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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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liebes Verständnis, Übersicht über die Gesamtentwicklung, Anleitung zur eignen Arbeit)
bestimmt Wilamowitz vor allem in der Göttinger Prorektoratsrede von 1892:
"Philologie und Schulreform." Sie hat damals unter den Gymnasialphilologen viel
Staub aufgewirbelt mit ihrer Behauptung, die Zukunft der Philologie hänge keines¬
wegs von den höhern Schulen ab, und die Existenzberechtigung der Universitäts-
philolvgen nicht von der Ausbildung der Gymnasiallehrer, so wenig etwa wie die
der Orientalisten. Das klang vielen sehr geringschätzig und ist zwar richtig, aber
nicht vollständig. Denn die Rolle der klassischen Bildung in unserm nationalen
Leben, die Entscheidung der Frage, ob sie ihre Stellung behaupten soll oder nicht,
die hängt allerdings nicht von den Universitäten ab, sondern von den Gymnasien
(die beiläufig deu Ausdruck "höhere Knabenschulen" nicht annehmen können, weil
in ihren obern Klassen keine "Knaben" mehr sitzen). Auch damals aber hat Wila-
mowitz seine Sympathien für die Gymnasien ausgedrückt und der "Reform" von
1892, für die kein Philologe von Beruf um seiue Meinung gefragt worden sei,
ein schlechtes Prognostikon gestellt, das vollkommen eingetroffen ist; jetzt spricht er
in der Vorrede mit warmer Anerkennung von seinen alten Pförtner Lehrern, denen
er mehr zu verdanken bekennt als allen seinen akademischen Lehrern zusammen¬
genommen, und von dem "herrlichen" Berufe des Lehrers, besonders in den obersten
Klassen der Gymnasien. Vor allem ist er in der Berliner Pfingflkvnferenz wie in
seiner für diese bestimmten Denkschrift so energisch für die Gymnasien eingetreten,
das; diese in ihm einen wertvollen Bundesgenossen begrüßen dürfen.




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Von Zeit zu Zeit erscheinen ganz neue stilistische Dummheiten und Unrichtigkeiten. Bei
der thörichten Oberflächlichkeit vieler -- auch angeblich gebildeter -- Menschen verbreiten sich
solche Sprachschnitzer wie eine Epidemie. Es giebt Leute, die solche von ihrer Zeitung einigemal
miederholte Sprachwidrigsten sofort für Mode oder für modern halten und sich dann förmliche
Mühe geben, sich solche falschen und dummen Wendungen anzueignen.

Durch die Zeitungen gingen vor kurzem die Berichte über den Konitzer Meineidsprozeß
gegen Moritz Lewl). Nebenbei gesagt, eine der traurigsten Illustrationen der durch den fana¬
tischen und agitatorischen Antisemitismus gezeitigten Zustände. Dafür kann man ein offnes
Auge auch dann haben, wenn man durchaus nicht für die Juden und ihr Treiben schwärmt.

