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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

objektiv-historischen Standpunkt, zu dem sich vielleicht ein Schweizer leichter hin-
finden konnte als ein deutscher Schriftsteller, halten wir deshalb nicht bloß für einen
schätzenswerten Beitrag zur Goethelitterntnr, sondern für eine schlechthin nützliche
Arbeit, die keiner vor ihm gethan hat. Für die Beurteilung Goethes ergiebt sich
daraus serner, was der Verfasser an erster Stelle ausführt, daß es nicht die be¬
friedigte Eitelkeit war, die den Dichter gefangen nahm und sich nun in dankbare
Verehrung umsetzte. Er brauchte lange, bis er für Napoleon gewonnen war
(Wieland ahnte den Mann der Zukunft viel früher und prophezeite schon 1798 den
Diktator und den Retter der Welt), und er ließ sich auch nicht etwa dnrch den
Empfang in Erfurt imponieren. Der bestätigte ihm vielmehr nur, was für ihn
seit dem Jahre 1806 Überzeugung geworden war: daß man dieser Macht um nicht
mehr widerstehn könne. Dann aber hielt er fest an seiner Meinung und gewann
es auch nicht über sich, dem Manne, der gefallen war, Fußtritte zu versetzen. Das
für uns Unerfreulichste, was aus diesem Verhältnis hervorging, das Karlsbader
Gedicht an Jhro der Kaiserin von Frankreich Majestät (1812), wird von Fischer
mit vollen! Verständnis gewürdigt. Auf die guten Eiuzclschilderuugeu, z. B. des
Hofballs in Weimar, wo der Kaiser anderthalb Stunden mit dem alten Wieland
über alles Mögliche spricht, am 6. Oktober 1808, vier Tage nach der Audienz
Goethes in Erfurt, kann nur hingewiesen werden. Ebenso auf den Versuch einer
Parallele zwischen Goethe und Napoleon, oder besser auf die Zusammenstellung dessen,
was in dem Wesen der beiden verwandt war: beide verachten die Masse und haben
ein starkes Gefühl der eignen Persönlichkeit, die alles auf sich bezieht; der eine
liebt die Philosophen nicht, der andre verspottet die Ideologen. Beide haben den
Sinn für das Praktische, der eine kann ihn im größten Umfange bethätigen, der
andre sucht wenigstens auf seinem Gebiete alles in That umzusetzen; beide haben
auch ihre bestimmte Art von Aberglauben. Endlich sind sie in ihrem Bereich die
Größten, der Militärpapst und der Litteraturpapst, wie sie Schlosser in seiner Ge¬
schichte des achtzehnten Jahrhunderts tituliert hat.






Zur Beachtung
Mit dem nächsten Hefte beginnt diese Zeitschrift das 2. Vierteljahr ihres ti">. Jahr-
ganges. Sie ist durch alle Buchhandlungen und Postanstalten des In- und Auslandes zu
beziehen. Preis für das Vierteljahr " Mark. Mir bitten, die Bestellung schleunig zu
erneuern. Unsre Freunde und Keser bitte" wir, sich die Verbreitung der Mrrnzbote"
angelegen sein zu lassen.
Keipzig, im März IW1DW Verlagstzandlung




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig Druck von Carl Mnrquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

objektiv-historischen Standpunkt, zu dem sich vielleicht ein Schweizer leichter hin-
finden konnte als ein deutscher Schriftsteller, halten wir deshalb nicht bloß für einen
schätzenswerten Beitrag zur Goethelitterntnr, sondern für eine schlechthin nützliche
Arbeit, die keiner vor ihm gethan hat. Für die Beurteilung Goethes ergiebt sich
daraus serner, was der Verfasser an erster Stelle ausführt, daß es nicht die be¬
friedigte Eitelkeit war, die den Dichter gefangen nahm und sich nun in dankbare
Verehrung umsetzte. Er brauchte lange, bis er für Napoleon gewonnen war
(Wieland ahnte den Mann der Zukunft viel früher und prophezeite schon 1798 den
Diktator und den Retter der Welt), und er ließ sich auch nicht etwa dnrch den
Empfang in Erfurt imponieren. Der bestätigte ihm vielmehr nur, was für ihn
seit dem Jahre 1806 Überzeugung geworden war: daß man dieser Macht um nicht
mehr widerstehn könne. Dann aber hielt er fest an seiner Meinung und gewann
es auch nicht über sich, dem Manne, der gefallen war, Fußtritte zu versetzen. Das
für uns Unerfreulichste, was aus diesem Verhältnis hervorging, das Karlsbader
Gedicht an Jhro der Kaiserin von Frankreich Majestät (1812), wird von Fischer
mit vollen! Verständnis gewürdigt. Auf die guten Eiuzclschilderuugeu, z. B. des
Hofballs in Weimar, wo der Kaiser anderthalb Stunden mit dem alten Wieland
über alles Mögliche spricht, am 6. Oktober 1808, vier Tage nach der Audienz
Goethes in Erfurt, kann nur hingewiesen werden. Ebenso auf den Versuch einer
Parallele zwischen Goethe und Napoleon, oder besser auf die Zusammenstellung dessen,
was in dem Wesen der beiden verwandt war: beide verachten die Masse und haben
ein starkes Gefühl der eignen Persönlichkeit, die alles auf sich bezieht; der eine
liebt die Philosophen nicht, der andre verspottet die Ideologen. Beide haben den
Sinn für das Praktische, der eine kann ihn im größten Umfange bethätigen, der
andre sucht wenigstens auf seinem Gebiete alles in That umzusetzen; beide haben
auch ihre bestimmte Art von Aberglauben. Endlich sind sie in ihrem Bereich die
Größten, der Militärpapst und der Litteraturpapst, wie sie Schlosser in seiner Ge¬
schichte des achtzehnten Jahrhunderts tituliert hat.






