, die in Preußen die Monarchie grundsätzlich beseitigt ivisfcu
wollte", war gering. Und umgekehrt war von den Zeiten des Großen Kur¬
fürsten und Friedrichs des Großen her deu preußischen Herrschern der innere
Kontakt mit dem Empfindungsleben ihrer Unterthanen nicht verloren gegangen.
Über all den Schroffheiten der preußischen Reaktion im beginnenden neun¬
zehnten Jahrhundert sollte man doch nie vergessen, daß Friedrich Wilhelm IV,,
als er im Jahre 1848 seinem Volke die konstitutionelle Verfassung gab, einen
immerhin freiwilligen Rechtsverzicht vollzog. Es ist eine Handlungsweise, die
für tausend Verhältnisse der Gegenwart vorbildlich sein könnte.

Freilich war ein zweiter Umstand hinzugekommen. Was der auf eine
Teilnahme am Staatsleben gerichteten Volksbewegung so unwiderstehliche Kraft
verlieh, war, daß sie getragen und geadelt wurde von nationaler Begeisterung,
Die Dichter und Denker des achtzehnten Jahrhunderts hatten mit ihren
Schöpfungen ein geistiges Band um das gesamte deutsche Volk geschlungen;
das Elend der napoleonischen Zwingherrschaft hatte dieses Gemeinschafts¬
bewußtsein nur gestärkt und vertieft; in den Freiheitskämpfen der Jahre
1813/15 erhielt es die greifbare Gestalt des Verlangens nach einem geeinigten
nationalen Staatswesen, Als diese nationale Einigung mit der Gründung
des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867 begonnen wurde und in den Jahren
1870/71 mit dem Blute der gefallnen Krieger besiegelt war, da konnte es
niemand zweifelhaft sein: den neuen Verhältnissen entsprach ein absolutistisches
Kaisertum uicht mehr. Wie von selbst verstand es sich, daß dem Volke ein
weitgehender Anteil am Staatsleben gewährt wurde. Im neuen Deutschen
Reiche wurde der Absolutismus endgiltig abgelöst durch die konstitutionelle
Monarchie, Damit schließe ich den Überblick über die Entwicklung der deutschen
Monarchie, denn ein Eingehn auf die zuletzt genannte Verfassungsform, auf
deren Boden wir noch heute stehn, würde unmittelbar in die Probleme und
Kämpfe der Gegenwart hinüberführen.




Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Es war klar, daß die so geschaffne Gesamtmasse der Unterthanen von
dem Recht der Selbstbestimmung ans die Dauer nicht ausgeschlossen werden
konnte. Würde es gelingen, die Interessenkonflikte zwischen Volk und Mon¬
archen auf gütlichem Wege beizulegen, oder war eine Wiederholung der
französischen Revolntionsvorgänge auf deutschem Boden unvermeidlich? Hier
zeigte sich doch, daß die großen preußischen Monarchen des siebzehnten und
des achtzehnten Jahrhunderts nicht umsonst in aufopfernder Pflichterfüllung
die Gesamtwohlfahrt zur Richtschnur des Handelns genommen hatten. Das
Vertrauen, das sie erworben hatten, übertrug sich, wenn nicht ohne weiteres
auf die Personen ihrer Nachfolger, so doch auf die monarchische Institution,
Die Zahl der Leute, die in Preußen die Monarchie grundsätzlich beseitigt ivisfcu
wollte», war gering. Und umgekehrt war von den Zeiten des Großen Kur¬
fürsten und Friedrichs des Großen her deu preußischen Herrschern der innere
Kontakt mit dem Empfindungsleben ihrer Unterthanen nicht verloren gegangen.
Über all den Schroffheiten der preußischen Reaktion im beginnenden neun¬
zehnten Jahrhundert sollte man doch nie vergessen, daß Friedrich Wilhelm IV,,
als er im Jahre 1848 seinem Volke die konstitutionelle Verfassung gab, einen
immerhin freiwilligen Rechtsverzicht vollzog. Es ist eine Handlungsweise, die
für tausend Verhältnisse der Gegenwart vorbildlich sein könnte.

Freilich war ein zweiter Umstand hinzugekommen. Was der auf eine
Teilnahme am Staatsleben gerichteten Volksbewegung so unwiderstehliche Kraft
verlieh, war, daß sie getragen und geadelt wurde von nationaler Begeisterung,
Die Dichter und Denker des achtzehnten Jahrhunderts hatten mit ihren
Schöpfungen ein geistiges Band um das gesamte deutsche Volk geschlungen;
das Elend der napoleonischen Zwingherrschaft hatte dieses Gemeinschafts¬
bewußtsein nur gestärkt und vertieft; in den Freiheitskämpfen der Jahre
1813/15 erhielt es die greifbare Gestalt des Verlangens nach einem geeinigten
nationalen Staatswesen, Als diese nationale Einigung mit der Gründung
des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867 begonnen wurde und in den Jahren
1870/71 mit dem Blute der gefallnen Krieger besiegelt war, da konnte es
niemand zweifelhaft sein: den neuen Verhältnissen entsprach ein absolutistisches
Kaisertum uicht mehr. Wie von selbst verstand es sich, daß dem Volke ein
weitgehender Anteil am Staatsleben gewährt wurde. Im neuen Deutschen
Reiche wurde der Absolutismus endgiltig abgelöst durch die konstitutionelle
Monarchie, Damit schließe ich den Überblick über die Entwicklung der deutschen
Monarchie, denn ein Eingehn auf die zuletzt genannte Verfassungsform, auf
deren Boden wir noch heute stehn, würde unmittelbar in die Probleme und
Kämpfe der Gegenwart hinüberführen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/125>, abgerufen am 03.07.2024.