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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Giglio

schlagen, teils weggeführt (einige von ihnen sollen die Vorhalle von 8, ?ki.ni0
sxtiA muros zu Rom bilden). Erst vor zwei Jahren wurden vier roh ge¬
meißelte Säulen aus dein Ufersaud herausgeschafft, von denen jede 7,75 Meter
laug war; leider wurden auch sie zertrümmert, um zu Trottoireinfassungen
u, dergl, verwandt zu werden. Die Granitausfuhr beträgt gegenwärtig im
Jahr etwa 100 Tonnen. So bequem die Verbindung Giglios mit dem Fest¬
land ist, so schwierig sind die innern Verkehrsverhältnisse. Auf ganz Giglio
giebt es keinen einzigen Fahrweg und also auch keinen einzigen Karren, von
Coupes, Landauern usw. gänzlich zu schweigen! Man findet Feldwege und
Fußpfade, aber wie Gemsen klimmen die kleinen Esel mit ihren Lasten die
Wege hinan, so steil und schmal sie auch sein mögen. Wo keine Straßen vor¬
handen sind, braucht man auch keine Wirtshäuser. Nichtsdestoweniger zählt
man vier Herbergen, je zwei in Castello und in der Marina, dazu zusammen
etwa zwanzig Schenken kleiner und kleinster Art in beiden Ortschaften.

Es giebt auf der Insel ferner keine Wohlthätigkeitsanstalten -- der
Fleißige braucht das nicht -- und (welches Wunder vor ganz Europa!) keinen
einzigen Verein! Etwa siebzehn Jahre lang, von 1873 ab, hätte man von
so etwas wie von einem Verein, sogar einem geschlossenen, reden können, so¬
fern damals Coatti, Strafgefangne, auf der Insel lebten, die unter sich zu¬
sammenhielten und von den Insulanern gemieden wurden. Seitdem aber im
Jahre 1890 die Regierung ein Einsehen hatte und die biedern Gigliesen von
den unbequemen Gästen befreite, hat auch diese zwaugsmäßige Vereinsthätigkeit
aufgehört, und Giglio ist in sein traumhaft idyllisches, vereinslvses Dasein
zurückgefallen.

Wenn nur diese Idylle nicht so grob gestört würde durch -- den Exe¬
kutor! Wir sind ja in Italien, und so wundert es uns nicht weiter, daß auch
dieses Stückchen italienischer Erde mit Steuern und Taxen geradezu überbürdet
ist. Jeden Tag im Jahre finden Pfändungen statt, da die armen Leute trotz
angestrengtesten Fleißes nicht zahlen können. "Dem einen nimmt man den
Tisch, dem zweiten den Kasten oder den kupfernen Krug, dein dritten den Esel
oder den kleinen Vorrat an Wein, der ihm zum eignen Gebrauch dienen sollte.
Abgesehen von der Zahlung der Gehalte an die wenigen Beamten (MM-mo
al portv, Telegraphenbecunte, Leuchtturmwächter, Brigadier, Karabinieri) macht
der Staat für die Insel keine Auslagen, und man beklagt sich allgemein über
den Druck der Besteuerung, eine Klage, die übrigens in ganz Italien, von den
Alpen bis zum Ätna, ertönt."*)



*) Als Beispiel der Belastung italienischer Gemeinden (man vergleiche damit eine
deutsche Ortschaft mit derselben Bevölkerung) führen wir an, was Giglio mit seiner Seelenzahl
von 2421 jährlich aufzubringen hat:
1. 9774 Lire Munizivalsteuern,
2. 11S40 " Staatssteuern,
3. S800 " Provinzialsteuern. '
"
27114 Lire Steuern insgesamt
Giglio

schlagen, teils weggeführt (einige von ihnen sollen die Vorhalle von 8, ?ki.ni0
sxtiA muros zu Rom bilden). Erst vor zwei Jahren wurden vier roh ge¬
meißelte Säulen aus dein Ufersaud herausgeschafft, von denen jede 7,75 Meter
laug war; leider wurden auch sie zertrümmert, um zu Trottoireinfassungen
u, dergl, verwandt zu werden. Die Granitausfuhr beträgt gegenwärtig im
Jahr etwa 100 Tonnen. So bequem die Verbindung Giglios mit dem Fest¬
land ist, so schwierig sind die innern Verkehrsverhältnisse. Auf ganz Giglio
giebt es keinen einzigen Fahrweg und also auch keinen einzigen Karren, von
Coupes, Landauern usw. gänzlich zu schweigen! Man findet Feldwege und
Fußpfade, aber wie Gemsen klimmen die kleinen Esel mit ihren Lasten die
Wege hinan, so steil und schmal sie auch sein mögen. Wo keine Straßen vor¬
handen sind, braucht man auch keine Wirtshäuser. Nichtsdestoweniger zählt
man vier Herbergen, je zwei in Castello und in der Marina, dazu zusammen
etwa zwanzig Schenken kleiner und kleinster Art in beiden Ortschaften.

Es giebt auf der Insel ferner keine Wohlthätigkeitsanstalten — der
Fleißige braucht das nicht — und (welches Wunder vor ganz Europa!) keinen
einzigen Verein! Etwa siebzehn Jahre lang, von 1873 ab, hätte man von
so etwas wie von einem Verein, sogar einem geschlossenen, reden können, so¬
fern damals Coatti, Strafgefangne, auf der Insel lebten, die unter sich zu¬
sammenhielten und von den Insulanern gemieden wurden. Seitdem aber im
Jahre 1890 die Regierung ein Einsehen hatte und die biedern Gigliesen von
den unbequemen Gästen befreite, hat auch diese zwaugsmäßige Vereinsthätigkeit
aufgehört, und Giglio ist in sein traumhaft idyllisches, vereinslvses Dasein
zurückgefallen.