In diesen Prozeßberichlcn wird von drei oder vier Zeugen hintereinander berichtet, die
gesagt haben sollen: "Ich kann mich ans diese oder jene Thatsache nicht mehr erinnern."
Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die Zeugen sich wirklich so ausgedrückt habe". Denn der
Deutsche, wenn er richtig und natürlich spricht, erinnert sich nichr auf etwas, sondern an etwas.
Man sagt richtig: "Ich kann mich auf dies oder das nicht mehr besinnen." Ganz verkehrt
aber ist es, diese verschiedne Konstruktion der Zeitwörter sich besinnen und sich erinnern will¬
kürlich miteinander zu verwechseln und zu vertauschen. Das ist einfach eine ganz unstatthafte
Neporterunart, die wir Deutschen uns nicht gefallen lassen dürfen und wollen', Vollends un-
sinnig ist dann noch die immer wiederkehrende intransitive Wenduag: "Ich erinnere nicht" oder:
"darauf erinnere ich nicht." Sehr traurig wäre es, wenn wirklich der Gerichtsvorsitzende diese
Notzüchtigung unsrer Sprache aufgenommen und bei der weitern Befragung des Zeugen dessen
Sprachfehler beibehalten und wiederholt haben sollte. Es mag jn wohl von der Redaktion einer
täglich erscheinenden großen Zeitung kaum verlangt werden können, daß sie derartige Sprach¬
sünden der ihr zugehenden Reporterberichte vor dem Abdruck korrigieren und ausmerzen soll.
Desto schärfer aber muß sich das gebildete deutsche Publikum gegen ein derartiges schludriges
Nmgehn mangelhaft gebildeter und unverschämter Reporter mit unsrer Sprache verwahren und
es verdientermaßen brandmarken, damit nicht solche Sprachdummheiten in noch größerer Zahl
gäng und gäbe werden, als sie es leider ohnehin schon sind.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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bestimmt Wilamowitz vor allem in der Göttinger Prorektoratsrede von 1892:
„Philologie und Schulreform." Sie hat damals unter den Gymnasialphilologen viel
Staub aufgewirbelt mit ihrer Behauptung, die Zukunft der Philologie hänge keines¬
wegs von den höhern Schulen ab, und die Existenzberechtigung der Universitäts-
philolvgen nicht von der Ausbildung der Gymnasiallehrer, so wenig etwa wie die
der Orientalisten. Das klang vielen sehr geringschätzig und ist zwar richtig, aber
nicht vollständig. Denn die Rolle der klassischen Bildung in unserm nationalen
Leben, die Entscheidung der Frage, ob sie ihre Stellung behaupten soll oder nicht,
die hängt allerdings nicht von den Universitäten ab, sondern von den Gymnasien
(die beiläufig deu Ausdruck „höhere Knabenschulen" nicht annehmen können, weil
in ihren obern Klassen keine „Knaben" mehr sitzen). Auch damals aber hat Wila-
mowitz seine Sympathien für die Gymnasien ausgedrückt und der „Reform" von
1892, für die kein Philologe von Beruf um seiue Meinung gefragt worden sei,
ein schlechtes Prognostikon gestellt, das vollkommen eingetroffen ist; jetzt spricht er
in der Vorrede mit warmer Anerkennung von seinen alten Pförtner Lehrern, denen
er mehr zu verdanken bekennt als allen seinen akademischen Lehrern zusammen¬
genommen, und von dem „herrlichen" Berufe des Lehrers, besonders in den obersten
Klassen der Gymnasien. Vor allem ist er in der Berliner Pfingflkvnferenz wie in
seiner für diese bestimmten Denkschrift so energisch für die Gymnasien eingetreten,
das; diese in ihm einen wertvollen Bundesgenossen begrüßen dürfen.




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Von Zeit zu Zeit erscheinen ganz neue stilistische Dummheiten und Unrichtigkeiten. Bei
der thörichten Oberflächlichkeit vieler — auch angeblich gebildeter — Menschen verbreiten sich
solche Sprachschnitzer wie eine Epidemie. Es giebt Leute, die solche von ihrer Zeitung einigemal
miederholte Sprachwidrigsten sofort für Mode oder für modern halten und sich dann förmliche
Mühe geben, sich solche falschen und dummen Wendungen anzueignen.

Durch die Zeitungen gingen vor kurzem die Berichte über den Konitzer Meineidsprozeß
gegen Moritz Lewl). Nebenbei gesagt, eine der traurigsten Illustrationen der durch den fana¬
tischen und agitatorischen Antisemitismus gezeitigten Zustände. Dafür kann man ein offnes
Auge auch dann haben, wenn man durchaus nicht für die Juden und ihr Treiben schwärmt.

