Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Wege von Papenburg nach Leipzig aus dem Regen in die Traufe
kommen könnte. Das muß aber verhütet werden; den Seeleuten haben die
dreierlei Rnderkommandos die Kopfe schon genügend wirr gemacht, um so
nötiger ist es, daß die Herren Gesetzgeber klaren Einblick in die Sache be¬
kommen. Herr Jhnken spricht für das alte Kommando, und er steht nicht
allein mit seiner Ansicht. Aber es giebt auch eine ganze Reihe von sachver¬
ständigen Männern in Deutschland, die eine andre Lösung dieses gordischen
Knotens erhoffen und anstreben, und zwar aus längst erwognen Gründen.

In deutschen seemännischen Kreisen wird nämlich über die Einführung
eines vernünftigen Rnderkommandos schon seit 1875 beraten, oder eigentlich
nur geschwatzt, denn die Sache ist seitdem nicht besser, sondern schlechter ge¬
worden. Als vor zwanzig Jahren der klarsehende Soldat und Leiter der
deutschen Admiralität, Stosch, das "neue" Kommando bei der Marine ein¬
führte, stieß er auf viel Widerspruch in den Kreisen der "hartgesottnen Männer
der Salzwasserzunft," die bekanntlich in allem, was Neuerungen anlangt, die
ultrakonservativsten Anschauungen haben. Aber auch im Neichscimt des Innern,
das in den Kreisen der dentschen Reederei damals und auch noch später mit
oder ohne Absicht als "die Rcichsregierung" bezeichnet wurde, fand man es
"unthunlich, eine Änderung herbeizuführen," und dachte gar nicht daran, den
Chef der Admiralität in seinen verständigen Bestrebungen zu unterstützen. So
wurde der Zopf nur halb abgeschnitten; wie bei der Hydra aber wuchsen ihm
zwei neue Zipfel, einer davon noch verwickelter als der alte. Wenn damals
Bismarck einen tüchtigen seemännischen Berater gehabt hätte, würde mau heute
nicht mehr zu klagen brauchen. Aber leider ist der große Mann gerade in
Seefahrtsdingen häufig recht mittelmäßig beraten worden, und zwar gewöhn¬
lich nach der Melodie cMötg, von moon'ö -- laß den Zopf hängen! -- Wir
sind in seemännischen Fragen vielerlei Art noch kleinern Seestaaten gegenüber
rückständig, weil Bismarck kein Interesse dafür gehabt hat, seiner Zeit die kläg¬
liche Kleinstaaterei im Seefahrtsbetrieb gründlich auszukehren; an Macht kann
es ihm doch kaum gefehlt haben, um die einzelnen dentschen Seestaaten in
ihren Seefahrtseinrichtungen unter einen Hut und in eine feste Hand zu
bringen. Das zukünftige Gesetz für ein einheitliches Ruderkommando ist nur
ein Pünktchen aus einem Berg von Aufgaben, die noch immer der Lösung
harren. Man lese nur einmal heute, sechs Jahre nach ihrem Erscheinen, meine
vielgeschmähte und doch nicht schlechte kleine Schrift "Schutz für unsre See¬
leute!" darüber nach, was alles noch ungeregelt ist.

Doch zurück zu unsrer endlosen dreischwänzigen Seeschlange: zunächst
wird ihre Entstehungsgeschichte näher betrachtet werden müssen. Wie so manche
andre Geschmacklosigkeit, z. B. der steife Cylinder und der alberne swoKmS arcs8,
der scheußlicher als eine Kellnerjacke aussieht, stammt auch das verdrehte alte
Ruderkommando aus Olcl Mg'Ig,mi. Allerdings hat sich dieses Kommando im
Laufe der Zeiten gewissermaßen selber verdreht. Der Unsinn liegt nur in dem
zähen Festhalten an einer Gewohnheit, die sich überlebt hat. Von John Bull,


dem Wege von Papenburg nach Leipzig aus dem Regen in die Traufe
kommen könnte. Das muß aber verhütet werden; den Seeleuten haben die
dreierlei Rnderkommandos die Kopfe schon genügend wirr gemacht, um so
nötiger ist es, daß die Herren Gesetzgeber klaren Einblick in die Sache be¬
kommen. Herr Jhnken spricht für das alte Kommando, und er steht nicht
allein mit seiner Ansicht. Aber es giebt auch eine ganze Reihe von sachver¬
ständigen Männern in Deutschland, die eine andre Lösung dieses gordischen
Knotens erhoffen und anstreben, und zwar aus längst erwognen Gründen.

