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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Minimalzölle im Generaltarif

karische Partei von sich, mag sie in der Mehrheit oder in der Minderheit sein.
Aber wenn sie in der Mehrheit ist. hat sie dazu auch nicht einen Funken mehr
Recht, ja sie wird dadurch in der Regel vielmehr für das Gesamtinteresse nur
um so gefährlicher. Es hieße das Wesen und den Zweck unsrer monarchischen
Institution leugnen, wollte man die Pflicht des Kaisers bestreiten, gegen die
Macht der parlamentarischen Mehrheit seine Macht in die Wagschale zu werfen,
d. h. in diesem Fall gegen zu hohe Agrarzvlle aufzutreten und so niedrige
durchzusetzen, daß die von ihm im Gesamtinteresse für nötig erkannte Handels-
vertrngspolitik nicht unmöglich gemacht oder unerträglich erschwert wird. Mit
einer fast überraschenden Versöhnlichkeit, die nach dem fast zehn Jahre lang fort¬
gesetzten sachlich und in der Form mehr als ungehörigen Verhalten der agrarisch¬
konservativen Fronde gegen den Kaiser gar nicht hoch genug angeschlagen
werden kann, hat der Reichskanzler der parlamentarischen Mehrheit erklärt,
daß die Regierung mit ihr, nicht gegen sie die Agrarzollfrage regeln wolle.
Aber verzichtet hat der Kaiser noch lange nicht auf sein Recht, die Regelung
much gegen den Willen der Agrarier durchzuführen, wenn diese und die Reichs¬
tagsmehrheit nicht rechtzeitig zur Besinnung kommen und von dein Versuch
abstehn, dnrch ihre Macht die kaiserliche Pflichterfüllung zu vereiteln. Die
Herren Agrarier sollten nicht vergessen, daß bei fernerm Widerstande sich der
Kaiser nicht nur das Recht, sondern unter Umständen auch die Pflicht zu¬
sprechen könnte, die Parlamentsmehrheit einfach dadurch muss trockne zu setzen,
daß er die laufenden Handelsverträge vorläufig nicht kündigen läßt. Wir halten
eine Revision der Handelsverträge aus verschiednen Gründen für dringend er¬
wünscht, aber wenn es zur Wahl kommt zwischen der Verlängerung des heutigen
Verhältnisses um einige Jahre einerseits und einem Zollkrieg von unabsehbarer
Dauer oder dem definitiven Absperrungssystem im extremen agrarischen hoch-
schutzzölluerischcn Sinne andrerseits, dann ist gerade vom vernünftig konser¬
vativen Standpunkt ganz entschieden der vorläufigen Verlängerung der alten
Verträge der Vorzug zu geben. Eine konservative Handelspolitik bricht nicht
die bestehenden Beziehungen ab, einem Sprung ins Ungewisse zuliebe. Gerade
bei der Wahrscheinlichkeit, der wir uns leider nicht ganz verschließen können,
daß agrarische Minimalzölle in den Entwurf des Generaltarifs aufgenommen
werden, muß mit der Möglichkeit der Nichttündigung der Handelsverträge von
deutscher Seite gerechnet werden. Hohe Getreidezölle als Minimalzölle kann
und will der Kaiser im Verhandlungstarif nicht zulassen, und die verbündeten
Regierungen werden dabei zweifellos auf seiner Seite stehn. Wir werden nur
eine mäßige Erhöhung der Getreidezölle haben, oder gar keine.

