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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aber wie das soziale Leben immer mehr in staatliche Formen gezwängt, von
staatlichen Zwecken bestimmt wird, so hat mich die Schule immer mehr ihren
privaten Charakter zu Gunsten des öffentlichen aufgeben müssen, so ist sie ans
der Sorge und Pflege der Eltern und Gemeinden in die Leitung von Beamten
übergegangen. Der Beamte hat nun bekanntlich überall das Bedürfnis, jedem
Mangel, den er auf dem Gebiet seines Amtskreiscs entdeckt, dadurch abzuhelfen,
daß er sein Machtgebiet erweitert oder seine amtliche Gewalt verstärkt. So
sind wir in manchem deutschen Staate, wie z, B, in Sachsen, schon dahin
gelangt, daß sich der Staat für verpflichtet hält, nicht nur seine eignen Sachsen¬
kinder, sondern auch alle andern innerhalb der Grenzen des Königreichs
lebenden Kinder zu erziehn. Nichtsächsische, jn nicht einmal reichsangehörige
Familien auch der höhern Stände, die in Dresden wohnen, werden polizeilich
dazu angehalten, ihre Söhne und Tochter, sobald sie das sächsisch-schulpflichtige
Alter erreicht haben, in eine öffentliche Schule zu schicken. Ein ganz erstaun¬
licher Drang nach Bethätigung, eine wunderbare Arbeitslust in diesem Sachsen!
In Wirklichkeit die Krebskrankheit des Vnreaukratismus neben deutscher Pe¬
danterie. Und diese beiden Motive mögen denn auch lebendig werden, wenn
in Posen der Staat wieder einmal eine "kraftvolle" Politik "ohne Schwanken"
gegen die Polen in Szene zu setzen verspricht.

Freilich, eine kräftige und konsequente staatliche Handhabung der Ver¬
waltung in den polnischen Gebieten thut längst not, nicht eine von leeren
Doktrinen oder staatsfeindlichen Tendenzen beherrschte, wie sie sich gewisse
Parteien bei uns wünschen. Denn wir stehn dort im Osten nicht nur einem
in politischem Kampf sehr geübten Adel, einem uns an nationaler Festigkeit
überlegnen Volk, sondern einer Kirche gegenüber, die für die polnisch-nationale
Sache gerade so ficht, wie wenn die katholische Kirche mit ihr leben und sterben
müßte. Das ist ein so geschlossenes, geübtes, kirchliches Beamtenheer, daß wir
leider genötigt sind, ihm mit staatlichen Mitteln entgegen zu treten.

So wie die Dinge hente in Posen gehn, kommen wir sicher an einen
Punkt, wo der Staat zu Ausnahmegesetzen gegen die Polen greifen wird.
Vielleicht wäre es sogar besser, wenn daS bald geschähe, ehe wir planlos und
schwankend immer weiter treiben, bis die gegenseitige Erbitterung einen Grad
wird erreicht haben, der gewaltsamere Maßregeln erfordern wird, als heute
noch nötig sind. Der unkluge Übermut, der sich je länger je mehr bei den
Polen zeige"? wird, wenn sie sich einem solchen Reichstage wie den" vom
24. Januar d. I. gegenüberseheu, könnte zu Ausschreitungen führen, die eine
Suspension der Verfassung und einen Diktaturparagraphen zur Folge hätten.
Wir haben sofort nach der Debatte im Reichstage gehört, wie man in Posen
einen Sieg verkündete und ausbeutete. Die polnische "Landessprache" wurde
gefordert. Etwa für den Schulgebrauch in Privcitschnlen? Nein, man will
staatlich die Gleichberechtigung und wird demnächst die Herrschaft des Pol¬
nischen verlangen. Das liegt in der polnischen Art. Solche Forderungen,
besonders die des polnischen Staates von 1771, sind sehr verständliche Äuße-


