Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
?le L>olenkämxfe

Deutschland und die Welt, aber es ist nicht Weltsprache, und darum wird von
unsern Postbeamten nicht verlangt, russische Korrespondenz zu verstehn. In
Rußland leben mehr Polen als Deutsche, und dennoch versteht der Postbeamte
in Moskau kein Polnisch, wohl aber Deutsch, obwohl er mehr nationales Be¬
wußtsein hat als manche Leute bei uns, die von Patriotismus triefen, aber
flugs init den Polen gemeinsame Sache machen, wenn es gilt, der eigne" Re¬
gierung etwas anzuhängen. Dieselben Leute, die heute die politische Heraus¬
forderung der Polen gutheißen, die eine höchst nutzlose, unkluge Agitation
Polnischer Hitzköpfe zu Gunsten eines wertlosen Scheins unterstützen, die in
Reichstag und Presse nach Gerechtigkeit rufen zu Gunsten einer thörichten
Polnischen Demonstration: dieselben Leute regen sich kaum, wen" man deu
Polen die schlimmste Gewalt anthut, indem man ihnen ihre Sprache raubt in
der Schule, ihre Nationalität in Haus und Familie, Wo versteckt sich denu
die Gerechtigkeit, auf die mau heute gegenüber der Postverwaltung pocht, wenn
man den Polen das Recht raubt, ihre Kinder polnisch zu erziehn? Polnisch
geschriebne Adressen auf Briefen sollen ein heiliges Recht des polnischen
Stammes, sollen verbriefte "Landessprache" sein: aber der Lehrer, die Dame
aus der Gesellschaft, die sich erkühnen, polnische Kinder in der polnischen
Sprache zu unterrichten, für die rührt sich das Genüssen der Herren wenig.
Wie sollen die armen Polen denn lernen, polnische Adressen zu schreiben, wenn
sie überhaupt nicht lernen dürfen, polnisch zu schreibe"? Oder Null man in
ben Schulen dafür sorgen, daß einstmals die polnischen Briefe von selbst auf¬
hören? Ist man denn nach den Erfahrungen eines halben Jahrhunderts noch
immer nicht über den alten Aberglauben hinausgekommen, daß mau durch
Bildung allein den Polen zum Deutschen machen könne?

Es ist die Pflicht des Staats, in seinen nationalen Forderungen gegen¬
über den Polen nicht über das Maß staatlicher Notwendigkeit hinauszugehn.
Notwendig ist es, in dem stetig wachsenden Verkehr der Post die Arbeit nicht
durch polnische oder tschechische oder litauische Adressen erschweren zu lassen.
Weil diese Stämme damit ihrem nationalen Selbstgefühl schmeicheln wollen,
kann der Staat, das Reich nicht neben den drei Weltsprachen noch eine oder
mehr andre Sprachen in seinen Betrieb aufnehmen, Darf man in Posen
einen polnisch adressierter Brief auf die Post geben, so muß man ihn in Nürn¬
berg auch von der Post empfangen können, und umgekehrt. Und wollte man
das Polnische auch nnr für polnisches Gebiet zulassen, wollte man zu dem
Zweck ein eignes polnisch redendes oder lesendes Korps von Postbeamten
halten, so entstünde wahrscheinlich alsbald der Streit darum, wo das polnische
Postgebiet anfange, und wo es ende. Unsre Polen sind fast alle imstande,
eine deutsche Adresse zu schreiben und sollen keine polnischen Adressen schreiben,
weil das den Staat belasten und ihnen in keiner Weise nützen würde. Auf
kindisches "etsch, etsch!" und Gesichterschneiden sollte man bei uns nicht mit
der ganzen Batterie politischer Geschütze in Reichstag und Presse antworten.
Aber um so ernster sollte man sich dem zuwenden, was berechtigte Forderungen


