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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Laiengedanken über Humanismus und humanistische Schule

Also weg mit dem gegenwärtigen Betriebe des Französischen von den
Gymnasien -- das Englische zu einem ernsthaften Unterrichtsgegenstand für
das Gymnasium zu machen ist vollends überflüssig --, die Elemente genügen,
und wenn das Französische seine Eigenschaft als eines Hauptfachs in den untern
Klassen verliert, ist schon ein Teil der Überbürdung gefallen, über die Jungen
und Lehrer beide seufzen.

Natürlich ist es etwas andres bei denen, die auf ein wissenschaftliches
Studium der neuern Sprachen losgehn, und ebenso ist es mit der Mathematik
und den angrenzenden Materien für die, die auf ein reales Fach losgehn und
doch den humanistischen Untergrund nicht missen wollen. Da ist denn das
Einfache, zu kompensieren, indem man fakultatives Studium zuläßt. Das
eigentliche Vorarbeiten für wissenschaftliches Studium wird Wohl erst in den
beiden obern Klassen beginnen. Hier muß also eine Spaltung eintreten. Die
Leute, die sich neben der eigentlichen humanistischen Schulung für einen realen
Beruf auf einem der beiden realen Gebiete vorbereiten wollen, müssen die Ge¬
legenheit dazu haben, aber von dem korrespondierenden Fach entbunden werden
können. Die künftigen Mathematiker, Physiker, Ingenieure, Architekten usw.
sollen deu höhern entsprechenden Unterricht haben und werden von den mo¬
dernen Sprachen ganz befreit; entsprechend werden die künftigen Neuphilologen
von Mathematik und Naturwissenschaften entbunden. So werden sie vor Über¬
bürdung behütet, können ihre Fachvorbildnng und doch den vollen humanistischen
Unterricht genießen. An Lehrkräften dafür kann es auch an kleinen Gym¬
nasien nicht fehlen; sie sind ja schon überall vorhanden und würden künftig
eben nur mit freiwilligen Schülern, also mit einer geringern Zahl als bisher
zu thun haben.

Wie weit die realen Fächer in ihrem elementaren Umfang in die obern
Klassen hinaufgeführt werden sollen, ohne daß sie die Kraft von den eigentlich
humanistischen Fächern abziehn und zu Überbürdung führen, ist eine rein tech¬
nische Frage, die sich mit Vernunft wird lösen lassen.

Schneidet man so die Zweige des Lehrstoffs zurück, so wird der eigentliche
humanistische Kern des gymnasialen Unterrichts wieder kräftigeres Leben
treiben -- oder vielmehr, er kann es. Denn es gehört noch mehr dazu als
ein vernünftiger Lehrplan, es gehört vor allem eine Lehrerschaft dazu, die den
höhern Ansprüchen gewachsen ist, und es gehören Einrichtungen dazu, die eine
fruchtbare Lehrthätigkeit möglich machen.

Eine Kritik des Gymnasiallehrerstandes soll hier nicht gegeben werden.
Nur das sei ausgesprochen, daß das Brot, das gebacken wird, nicht besser sein
kann, als das Mehl überhaupt ist, das unsre höhern und hohen Schulen
liefern. Was sieben denn die Gymnasien selbst aus? Wo nur ein geistloser,
rein formalistischer und mechanischer Unterricht herrscht, der ein materiell
hochgespanntes, reglementarisch vorgeschriebnes Ziel mit äußerlichen Erfolg
zu erreichen sucht, da ist nur ein "Material" glücklich, dessen mechanische Gaben
bis über die letzten Klippen ausreichen. Wie wenig aber mechanische Lern¬
fähigkeit bei Kindern und jungen Leuten mit geistiger Begabung zusammen-


Laiengedanken über Humanismus und humanistische Schule

Also weg mit dem gegenwärtigen Betriebe des Französischen von den
Gymnasien — das Englische zu einem ernsthaften Unterrichtsgegenstand für
das Gymnasium zu machen ist vollends überflüssig —, die Elemente genügen,
und wenn das Französische seine Eigenschaft als eines Hauptfachs in den untern
Klassen verliert, ist schon ein Teil der Überbürdung gefallen, über die Jungen
und Lehrer beide seufzen.

Natürlich ist es etwas andres bei denen, die auf ein wissenschaftliches
Studium der neuern Sprachen losgehn, und ebenso ist es mit der Mathematik
und den angrenzenden Materien für die, die auf ein reales Fach losgehn und
doch den humanistischen Untergrund nicht missen wollen. Da ist denn das
Einfache, zu kompensieren, indem man fakultatives Studium zuläßt. Das
eigentliche Vorarbeiten für wissenschaftliches Studium wird Wohl erst in den
beiden obern Klassen beginnen. Hier muß also eine Spaltung eintreten. Die
Leute, die sich neben der eigentlichen humanistischen Schulung für einen realen
Beruf auf einem der beiden realen Gebiete vorbereiten wollen, müssen die Ge¬
legenheit dazu haben, aber von dem korrespondierenden Fach entbunden werden
können. Die künftigen Mathematiker, Physiker, Ingenieure, Architekten usw.
sollen deu höhern entsprechenden Unterricht haben und werden von den mo¬
dernen Sprachen ganz befreit; entsprechend werden die künftigen Neuphilologen
von Mathematik und Naturwissenschaften entbunden. So werden sie vor Über¬
bürdung behütet, können ihre Fachvorbildnng und doch den vollen humanistischen
Unterricht genießen. An Lehrkräften dafür kann es auch an kleinen Gym¬
nasien nicht fehlen; sie sind ja schon überall vorhanden und würden künftig
eben nur mit freiwilligen Schülern, also mit einer geringern Zahl als bisher
zu thun haben.