In deutschen seemännischen Kreisen wird nämlich über die Einführung
eines vernünftigen Rnderkommandos schon seit 1875 beraten, oder eigentlich
nur geschwatzt, denn die Sache ist seitdem nicht besser, sondern schlechter ge¬
worden. Als vor zwanzig Jahren der klarsehende Soldat und Leiter der
deutschen Admiralität, Stosch, das „neue" Kommando bei der Marine ein¬
führte, stieß er auf viel Widerspruch in den Kreisen der „hartgesottnen Männer
der Salzwasserzunft," die bekanntlich in allem, was Neuerungen anlangt, die
ultrakonservativsten Anschauungen haben. Aber auch im Neichscimt des Innern,
das in den Kreisen der dentschen Reederei damals und auch noch später mit
oder ohne Absicht als „die Rcichsregierung" bezeichnet wurde, fand man es
„unthunlich, eine Änderung herbeizuführen," und dachte gar nicht daran, den
Chef der Admiralität in seinen verständigen Bestrebungen zu unterstützen. So
wurde der Zopf nur halb abgeschnitten; wie bei der Hydra aber wuchsen ihm
zwei neue Zipfel, einer davon noch verwickelter als der alte. Wenn damals
Bismarck einen tüchtigen seemännischen Berater gehabt hätte, würde mau heute
nicht mehr zu klagen brauchen. Aber leider ist der große Mann gerade in
Seefahrtsdingen häufig recht mittelmäßig beraten worden, und zwar gewöhn¬
lich nach der Melodie cMötg, von moon'ö — laß den Zopf hängen! — Wir
sind in seemännischen Fragen vielerlei Art noch kleinern Seestaaten gegenüber
rückständig, weil Bismarck kein Interesse dafür gehabt hat, seiner Zeit die kläg¬
liche Kleinstaaterei im Seefahrtsbetrieb gründlich auszukehren; an Macht kann
es ihm doch kaum gefehlt haben, um die einzelnen dentschen Seestaaten in
ihren Seefahrtseinrichtungen unter einen Hut und in eine feste Hand zu
bringen. Das zukünftige Gesetz für ein einheitliches Ruderkommando ist nur
ein Pünktchen aus einem Berg von Aufgaben, die noch immer der Lösung
harren. Man lese nur einmal heute, sechs Jahre nach ihrem Erscheinen, meine
vielgeschmähte und doch nicht schlechte kleine Schrift „Schutz für unsre See¬
leute!" darüber nach, was alles noch ungeregelt ist.

