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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Krieg und Arbeit

gleiche Weise handelte die feindliche Reiterei, und dieses Spiel wiederholte sich
so oft, bis es der einen Reiterei gelang, die feindliche Kavallerie von der
größern Gewalt ihres Ansturms zu überzeugen, wonach die letztere die Flucht
ergriff und von den Siegern verfolgt wurde. Der Wirbelsturm zweier zu¬
sammenprallender feindlicher Reitereien ist Poesie und keine Wirklichkeit." In
den neuern Kriegen wird dieser Verlauf der Schlacht durch die beiden Um¬
stände verdeckt, daß sich wegen der Größe der Heere die Schlacht in eine
Menge Einzeltreffen auflöst, die sich zwar nach demselben Schema, aber zu
verschiedenen Zeiten und mit verschiednen Erfolg abspielen, und daß sich dem¬
nach Sieg und Flucht auf beide Heere verteilen, dann, daß das gewaltige
Schlachtfeld Anhöhen, Gebüsche, Ortschaften, Gehöfte einschließt, die bald der
einen, bald der andern Partei Deckung gewähren und sicheres Zielen aus dem
Hinterhalt möglich machen. Im wesentlichen aber wird dnrch den Fortschritt
der Waffentechnik nichts geändert; jede Verbesserung dient nur zum Schrecken,
nicht zum Morden; selbst bei einem Feldzuge, wo die Verpflegung so leicht
und das Klima so günstig ist wie im französischen .Kriege der Deutschen 1870,
werden weit mehr Soldaten dnrch Krankheit kampfunfähig gemacht als durch
Verwundung, und nur in ganz besondern Fällen wie bei Metz, wo jeder Teil
wußte, daß er durch den Sieg des andern von seinen Verbindungen ab¬
geschnitten werden würde und deshalb mit verzweifelter Hartnäckigkeit kämpfte,
fordert die Schlacht größere Opfer, So wird also der Krieg durch keine noch
so hohe Vervollkommnung der Waffentechnik und auch nicht durch die Ver¬
größerung der Heere bis zu den äußersten Grenzen der Möglichkeit unmöglich
gemacht werden.

Ebenso wenig werden ihn die Schiedsgerichte beseitigen, das zeigt die
Geschichte der von Vereinen und Regierungen veranstalteten Friedenskongresse,
die der Verfasser, vom ersten, in London am 22. Juni 1843 eröffneten an¬
gefangen, ausführlich erzählt. Sie sind, wie wir ihm zugestehn müssen, ein
Gemisch von Illusionen und Phrasen ans der einen, von diplomatischer Heuchelei
Mlf der andern Seite gewesen. Schiedsgerichte werden allemal nur dann an-
gerufen, wenn beide Parteien von vornherein entschlossen sind, es nicht zum
Kriege kommen zu lassen, Anitchlvw glaubt auch nicht, daß die Milderung der
Kriegsgreuel durch die Genfer .Konvention und durch den die Anwendung von
Sprenggeschossen verbietenden Petersburger Vertrag vom Jahre 1868 einen
wirklichen Fortschritt der Humanität bedeute und den Philanthropen zu ver¬
danken sei. Die Genfer Konvention werde nnr so weit beobachtet, als es den
kriegführenden passe, und wenn das moderne Völkerrecht, das wesentlich
Kriegsrecht sei, alle nicht unbedingt für den Kriegszwcck erforderlichen Tötungen
und Peinigungen verbiete, so geschehe das, weil die Erfahrung der Jahrhunderte
gelehrt habe, daß es unvorteilhaft sei, zu plündern, Wehrlose umzubringen und
die Frauen zu notzüchtigen. Der Sieg werde dadurch erschwert: "der Wider¬
stand des Feindes wächst, die Einwohner vergraben ihre Schätze und verbrennen
ihre Häuser, Neutrale Völker sehen sich durch barbarische Verwüstung eines