Es ist auch vou Leuten, die ernst genommen werden können, Wissen¬
schaftlern wie Praktikern, seit Jahr und Tag über die zulässige und notwendige
Höhe der neuen Getreidezölle viel gesprochen und geschrieben worden. Es
herrscht dabei eine ganz erstaunliche Verschiedenheit in den Behauptungen und
eine noch größere in ihrer Begründung. Wir haben trotz redlichen Bemühens
beim Studium dieser Forschungen, Untersuchungen, Denkschriften, oder wie sie


Minimalzölle im Generaltarif

karische Partei von sich, mag sie in der Mehrheit oder in der Minderheit sein.
Aber wenn sie in der Mehrheit ist. hat sie dazu auch nicht einen Funken mehr
Recht, ja sie wird dadurch in der Regel vielmehr für das Gesamtinteresse nur
um so gefährlicher. Es hieße das Wesen und den Zweck unsrer monarchischen
Institution leugnen, wollte man die Pflicht des Kaisers bestreiten, gegen die
Macht der parlamentarischen Mehrheit seine Macht in die Wagschale zu werfen,
d. h. in diesem Fall gegen zu hohe Agrarzvlle aufzutreten und so niedrige
durchzusetzen, daß die von ihm im Gesamtinteresse für nötig erkannte Handels-
vertrngspolitik nicht unmöglich gemacht oder unerträglich erschwert wird. Mit
einer fast überraschenden Versöhnlichkeit, die nach dem fast zehn Jahre lang fort¬
gesetzten sachlich und in der Form mehr als ungehörigen Verhalten der agrarisch¬
konservativen Fronde gegen den Kaiser gar nicht hoch genug angeschlagen
werden kann, hat der Reichskanzler der parlamentarischen Mehrheit erklärt,
daß die Regierung mit ihr, nicht gegen sie die Agrarzollfrage regeln wolle.
Aber verzichtet hat der Kaiser noch lange nicht auf sein Recht, die Regelung
much gegen den Willen der Agrarier durchzuführen, wenn diese und die Reichs¬
tagsmehrheit nicht rechtzeitig zur Besinnung kommen und von dein Versuch
abstehn, dnrch ihre Macht die kaiserliche Pflichterfüllung zu vereiteln. Die
Herren Agrarier sollten nicht vergessen, daß bei fernerm Widerstande sich der
Kaiser nicht nur das Recht, sondern unter Umständen auch die Pflicht zu¬
sprechen könnte, die Parlamentsmehrheit einfach dadurch muss trockne zu setzen,
daß er die laufenden Handelsverträge vorläufig nicht kündigen läßt. Wir halten
eine Revision der Handelsverträge aus verschiednen Gründen für dringend er¬
wünscht, aber wenn es zur Wahl kommt zwischen der Verlängerung des heutigen
Verhältnisses um einige Jahre einerseits und einem Zollkrieg von unabsehbarer
Dauer oder dem definitiven Absperrungssystem im extremen agrarischen hoch-
schutzzölluerischcn Sinne andrerseits, dann ist gerade vom vernünftig konser¬
vativen Standpunkt ganz entschieden der vorläufigen Verlängerung der alten
Verträge der Vorzug zu geben. Eine konservative Handelspolitik bricht nicht
die bestehenden Beziehungen ab, einem Sprung ins Ungewisse zuliebe. Gerade
bei der Wahrscheinlichkeit, der wir uns leider nicht ganz verschließen können,
daß agrarische Minimalzölle in den Entwurf des Generaltarifs aufgenommen
werden, muß mit der Möglichkeit der Nichttündigung der Handelsverträge von
deutscher Seite gerechnet werden. Hohe Getreidezölle als Minimalzölle kann
und will der Kaiser im Verhandlungstarif nicht zulassen, und die verbündeten
Regierungen werden dabei zweifellos auf seiner Seite stehn. Wir werden nur
eine mäßige Erhöhung der Getreidezölle haben, oder gar keine.

