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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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kaicngedanken über Humanismus und humanistische Schule

Es ist gar kein Wunder, wenn so etwas geschieht. Wer hat aber die
Hand geregt, zu verhindern, daß es soweit kommen konnte? Man schimpft
wohl auf die Schulmeister, aber man läßt es zu, daß das höchste und das
wichtigste Amt in Hände gleitet, die nicht berufen sind, es zu verwalten, zum
Unsegen der Jugend, die doch unsre Hoffnung ist und unser Stolz werden
soll. Und warum? Weil der städtische Haushalt und der Staatshaushalt
sich ängstlich vor unnötigen Ausgaben hüten müssen. Denn kommen Stadt
und Staat mit Steuerforderungen, dann halten wir empört die Taschen zu.

Es ist zu kläglich, daß man hierin den letzten Grund der unerfreulichen
und gefährlichen Zustände erkennen muß. Es ist mehr als das, es ist eine
Schande für unsre Gesellschaft. Sind denn unsre Kinder nicht unser Bestes,
und ist es nicht unsre höchste Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie in gesunden
Schulzuständen aufwachsen, nicht als stumpfgedrilltes "Material" aus der
Schule hervorgehn, sondern als ein frohes Geschlecht mit erhobnen Haupt,
erfüllt von idealem Schwung, gestählt für den Kampf des Lebens?

Soll das Gymnasium wieder imstande sein, die Jugend höhern Zielen
entgegenzuführen, so müssen nicht nur die Lehrplüne beschnitten, auch die
Schülerzahl muß verringert werden; keine Klasse darf mehr Schüler haben,
als ein den einzelnen Schüler berücksichtigender Unterricht erlaubt. Also stelle
man da, wo es nötig geworden ist, neben den einen vollgepfropften Kasten
ein weiteres Gymnasium und ein drittes und gebe jedem einen vernünftigen
Umfang. Das Schulgeld verdoppele und verdreifache man getrost für die, die
humanistischen Unterricht haben "vollen, und die ihn bezahlen können -- wer
einer Erleichterung bedarf, dem kann sie gewährt werden wie bisher --, und
fordere das, was darüber nötig ist, von der Allgemeinheit der besser gestellten
Klassen, denn der Allgemeinheit werden die Schüler dienen, die auf der Schule
gebildet werden, und je sorgfältiger sie gebildet werden, desto bessere Dienste
werden sie dem Staate, der'Gesellschaft, dem Volle leisten. Das Geld, das
die Väter opfern, wird ihren Kindern reiche Zinsen tragen und ihnen selbst
das Bewußtsein geben: Ich habe meine Pflicht gethan.

Das Lehramt statte man so aus, daß es wieder ein begehrenswerter
Beruf wird, und daß nicht nur Leute aus kleinen, dürftigen Verhältnissen
heraus ihn ergreifen, die mit dem engsten Horizont in ihn eintreten und dann
natürlich oft die schlimmsten Pedanten werden. Dazu gehört aber vor allem,
daß den Lehrern auch wieder die Möglichkeit zum Vorwärtskommen gegeben
wird. Das Auciennitätsprinzip muß durchbrochen werden, der Lehrer muß
dahin gestellt werden, wo er seine Fähigkeiten am besten verwerten und seine
Befriedigung finden kann, und es muß ihm Entlastung gewährt werden
können für 'seine eigne wissenschaftliche Fortbildung. Den Direktoren aber muß
ein größerer Einfluß auf die Lehrerwahl gegeben werden, als ihnen an Staats¬
anstalten gewöhnlich zusteht. Es muß aber auch die Möglichkeit geschaffen
werden, Lehrer, deren Untnuglichkeit sich herausstellt, aus dem Amt zu ent¬
minen. In welcher Weise das geschehn kann, und ob den Direktoren allein
ld e schwere Verantwortung für einen solchen Schritt zugemutet werden dürfte,