Krieg und Arbeit

gleiche Weise handelte die feindliche Reiterei, und dieses Spiel wiederholte sich
so oft, bis es der einen Reiterei gelang, die feindliche Kavallerie von der
größern Gewalt ihres Ansturms zu überzeugen, wonach die letztere die Flucht
ergriff und von den Siegern verfolgt wurde. Der Wirbelsturm zweier zu¬
sammenprallender feindlicher Reitereien ist Poesie und keine Wirklichkeit." In
den neuern Kriegen wird dieser Verlauf der Schlacht durch die beiden Um¬
stände verdeckt, daß sich wegen der Größe der Heere die Schlacht in eine
Menge Einzeltreffen auflöst, die sich zwar nach demselben Schema, aber zu
verschiedenen Zeiten und mit verschiednen Erfolg abspielen, und daß sich dem¬
nach Sieg und Flucht auf beide Heere verteilen, dann, daß das gewaltige
Schlachtfeld Anhöhen, Gebüsche, Ortschaften, Gehöfte einschließt, die bald der
einen, bald der andern Partei Deckung gewähren und sicheres Zielen aus dem
Hinterhalt möglich machen. Im wesentlichen aber wird dnrch den Fortschritt
der Waffentechnik nichts geändert; jede Verbesserung dient nur zum Schrecken,
nicht zum Morden; selbst bei einem Feldzuge, wo die Verpflegung so leicht
und das Klima so günstig ist wie im französischen .Kriege der Deutschen 1870,
werden weit mehr Soldaten dnrch Krankheit kampfunfähig gemacht als durch
Verwundung, und nur in ganz besondern Fällen wie bei Metz, wo jeder Teil
wußte, daß er durch den Sieg des andern von seinen Verbindungen ab¬
geschnitten werden würde und deshalb mit verzweifelter Hartnäckigkeit kämpfte,
fordert die Schlacht größere Opfer, So wird also der Krieg durch keine noch
so hohe Vervollkommnung der Waffentechnik und auch nicht durch die Ver¬
größerung der Heere bis zu den äußersten Grenzen der Möglichkeit unmöglich
gemacht werden.

Ebenso wenig werden ihn die Schiedsgerichte beseitigen, das zeigt die
Geschichte der von Vereinen und Regierungen veranstalteten Friedenskongresse,
die der Verfasser, vom ersten, in London am 22. Juni 1843 eröffneten an¬
gefangen, ausführlich erzählt. Sie sind, wie wir ihm zugestehn müssen, ein
Gemisch von Illusionen und Phrasen ans der einen, von diplomatischer Heuchelei
Mlf der andern Seite gewesen. Schiedsgerichte werden allemal nur dann an-
gerufen, wenn beide Parteien von vornherein entschlossen sind, es nicht zum
Kriege kommen zu lassen, Anitchlvw glaubt auch nicht, daß die Milderung der
Kriegsgreuel durch die Genfer .Konvention und durch den die Anwendung von
Sprenggeschossen verbietenden Petersburger Vertrag vom Jahre 1868 einen
wirklichen Fortschritt der Humanität bedeute und den Philanthropen zu ver¬
danken sei. Die Genfer Konvention werde nnr so weit beobachtet, als es den
kriegführenden passe, und wenn das moderne Völkerrecht, das wesentlich
Kriegsrecht sei, alle nicht unbedingt für den Kriegszwcck erforderlichen Tötungen
und Peinigungen verbiete, so geschehe das, weil die Erfahrung der Jahrhunderte
gelehrt habe, daß es unvorteilhaft sei, zu plündern, Wehrlose umzubringen und
die Frauen zu notzüchtigen. Der Sieg werde dadurch erschwert: „der Wider¬
stand des Feindes wächst, die Einwohner vergraben ihre Schätze und verbrennen
ihre Häuser, Neutrale Völker sehen sich durch barbarische Verwüstung eines