In diesen Prozeßberichlcn wird von drei oder vier Zeugen hintereinander berichtet, die
gesagt haben sollen: „Ich kann mich ans diese oder jene Thatsache nicht mehr erinnern."
Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die Zeugen sich wirklich so ausgedrückt habe». Denn der
Deutsche, wenn er richtig und natürlich spricht, erinnert sich nichr auf etwas, sondern an etwas.
Man sagt richtig: „Ich kann mich auf dies oder das nicht mehr besinnen." Ganz verkehrt
aber ist es, diese verschiedne Konstruktion der Zeitwörter sich besinnen und sich erinnern will¬
kürlich miteinander zu verwechseln und zu vertauschen. Das ist einfach eine ganz unstatthafte
Neporterunart, die wir Deutschen uns nicht gefallen lassen dürfen und wollen', Vollends un-
sinnig ist dann noch die immer wiederkehrende intransitive Wenduag: „Ich erinnere nicht" oder:
„darauf erinnere ich nicht." Sehr traurig wäre es, wenn wirklich der Gerichtsvorsitzende diese
Notzüchtigung unsrer Sprache aufgenommen und bei der weitern Befragung des Zeugen dessen
Sprachfehler beibehalten und wiederholt haben sollte. Es mag jn wohl von der Redaktion einer
täglich erscheinenden großen Zeitung kaum verlangt werden können, daß sie derartige Sprach¬
sünden der ihr zugehenden Reporterberichte vor dem Abdruck korrigieren und ausmerzen soll.
Desto schärfer aber muß sich das gebildete deutsche Publikum gegen ein derartiges schludriges
Nmgehn mangelhaft gebildeter und unverschämter Reporter mit unsrer Sprache verwahren und
es verdientermaßen brandmarken, damit nicht solche Sprachdummheiten in noch größerer Zahl
gäng und gäbe werden, als sie es leider ohnehin schon sind.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0496] Schwarzes Brett liebes Verständnis, Übersicht über die Gesamtentwicklung, Anleitung zur eignen Arbeit) bestimmt Wilamowitz vor allem in der Göttinger Prorektoratsrede von 1892: „Philologie und Schulreform." Sie hat damals unter den Gymnasialphilologen viel Staub aufgewirbelt mit ihrer Behauptung, die Zukunft der Philologie hänge keines¬ wegs von den höhern Schulen ab, und die Existenzberechtigung der Universitäts- philolvgen nicht von der Ausbildung der Gymnasiallehrer, so wenig etwa wie die der Orientalisten. Das klang vielen sehr geringschätzig und ist zwar richtig, aber nicht vollständig. Denn die Rolle der klassischen Bildung in unserm nationalen Leben, die Entscheidung der Frage, ob sie ihre Stellung behaupten soll oder nicht, die hängt allerdings nicht von den Universitäten ab, sondern von den Gymnasien (die beiläufig deu Ausdruck „höhere Knabenschulen" nicht annehmen können, weil in ihren obern Klassen keine „Knaben" mehr sitzen). Auch damals aber hat Wila- mowitz seine Sympathien für die Gymnasien ausgedrückt und der „Reform" von 1892, für die kein Philologe von Beruf um seiue Meinung gefragt worden sei, ein schlechtes Prognostikon gestellt, das vollkommen eingetroffen ist; jetzt spricht er in der Vorrede mit warmer Anerkennung von seinen alten Pförtner Lehrern, denen er mehr zu verdanken bekennt als allen seinen akademischen Lehrern zusammen¬ genommen, und von dem „herrlichen" Berufe des Lehrers, besonders in den obersten Klassen der Gymnasien. Vor allem ist er in der Berliner Pfingflkvnferenz wie in seiner für diese bestimmten Denkschrift so energisch für die Gymnasien eingetreten, das; diese in ihm einen wertvollen Bundesgenossen begrüßen dürfen. schwarzes Brett Von Zeit zu Zeit erscheinen ganz neue stilistische Dummheiten und Unrichtigkeiten. Bei der thörichten Oberflächlichkeit vieler — auch angeblich gebildeter — Menschen verbreiten sich solche Sprachschnitzer wie eine Epidemie. Es giebt Leute, die solche von ihrer Zeitung einigemal miederholte Sprachwidrigsten sofort für Mode oder für modern halten und sich dann förmliche Mühe geben, sich solche falschen und dummen Wendungen anzueignen. Durch die Zeitungen gingen vor kurzem die Berichte über den Konitzer Meineidsprozeß gegen Moritz Lewl). Nebenbei gesagt, eine der traurigsten Illustrationen der durch den fana¬ tischen und agitatorischen Antisemitismus gezeitigten Zustände. Dafür kann man ein offnes Auge auch dann haben, wenn man durchaus nicht für die Juden und ihr Treiben schwärmt. In diesen Prozeßberichlcn wird von drei oder vier Zeugen hintereinander berichtet, die gesagt haben sollen: „Ich kann mich ans diese oder jene Thatsache nicht mehr erinnern." Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die Zeugen sich wirklich so ausgedrückt habe». Denn der Deutsche, wenn er richtig und natürlich spricht, erinnert sich nichr auf etwas, sondern an etwas. Man sagt richtig: „Ich kann mich auf dies oder das nicht mehr besinnen." Ganz verkehrt aber ist es, diese verschiedne Konstruktion der Zeitwörter sich besinnen und sich erinnern will¬ kürlich miteinander zu verwechseln und zu vertauschen. Das ist einfach eine ganz unstatthafte Neporterunart, die wir Deutschen uns nicht gefallen lassen dürfen und wollen', Vollends un- sinnig ist dann noch die immer wiederkehrende intransitive Wenduag: „Ich erinnere nicht" oder: „darauf erinnere ich nicht." Sehr traurig wäre es, wenn wirklich der Gerichtsvorsitzende diese Notzüchtigung unsrer Sprache aufgenommen und bei der weitern Befragung des Zeugen dessen Sprachfehler beibehalten und wiederholt haben sollte. Es mag jn wohl von der Redaktion einer täglich erscheinenden großen Zeitung kaum verlangt werden können, daß sie derartige Sprach¬ sünden der ihr zugehenden Reporterberichte vor dem Abdruck korrigieren und ausmerzen soll. Desto schärfer aber muß sich das gebildete deutsche Publikum gegen ein derartiges schludriges Nmgehn mangelhaft gebildeter und unverschämter Reporter mit unsrer Sprache verwahren und es verdientermaßen brandmarken, damit nicht solche Sprachdummheiten in noch größerer Zahl gäng und gäbe werden, als sie es leider ohnehin schon sind. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/496>, abgerufen am 21.06.2024.