Wenn nur diese Idylle nicht so grob gestört würde durch — den Exe¬
kutor! Wir sind ja in Italien, und so wundert es uns nicht weiter, daß auch
dieses Stückchen italienischer Erde mit Steuern und Taxen geradezu überbürdet
ist. Jeden Tag im Jahre finden Pfändungen statt, da die armen Leute trotz
angestrengtesten Fleißes nicht zahlen können. „Dem einen nimmt man den
Tisch, dem zweiten den Kasten oder den kupfernen Krug, dein dritten den Esel
oder den kleinen Vorrat an Wein, der ihm zum eignen Gebrauch dienen sollte.
Abgesehen von der Zahlung der Gehalte an die wenigen Beamten (MM-mo
al portv, Telegraphenbecunte, Leuchtturmwächter, Brigadier, Karabinieri) macht
der Staat für die Insel keine Auslagen, und man beklagt sich allgemein über
den Druck der Besteuerung, eine Klage, die übrigens in ganz Italien, von den
Alpen bis zum Ätna, ertönt."*)



*) Als Beispiel der Belastung italienischer Gemeinden (man vergleiche damit eine
deutsche Ortschaft mit derselben Bevölkerung) führen wir an, was Giglio mit seiner Seelenzahl
von 2421 jährlich aufzubringen hat:
1. 9774 Lire Munizivalsteuern,
2. 11S40 „ Staatssteuern,
3. S800 „ Provinzialsteuern. '
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[0094] Giglio schlagen, teils weggeführt (einige von ihnen sollen die Vorhalle von 8, ?ki.ni0 sxtiA muros zu Rom bilden). Erst vor zwei Jahren wurden vier roh ge¬ meißelte Säulen aus dein Ufersaud herausgeschafft, von denen jede 7,75 Meter laug war; leider wurden auch sie zertrümmert, um zu Trottoireinfassungen u, dergl, verwandt zu werden. Die Granitausfuhr beträgt gegenwärtig im Jahr etwa 100 Tonnen. So bequem die Verbindung Giglios mit dem Fest¬ land ist, so schwierig sind die innern Verkehrsverhältnisse. Auf ganz Giglio giebt es keinen einzigen Fahrweg und also auch keinen einzigen Karren, von Coupes, Landauern usw. gänzlich zu schweigen! Man findet Feldwege und Fußpfade, aber wie Gemsen klimmen die kleinen Esel mit ihren Lasten die Wege hinan, so steil und schmal sie auch sein mögen. Wo keine Straßen vor¬ handen sind, braucht man auch keine Wirtshäuser. Nichtsdestoweniger zählt man vier Herbergen, je zwei in Castello und in der Marina, dazu zusammen etwa zwanzig Schenken kleiner und kleinster Art in beiden Ortschaften. Es giebt auf der Insel ferner keine Wohlthätigkeitsanstalten — der Fleißige braucht das nicht — und (welches Wunder vor ganz Europa!) keinen einzigen Verein! Etwa siebzehn Jahre lang, von 1873 ab, hätte man von so etwas wie von einem Verein, sogar einem geschlossenen, reden können, so¬ fern damals Coatti, Strafgefangne, auf der Insel lebten, die unter sich zu¬ sammenhielten und von den Insulanern gemieden wurden. Seitdem aber im Jahre 1890 die Regierung ein Einsehen hatte und die biedern Gigliesen von den unbequemen Gästen befreite, hat auch diese zwaugsmäßige Vereinsthätigkeit aufgehört, und Giglio ist in sein traumhaft idyllisches, vereinslvses Dasein zurückgefallen. Wenn nur diese Idylle nicht so grob gestört würde durch — den Exe¬ kutor! Wir sind ja in Italien, und so wundert es uns nicht weiter, daß auch dieses Stückchen italienischer Erde mit Steuern und Taxen geradezu überbürdet ist. Jeden Tag im Jahre finden Pfändungen statt, da die armen Leute trotz angestrengtesten Fleißes nicht zahlen können. „Dem einen nimmt man den Tisch, dem zweiten den Kasten oder den kupfernen Krug, dein dritten den Esel oder den kleinen Vorrat an Wein, der ihm zum eignen Gebrauch dienen sollte. Abgesehen von der Zahlung der Gehalte an die wenigen Beamten (MM-mo al portv, Telegraphenbecunte, Leuchtturmwächter, Brigadier, Karabinieri) macht der Staat für die Insel keine Auslagen, und man beklagt sich allgemein über den Druck der Besteuerung, eine Klage, die übrigens in ganz Italien, von den Alpen bis zum Ätna, ertönt."*) *) Als Beispiel der Belastung italienischer Gemeinden (man vergleiche damit eine deutsche Ortschaft mit derselben Bevölkerung) führen wir an, was Giglio mit seiner Seelenzahl von 2421 jährlich aufzubringen hat: 1. 9774 Lire Munizivalsteuern, 2. 11S40 „ Staatssteuern, 3. S800 „ Provinzialsteuern. ' " 27114 Lire Steuern insgesamt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/94>, abgerufen am 02.10.2024.