Es ist auch vou Leuten, die ernst genommen werden können, Wissen¬
schaftlern wie Praktikern, seit Jahr und Tag über die zulässige und notwendige
Höhe der neuen Getreidezölle viel gesprochen und geschrieben worden. Es
herrscht dabei eine ganz erstaunliche Verschiedenheit in den Behauptungen und
eine noch größere in ihrer Begründung. Wir haben trotz redlichen Bemühens
beim Studium dieser Forschungen, Untersuchungen, Denkschriften, oder wie sie


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[0111] Minimalzölle im Generaltarif karische Partei von sich, mag sie in der Mehrheit oder in der Minderheit sein. Aber wenn sie in der Mehrheit ist. hat sie dazu auch nicht einen Funken mehr Recht, ja sie wird dadurch in der Regel vielmehr für das Gesamtinteresse nur um so gefährlicher. Es hieße das Wesen und den Zweck unsrer monarchischen Institution leugnen, wollte man die Pflicht des Kaisers bestreiten, gegen die Macht der parlamentarischen Mehrheit seine Macht in die Wagschale zu werfen, d. h. in diesem Fall gegen zu hohe Agrarzvlle aufzutreten und so niedrige durchzusetzen, daß die von ihm im Gesamtinteresse für nötig erkannte Handels- vertrngspolitik nicht unmöglich gemacht oder unerträglich erschwert wird. Mit einer fast überraschenden Versöhnlichkeit, die nach dem fast zehn Jahre lang fort¬ gesetzten sachlich und in der Form mehr als ungehörigen Verhalten der agrarisch¬ konservativen Fronde gegen den Kaiser gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann, hat der Reichskanzler der parlamentarischen Mehrheit erklärt, daß die Regierung mit ihr, nicht gegen sie die Agrarzollfrage regeln wolle. Aber verzichtet hat der Kaiser noch lange nicht auf sein Recht, die Regelung much gegen den Willen der Agrarier durchzuführen, wenn diese und die Reichs¬ tagsmehrheit nicht rechtzeitig zur Besinnung kommen und von dein Versuch abstehn, dnrch ihre Macht die kaiserliche Pflichterfüllung zu vereiteln. Die Herren Agrarier sollten nicht vergessen, daß bei fernerm Widerstande sich der Kaiser nicht nur das Recht, sondern unter Umständen auch die Pflicht zu¬ sprechen könnte, die Parlamentsmehrheit einfach dadurch muss trockne zu setzen, daß er die laufenden Handelsverträge vorläufig nicht kündigen läßt. Wir halten eine Revision der Handelsverträge aus verschiednen Gründen für dringend er¬ wünscht, aber wenn es zur Wahl kommt zwischen der Verlängerung des heutigen Verhältnisses um einige Jahre einerseits und einem Zollkrieg von unabsehbarer Dauer oder dem definitiven Absperrungssystem im extremen agrarischen hoch- schutzzölluerischcn Sinne andrerseits, dann ist gerade vom vernünftig konser¬ vativen Standpunkt ganz entschieden der vorläufigen Verlängerung der alten Verträge der Vorzug zu geben. Eine konservative Handelspolitik bricht nicht die bestehenden Beziehungen ab, einem Sprung ins Ungewisse zuliebe. Gerade bei der Wahrscheinlichkeit, der wir uns leider nicht ganz verschließen können, daß agrarische Minimalzölle in den Entwurf des Generaltarifs aufgenommen werden, muß mit der Möglichkeit der Nichttündigung der Handelsverträge von deutscher Seite gerechnet werden. Hohe Getreidezölle als Minimalzölle kann und will der Kaiser im Verhandlungstarif nicht zulassen, und die verbündeten Regierungen werden dabei zweifellos auf seiner Seite stehn. Wir werden nur eine mäßige Erhöhung der Getreidezölle haben, oder gar keine. Es ist auch vou Leuten, die ernst genommen werden können, Wissen¬ schaftlern wie Praktikern, seit Jahr und Tag über die zulässige und notwendige Höhe der neuen Getreidezölle viel gesprochen und geschrieben worden. Es herrscht dabei eine ganz erstaunliche Verschiedenheit in den Behauptungen und eine noch größere in ihrer Begründung. Wir haben trotz redlichen Bemühens beim Studium dieser Forschungen, Untersuchungen, Denkschriften, oder wie sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/111>, abgerufen am 03.07.2024.