!>>>: Polenkämpfe

Aber wie das soziale Leben immer mehr in staatliche Formen gezwängt, von
staatlichen Zwecken bestimmt wird, so hat mich die Schule immer mehr ihren
privaten Charakter zu Gunsten des öffentlichen aufgeben müssen, so ist sie ans
der Sorge und Pflege der Eltern und Gemeinden in die Leitung von Beamten
übergegangen. Der Beamte hat nun bekanntlich überall das Bedürfnis, jedem
Mangel, den er auf dem Gebiet seines Amtskreiscs entdeckt, dadurch abzuhelfen,
daß er sein Machtgebiet erweitert oder seine amtliche Gewalt verstärkt. So
sind wir in manchem deutschen Staate, wie z, B, in Sachsen, schon dahin
gelangt, daß sich der Staat für verpflichtet hält, nicht nur seine eignen Sachsen¬
kinder, sondern auch alle andern innerhalb der Grenzen des Königreichs
lebenden Kinder zu erziehn. Nichtsächsische, jn nicht einmal reichsangehörige
Familien auch der höhern Stände, die in Dresden wohnen, werden polizeilich
dazu angehalten, ihre Söhne und Tochter, sobald sie das sächsisch-schulpflichtige
Alter erreicht haben, in eine öffentliche Schule zu schicken. Ein ganz erstaun¬
licher Drang nach Bethätigung, eine wunderbare Arbeitslust in diesem Sachsen!
In Wirklichkeit die Krebskrankheit des Vnreaukratismus neben deutscher Pe¬
danterie. Und diese beiden Motive mögen denn auch lebendig werden, wenn
in Posen der Staat wieder einmal eine „kraftvolle" Politik „ohne Schwanken"
gegen die Polen in Szene zu setzen verspricht.

Freilich, eine kräftige und konsequente staatliche Handhabung der Ver¬
waltung in den polnischen Gebieten thut längst not, nicht eine von leeren
Doktrinen oder staatsfeindlichen Tendenzen beherrschte, wie sie sich gewisse
Parteien bei uns wünschen. Denn wir stehn dort im Osten nicht nur einem
in politischem Kampf sehr geübten Adel, einem uns an nationaler Festigkeit
überlegnen Volk, sondern einer Kirche gegenüber, die für die polnisch-nationale
Sache gerade so ficht, wie wenn die katholische Kirche mit ihr leben und sterben
müßte. Das ist ein so geschlossenes, geübtes, kirchliches Beamtenheer, daß wir
leider genötigt sind, ihm mit staatlichen Mitteln entgegen zu treten.

So wie die Dinge hente in Posen gehn, kommen wir sicher an einen
Punkt, wo der Staat zu Ausnahmegesetzen gegen die Polen greifen wird.
Vielleicht wäre es sogar besser, wenn daS bald geschähe, ehe wir planlos und
schwankend immer weiter treiben, bis die gegenseitige Erbitterung einen Grad
wird erreicht haben, der gewaltsamere Maßregeln erfordern wird, als heute
noch nötig sind. Der unkluge Übermut, der sich je länger je mehr bei den
Polen zeige»? wird, wenn sie sich einem solchen Reichstage wie den» vom
24. Januar d. I. gegenüberseheu, könnte zu Ausschreitungen führen, die eine
Suspension der Verfassung und einen Diktaturparagraphen zur Folge hätten.
Wir haben sofort nach der Debatte im Reichstage gehört, wie man in Posen
einen Sieg verkündete und ausbeutete. Die polnische „Landessprache" wurde
gefordert. Etwa für den Schulgebrauch in Privcitschnlen? Nein, man will
staatlich die Gleichberechtigung und wird demnächst die Herrschaft des Pol¬
nischen verlangen. Das liegt in der polnischen Art. Solche Forderungen,
besonders die des polnischen Staates von 1771, sind sehr verständliche Äuße-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/357>, abgerufen am 29.06.2024.