Zur Beachtung
Mit dem nächsten Hefte beginnt diese Zeitschrift das 2. Vierteljahr ihres ti«>. Jahr-
ganges. Sie ist durch alle Buchhandlungen und Postanstalten des In- und Auslandes zu
beziehen. Preis für das Vierteljahr » Mark. Mir bitten, die Bestellung schleunig zu
erneuern. Unsre Freunde und Keser bitte» wir, sich die Verbreitung der Mrrnzbote»
angelegen sein zu lassen.
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Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig Druck von Carl Mnrquart in Leipzig
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[0644] Maßgebliches und Unmaßgebliches objektiv-historischen Standpunkt, zu dem sich vielleicht ein Schweizer leichter hin- finden konnte als ein deutscher Schriftsteller, halten wir deshalb nicht bloß für einen schätzenswerten Beitrag zur Goethelitterntnr, sondern für eine schlechthin nützliche Arbeit, die keiner vor ihm gethan hat. Für die Beurteilung Goethes ergiebt sich daraus serner, was der Verfasser an erster Stelle ausführt, daß es nicht die be¬ friedigte Eitelkeit war, die den Dichter gefangen nahm und sich nun in dankbare Verehrung umsetzte. Er brauchte lange, bis er für Napoleon gewonnen war (Wieland ahnte den Mann der Zukunft viel früher und prophezeite schon 1798 den Diktator und den Retter der Welt), und er ließ sich auch nicht etwa dnrch den Empfang in Erfurt imponieren. Der bestätigte ihm vielmehr nur, was für ihn seit dem Jahre 1806 Überzeugung geworden war: daß man dieser Macht um nicht mehr widerstehn könne. Dann aber hielt er fest an seiner Meinung und gewann es auch nicht über sich, dem Manne, der gefallen war, Fußtritte zu versetzen. Das für uns Unerfreulichste, was aus diesem Verhältnis hervorging, das Karlsbader Gedicht an Jhro der Kaiserin von Frankreich Majestät (1812), wird von Fischer mit vollen! Verständnis gewürdigt. Auf die guten Eiuzclschilderuugeu, z. B. des Hofballs in Weimar, wo der Kaiser anderthalb Stunden mit dem alten Wieland über alles Mögliche spricht, am 6. Oktober 1808, vier Tage nach der Audienz Goethes in Erfurt, kann nur hingewiesen werden. Ebenso auf den Versuch einer Parallele zwischen Goethe und Napoleon, oder besser auf die Zusammenstellung dessen, was in dem Wesen der beiden verwandt war: beide verachten die Masse und haben ein starkes Gefühl der eignen Persönlichkeit, die alles auf sich bezieht; der eine liebt die Philosophen nicht, der andre verspottet die Ideologen. Beide haben den Sinn für das Praktische, der eine kann ihn im größten Umfange bethätigen, der andre sucht wenigstens auf seinem Gebiete alles in That umzusetzen; beide haben auch ihre bestimmte Art von Aberglauben. Endlich sind sie in ihrem Bereich die Größten, der Militärpapst und der Litteraturpapst, wie sie Schlosser in seiner Ge¬ schichte des achtzehnten Jahrhunderts tituliert hat. Zur Beachtung Mit dem nächsten Hefte beginnt diese Zeitschrift das 2. Vierteljahr ihres ti«>. Jahr- ganges. Sie ist durch alle Buchhandlungen und Postanstalten des In- und Auslandes zu beziehen. Preis für das Vierteljahr » Mark. Mir bitten, die Bestellung schleunig zu erneuern. Unsre Freunde und Keser bitte» wir, sich die Verbreitung der Mrrnzbote» angelegen sein zu lassen. Keipzig, im März IW1DW Verlagstzandlung Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig Druck von Carl Mnrquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/644>, abgerufen am 21.06.2024.