Wie weit die realen Fächer in ihrem elementaren Umfang in die obern
Klassen hinaufgeführt werden sollen, ohne daß sie die Kraft von den eigentlich
humanistischen Fächern abziehn und zu Überbürdung führen, ist eine rein tech¬
nische Frage, die sich mit Vernunft wird lösen lassen.

Schneidet man so die Zweige des Lehrstoffs zurück, so wird der eigentliche
humanistische Kern des gymnasialen Unterrichts wieder kräftigeres Leben
treiben — oder vielmehr, er kann es. Denn es gehört noch mehr dazu als
ein vernünftiger Lehrplan, es gehört vor allem eine Lehrerschaft dazu, die den
höhern Ansprüchen gewachsen ist, und es gehören Einrichtungen dazu, die eine
fruchtbare Lehrthätigkeit möglich machen.

Eine Kritik des Gymnasiallehrerstandes soll hier nicht gegeben werden.
Nur das sei ausgesprochen, daß das Brot, das gebacken wird, nicht besser sein
kann, als das Mehl überhaupt ist, das unsre höhern und hohen Schulen
liefern. Was sieben denn die Gymnasien selbst aus? Wo nur ein geistloser,
rein formalistischer und mechanischer Unterricht herrscht, der ein materiell
hochgespanntes, reglementarisch vorgeschriebnes Ziel mit äußerlichen Erfolg
zu erreichen sucht, da ist nur ein „Material" glücklich, dessen mechanische Gaben
bis über die letzten Klippen ausreichen. Wie wenig aber mechanische Lern¬
fähigkeit bei Kindern und jungen Leuten mit geistiger Begabung zusammen-


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[0563] Laiengedanken über Humanismus und humanistische Schule Also weg mit dem gegenwärtigen Betriebe des Französischen von den Gymnasien — das Englische zu einem ernsthaften Unterrichtsgegenstand für das Gymnasium zu machen ist vollends überflüssig —, die Elemente genügen, und wenn das Französische seine Eigenschaft als eines Hauptfachs in den untern Klassen verliert, ist schon ein Teil der Überbürdung gefallen, über die Jungen und Lehrer beide seufzen. Natürlich ist es etwas andres bei denen, die auf ein wissenschaftliches Studium der neuern Sprachen losgehn, und ebenso ist es mit der Mathematik und den angrenzenden Materien für die, die auf ein reales Fach losgehn und doch den humanistischen Untergrund nicht missen wollen. Da ist denn das Einfache, zu kompensieren, indem man fakultatives Studium zuläßt. Das eigentliche Vorarbeiten für wissenschaftliches Studium wird Wohl erst in den beiden obern Klassen beginnen. Hier muß also eine Spaltung eintreten. Die Leute, die sich neben der eigentlichen humanistischen Schulung für einen realen Beruf auf einem der beiden realen Gebiete vorbereiten wollen, müssen die Ge¬ legenheit dazu haben, aber von dem korrespondierenden Fach entbunden werden können. Die künftigen Mathematiker, Physiker, Ingenieure, Architekten usw. sollen deu höhern entsprechenden Unterricht haben und werden von den mo¬ dernen Sprachen ganz befreit; entsprechend werden die künftigen Neuphilologen von Mathematik und Naturwissenschaften entbunden. So werden sie vor Über¬ bürdung behütet, können ihre Fachvorbildnng und doch den vollen humanistischen Unterricht genießen. An Lehrkräften dafür kann es auch an kleinen Gym¬ nasien nicht fehlen; sie sind ja schon überall vorhanden und würden künftig eben nur mit freiwilligen Schülern, also mit einer geringern Zahl als bisher zu thun haben. Wie weit die realen Fächer in ihrem elementaren Umfang in die obern Klassen hinaufgeführt werden sollen, ohne daß sie die Kraft von den eigentlich humanistischen Fächern abziehn und zu Überbürdung führen, ist eine rein tech¬ nische Frage, die sich mit Vernunft wird lösen lassen. Schneidet man so die Zweige des Lehrstoffs zurück, so wird der eigentliche humanistische Kern des gymnasialen Unterrichts wieder kräftigeres Leben treiben — oder vielmehr, er kann es. Denn es gehört noch mehr dazu als ein vernünftiger Lehrplan, es gehört vor allem eine Lehrerschaft dazu, die den höhern Ansprüchen gewachsen ist, und es gehören Einrichtungen dazu, die eine fruchtbare Lehrthätigkeit möglich machen. Eine Kritik des Gymnasiallehrerstandes soll hier nicht gegeben werden. Nur das sei ausgesprochen, daß das Brot, das gebacken wird, nicht besser sein kann, als das Mehl überhaupt ist, das unsre höhern und hohen Schulen liefern. Was sieben denn die Gymnasien selbst aus? Wo nur ein geistloser, rein formalistischer und mechanischer Unterricht herrscht, der ein materiell hochgespanntes, reglementarisch vorgeschriebnes Ziel mit äußerlichen Erfolg zu erreichen sucht, da ist nur ein „Material" glücklich, dessen mechanische Gaben bis über die letzten Klippen ausreichen. Wie wenig aber mechanische Lern¬ fähigkeit bei Kindern und jungen Leuten mit geistiger Begabung zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/563>, abgerufen am 22.06.2024.