Doch zurück zu unsrer endlosen dreischwänzigen Seeschlange: zunächst
wird ihre Entstehungsgeschichte näher betrachtet werden müssen. Wie so manche
andre Geschmacklosigkeit, z. B. der steife Cylinder und der alberne swoKmS arcs8,
der scheußlicher als eine Kellnerjacke aussieht, stammt auch das verdrehte alte
Ruderkommando aus Olcl Mg'Ig,mi. Allerdings hat sich dieses Kommando im
Laufe der Zeiten gewissermaßen selber verdreht. Der Unsinn liegt nur in dem
zähen Festhalten an einer Gewohnheit, die sich überlebt hat. Von John Bull,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234250"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214"> dem Wege von Papenburg nach Leipzig aus dem Regen in die Traufe<lb/>
kommen könnte. Das muß aber verhütet werden; den Seeleuten haben die<lb/>
dreierlei Rnderkommandos die Kopfe schon genügend wirr gemacht, um so<lb/>
nötiger ist es, daß die Herren Gesetzgeber klaren Einblick in die Sache be¬<lb/>
kommen. Herr Jhnken spricht für das alte Kommando, und er steht nicht<lb/>
allein mit seiner Ansicht. Aber es giebt auch eine ganze Reihe von sachver¬<lb/>
ständigen Männern in Deutschland, die eine andre Lösung dieses gordischen<lb/>
Knotens erhoffen und anstreben, und zwar aus längst erwognen Gründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1216"> In deutschen seemännischen Kreisen wird nämlich über die Einführung<lb/>
eines vernünftigen Rnderkommandos schon seit 1875 beraten, oder eigentlich<lb/>
nur geschwatzt, denn die Sache ist seitdem nicht besser, sondern schlechter ge¬<lb/>
worden. Als vor zwanzig Jahren der klarsehende Soldat und Leiter der<lb/>
deutschen Admiralität, Stosch, das &#x201E;neue" Kommando bei der Marine ein¬<lb/>
führte, stieß er auf viel Widerspruch in den Kreisen der &#x201E;hartgesottnen Männer<lb/>
der Salzwasserzunft," die bekanntlich in allem, was Neuerungen anlangt, die<lb/>
ultrakonservativsten Anschauungen haben. Aber auch im Neichscimt des Innern,<lb/>
das in den Kreisen der dentschen Reederei damals und auch noch später mit<lb/>
oder ohne Absicht als &#x201E;die Rcichsregierung" bezeichnet wurde, fand man es<lb/>
&#x201E;unthunlich, eine Änderung herbeizuführen," und dachte gar nicht daran, den<lb/>
Chef der Admiralität in seinen verständigen Bestrebungen zu unterstützen. So<lb/>
wurde der Zopf nur halb abgeschnitten; wie bei der Hydra aber wuchsen ihm<lb/>
zwei neue Zipfel, einer davon noch verwickelter als der alte. Wenn damals<lb/>
Bismarck einen tüchtigen seemännischen Berater gehabt hätte, würde mau heute<lb/>
nicht mehr zu klagen brauchen. Aber leider ist der große Mann gerade in<lb/>
Seefahrtsdingen häufig recht mittelmäßig beraten worden, und zwar gewöhn¬<lb/>
lich nach der Melodie cMötg, von moon'ö &#x2014; laß den Zopf hängen! &#x2014; Wir<lb/>
sind in seemännischen Fragen vielerlei Art noch kleinern Seestaaten gegenüber<lb/>
rückständig, weil Bismarck kein Interesse dafür gehabt hat, seiner Zeit die kläg¬<lb/>
liche Kleinstaaterei im Seefahrtsbetrieb gründlich auszukehren; an Macht kann<lb/>
es ihm doch kaum gefehlt haben, um die einzelnen dentschen Seestaaten in<lb/>
ihren Seefahrtseinrichtungen unter einen Hut und in eine feste Hand zu<lb/>
bringen. Das zukünftige Gesetz für ein einheitliches Ruderkommando ist nur<lb/>
ein Pünktchen aus einem Berg von Aufgaben, die noch immer der Lösung<lb/>
harren. Man lese nur einmal heute, sechs Jahre nach ihrem Erscheinen, meine<lb/>
vielgeschmähte und doch nicht schlechte kleine Schrift &#x201E;Schutz für unsre See¬<lb/>
leute!" darüber nach, was alles noch ungeregelt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1217" next="#ID_1218"> Doch zurück zu unsrer endlosen dreischwänzigen Seeschlange: zunächst<lb/>
wird ihre Entstehungsgeschichte näher betrachtet werden müssen. Wie so manche<lb/>