kaicngedanken über Humanismus und humanistische Schule

Es ist gar kein Wunder, wenn so etwas geschieht. Wer hat aber die
Hand geregt, zu verhindern, daß es soweit kommen konnte? Man schimpft
wohl auf die Schulmeister, aber man läßt es zu, daß das höchste und das
wichtigste Amt in Hände gleitet, die nicht berufen sind, es zu verwalten, zum
Unsegen der Jugend, die doch unsre Hoffnung ist und unser Stolz werden
soll. Und warum? Weil der städtische Haushalt und der Staatshaushalt
sich ängstlich vor unnötigen Ausgaben hüten müssen. Denn kommen Stadt
und Staat mit Steuerforderungen, dann halten wir empört die Taschen zu.

Es ist zu kläglich, daß man hierin den letzten Grund der unerfreulichen
und gefährlichen Zustände erkennen muß. Es ist mehr als das, es ist eine
Schande für unsre Gesellschaft. Sind denn unsre Kinder nicht unser Bestes,
und ist es nicht unsre höchste Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie in gesunden
Schulzuständen aufwachsen, nicht als stumpfgedrilltes „Material" aus der
Schule hervorgehn, sondern als ein frohes Geschlecht mit erhobnen Haupt,
erfüllt von idealem Schwung, gestählt für den Kampf des Lebens?

Soll das Gymnasium wieder imstande sein, die Jugend höhern Zielen
entgegenzuführen, so müssen nicht nur die Lehrplüne beschnitten, auch die
Schülerzahl muß verringert werden; keine Klasse darf mehr Schüler haben,
als ein den einzelnen Schüler berücksichtigender Unterricht erlaubt. Also stelle
man da, wo es nötig geworden ist, neben den einen vollgepfropften Kasten
ein weiteres Gymnasium und ein drittes und gebe jedem einen vernünftigen
Umfang. Das Schulgeld verdoppele und verdreifache man getrost für die, die
humanistischen Unterricht haben »vollen, und die ihn bezahlen können — wer
einer Erleichterung bedarf, dem kann sie gewährt werden wie bisher —, und
fordere das, was darüber nötig ist, von der Allgemeinheit der besser gestellten
Klassen, denn der Allgemeinheit werden die Schüler dienen, die auf der Schule
gebildet werden, und je sorgfältiger sie gebildet werden, desto bessere Dienste
werden sie dem Staate, der'Gesellschaft, dem Volle leisten. Das Geld, das
die Väter opfern, wird ihren Kindern reiche Zinsen tragen und ihnen selbst
das Bewußtsein geben: Ich habe meine Pflicht gethan.

Das Lehramt statte man so aus, daß es wieder ein begehrenswerter
Beruf wird, und daß nicht nur Leute aus kleinen, dürftigen Verhältnissen
heraus ihn ergreifen, die mit dem engsten Horizont in ihn eintreten und dann
natürlich oft die schlimmsten Pedanten werden. Dazu gehört aber vor allem,
daß den Lehrern auch wieder die Möglichkeit zum Vorwärtskommen gegeben
wird. Das Auciennitätsprinzip muß durchbrochen werden, der Lehrer muß
dahin gestellt werden, wo er seine Fähigkeiten am besten verwerten und seine
Befriedigung finden kann, und es muß ihm Entlastung gewährt werden
können für 'seine eigne wissenschaftliche Fortbildung. Den Direktoren aber muß
ein größerer Einfluß auf die Lehrerwahl gegeben werden, als ihnen an Staats¬
anstalten gewöhnlich zusteht. Es muß aber auch die Möglichkeit geschaffen
werden, Lehrer, deren Untnuglichkeit sich herausstellt, aus dem Amt zu ent¬
minen. In welcher Weise das geschehn kann, und ob den Direktoren allein
ld e schwere Verantwortung für einen solchen Schritt zugemutet werden dürfte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/567>, abgerufen am 22.06.2024.