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[0603] Krieg und Arbeit gleiche Weise handelte die feindliche Reiterei, und dieses Spiel wiederholte sich so oft, bis es der einen Reiterei gelang, die feindliche Kavallerie von der größern Gewalt ihres Ansturms zu überzeugen, wonach die letztere die Flucht ergriff und von den Siegern verfolgt wurde. Der Wirbelsturm zweier zu¬ sammenprallender feindlicher Reitereien ist Poesie und keine Wirklichkeit." In den neuern Kriegen wird dieser Verlauf der Schlacht durch die beiden Um¬ stände verdeckt, daß sich wegen der Größe der Heere die Schlacht in eine Menge Einzeltreffen auflöst, die sich zwar nach demselben Schema, aber zu verschiedenen Zeiten und mit verschiednen Erfolg abspielen, und daß sich dem¬ nach Sieg und Flucht auf beide Heere verteilen, dann, daß das gewaltige Schlachtfeld Anhöhen, Gebüsche, Ortschaften, Gehöfte einschließt, die bald der einen, bald der andern Partei Deckung gewähren und sicheres Zielen aus dem Hinterhalt möglich machen. Im wesentlichen aber wird dnrch den Fortschritt der Waffentechnik nichts geändert; jede Verbesserung dient nur zum Schrecken, nicht zum Morden; selbst bei einem Feldzuge, wo die Verpflegung so leicht und das Klima so günstig ist wie im französischen .Kriege der Deutschen 1870, werden weit mehr Soldaten dnrch Krankheit kampfunfähig gemacht als durch Verwundung, und nur in ganz besondern Fällen wie bei Metz, wo jeder Teil wußte, daß er durch den Sieg des andern von seinen Verbindungen ab¬ geschnitten werden würde und deshalb mit verzweifelter Hartnäckigkeit kämpfte, fordert die Schlacht größere Opfer, So wird also der Krieg durch keine noch so hohe Vervollkommnung der Waffentechnik und auch nicht durch die Ver¬ größerung der Heere bis zu den äußersten Grenzen der Möglichkeit unmöglich gemacht werden. Ebenso wenig werden ihn die Schiedsgerichte beseitigen, das zeigt die Geschichte der von Vereinen und Regierungen veranstalteten Friedenskongresse, die der Verfasser, vom ersten, in London am 22. Juni 1843 eröffneten an¬ gefangen, ausführlich erzählt. Sie sind, wie wir ihm zugestehn müssen, ein Gemisch von Illusionen und Phrasen ans der einen, von diplomatischer Heuchelei Mlf der andern Seite gewesen. Schiedsgerichte werden allemal nur dann an- gerufen, wenn beide Parteien von vornherein entschlossen sind, es nicht zum Kriege kommen zu lassen, Anitchlvw glaubt auch nicht, daß die Milderung der Kriegsgreuel durch die Genfer .Konvention und durch den die Anwendung von Sprenggeschossen verbietenden Petersburger Vertrag vom Jahre 1868 einen wirklichen Fortschritt der Humanität bedeute und den Philanthropen zu ver¬ danken sei. Die Genfer Konvention werde nnr so weit beobachtet, als es den kriegführenden passe, und wenn das moderne Völkerrecht, das wesentlich Kriegsrecht sei, alle nicht unbedingt für den Kriegszwcck erforderlichen Tötungen und Peinigungen verbiete, so geschehe das, weil die Erfahrung der Jahrhunderte gelehrt habe, daß es unvorteilhaft sei, zu plündern, Wehrlose umzubringen und die Frauen zu notzüchtigen. Der Sieg werde dadurch erschwert: „der Wider¬ stand des Feindes wächst, die Einwohner vergraben ihre Schätze und verbrennen ihre Häuser, Neutrale Völker sehen sich durch barbarische Verwüstung eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/603>, abgerufen am 22.06.2024.