andre Geschmacklosigkeit, z. B. der steife Cylinder und der alberne swoKmS arcs8,<lb/>
der scheußlicher als eine Kellnerjacke aussieht, stammt auch das verdrehte alte<lb/>
Ruderkommando aus Olcl Mg'Ig,mi. Allerdings hat sich dieses Kommando im<lb/>
Laufe der Zeiten gewissermaßen selber verdreht. Der Unsinn liegt nur in dem<lb/>
zähen Festhalten an einer Gewohnheit, die sich überlebt hat. Von John Bull,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] dem Wege von Papenburg nach Leipzig aus dem Regen in die Traufe kommen könnte. Das muß aber verhütet werden; den Seeleuten haben die dreierlei Rnderkommandos die Kopfe schon genügend wirr gemacht, um so nötiger ist es, daß die Herren Gesetzgeber klaren Einblick in die Sache be¬ kommen. Herr Jhnken spricht für das alte Kommando, und er steht nicht allein mit seiner Ansicht. Aber es giebt auch eine ganze Reihe von sachver¬ ständigen Männern in Deutschland, die eine andre Lösung dieses gordischen Knotens erhoffen und anstreben, und zwar aus längst erwognen Gründen. In deutschen seemännischen Kreisen wird nämlich über die Einführung eines vernünftigen Rnderkommandos schon seit 1875 beraten, oder eigentlich nur geschwatzt, denn die Sache ist seitdem nicht besser, sondern schlechter ge¬ worden. Als vor zwanzig Jahren der klarsehende Soldat und Leiter der deutschen Admiralität, Stosch, das „neue" Kommando bei der Marine ein¬ führte, stieß er auf viel Widerspruch in den Kreisen der „hartgesottnen Männer der Salzwasserzunft," die bekanntlich in allem, was Neuerungen anlangt, die ultrakonservativsten Anschauungen haben. Aber auch im Neichscimt des Innern, das in den Kreisen der dentschen Reederei damals und auch noch später mit oder ohne Absicht als „die Rcichsregierung" bezeichnet wurde, fand man es „unthunlich, eine Änderung herbeizuführen," und dachte gar nicht daran, den Chef der Admiralität in seinen verständigen Bestrebungen zu unterstützen. So wurde der Zopf nur halb abgeschnitten; wie bei der Hydra aber wuchsen ihm zwei neue Zipfel, einer davon noch verwickelter als der alte. Wenn damals Bismarck einen tüchtigen seemännischen Berater gehabt hätte, würde mau heute nicht mehr zu klagen brauchen. Aber leider ist der große Mann gerade in Seefahrtsdingen häufig recht mittelmäßig beraten worden, und zwar gewöhn¬ lich nach der Melodie cMötg, von moon'ö — laß den Zopf hängen! — Wir sind in seemännischen Fragen vielerlei Art noch kleinern Seestaaten gegenüber rückständig, weil Bismarck kein Interesse dafür gehabt hat, seiner Zeit die kläg¬ liche Kleinstaaterei im Seefahrtsbetrieb gründlich auszukehren; an Macht kann es ihm doch kaum gefehlt haben, um die einzelnen dentschen Seestaaten in ihren Seefahrtseinrichtungen unter einen Hut und in eine feste Hand zu bringen. Das zukünftige Gesetz für ein einheitliches Ruderkommando ist nur ein Pünktchen aus einem Berg von Aufgaben, die noch immer der Lösung harren. Man lese nur einmal heute, sechs Jahre nach ihrem Erscheinen, meine vielgeschmähte und doch nicht schlechte kleine Schrift „Schutz für unsre See¬ leute!" darüber nach, was alles noch ungeregelt ist. Doch zurück zu unsrer endlosen dreischwänzigen Seeschlange: zunächst wird ihre Entstehungsgeschichte näher betrachtet werden müssen. Wie so manche andre Geschmacklosigkeit, z. B. der steife Cylinder und der alberne swoKmS arcs8, der scheußlicher als eine Kellnerjacke aussieht, stammt auch das verdrehte alte Ruderkommando aus Olcl Mg'Ig,mi. Allerdings hat sich dieses Kommando im Laufe der Zeiten gewissermaßen selber verdreht. Der Unsinn liegt nur in dem zähen Festhalten an einer Gewohnheit, die sich überlebt hat. Von John Bull,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/370>, abgerufen am 29.06.2024.