?le L>olenkämxfe

Deutschland und die Welt, aber es ist nicht Weltsprache, und darum wird von
unsern Postbeamten nicht verlangt, russische Korrespondenz zu verstehn. In
Rußland leben mehr Polen als Deutsche, und dennoch versteht der Postbeamte
in Moskau kein Polnisch, wohl aber Deutsch, obwohl er mehr nationales Be¬
wußtsein hat als manche Leute bei uns, die von Patriotismus triefen, aber
flugs init den Polen gemeinsame Sache machen, wenn es gilt, der eigne» Re¬
gierung etwas anzuhängen. Dieselben Leute, die heute die politische Heraus¬
forderung der Polen gutheißen, die eine höchst nutzlose, unkluge Agitation
Polnischer Hitzköpfe zu Gunsten eines wertlosen Scheins unterstützen, die in
Reichstag und Presse nach Gerechtigkeit rufen zu Gunsten einer thörichten
Polnischen Demonstration: dieselben Leute regen sich kaum, wen» man deu
Polen die schlimmste Gewalt anthut, indem man ihnen ihre Sprache raubt in
der Schule, ihre Nationalität in Haus und Familie, Wo versteckt sich denu
die Gerechtigkeit, auf die mau heute gegenüber der Postverwaltung pocht, wenn
man den Polen das Recht raubt, ihre Kinder polnisch zu erziehn? Polnisch
geschriebne Adressen auf Briefen sollen ein heiliges Recht des polnischen
Stammes, sollen verbriefte „Landessprache" sein: aber der Lehrer, die Dame
aus der Gesellschaft, die sich erkühnen, polnische Kinder in der polnischen
Sprache zu unterrichten, für die rührt sich das Genüssen der Herren wenig.
Wie sollen die armen Polen denn lernen, polnische Adressen zu schreiben, wenn
sie überhaupt nicht lernen dürfen, polnisch zu schreibe»? Oder Null man in
ben Schulen dafür sorgen, daß einstmals die polnischen Briefe von selbst auf¬
hören? Ist man denn nach den Erfahrungen eines halben Jahrhunderts noch
immer nicht über den alten Aberglauben hinausgekommen, daß mau durch
Bildung allein den Polen zum Deutschen machen könne?

Es ist die Pflicht des Staats, in seinen nationalen Forderungen gegen¬
über den Polen nicht über das Maß staatlicher Notwendigkeit hinauszugehn.
Notwendig ist es, in dem stetig wachsenden Verkehr der Post die Arbeit nicht
durch polnische oder tschechische oder litauische Adressen erschweren zu lassen.
Weil diese Stämme damit ihrem nationalen Selbstgefühl schmeicheln wollen,
kann der Staat, das Reich nicht neben den drei Weltsprachen noch eine oder
mehr andre Sprachen in seinen Betrieb aufnehmen, Darf man in Posen
einen polnisch adressierter Brief auf die Post geben, so muß man ihn in Nürn¬
berg auch von der Post empfangen können, und umgekehrt. Und wollte man
das Polnische auch nnr für polnisches Gebiet zulassen, wollte man zu dem
Zweck ein eignes polnisch redendes oder lesendes Korps von Postbeamten
halten, so entstünde wahrscheinlich alsbald der Streit darum, wo das polnische
Postgebiet anfange, und wo es ende. Unsre Polen sind fast alle imstande,
eine deutsche Adresse zu schreiben und sollen keine polnischen Adressen schreiben,
weil das den Staat belasten und ihnen in keiner Weise nützen würde. Auf
kindisches „etsch, etsch!" und Gesichterschneiden sollte man bei uns nicht mit
der ganzen Batterie politischer Geschütze in Reichstag und Presse antworten.
Aber um so ernster sollte man sich dem zuwenden, was berechtigte Forderungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234235"/>
          <fw type="header" place="top"> ?le L&gt;olenkämxfe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1178" prev="#ID_1177"> Deutschland und die Welt, aber es ist nicht Weltsprache, und darum wird von<lb/>
unsern Postbeamten nicht verlangt, russische Korrespondenz zu verstehn. In<lb/>
Rußland leben mehr Polen als Deutsche, und dennoch versteht der Postbeamte<lb/>
in Moskau kein Polnisch, wohl aber Deutsch, obwohl er mehr nationales Be¬<lb/>
wußtsein hat als manche Leute bei uns, die von Patriotismus triefen, aber<lb/>
flugs init den Polen gemeinsame Sache machen, wenn es gilt, der eigne» Re¬<lb/>
gierung etwas anzuhängen. Dieselben Leute, die heute die politische Heraus¬<lb/>
forderung der Polen gutheißen, die eine höchst nutzlose, unkluge Agitation<lb/>
Polnischer Hitzköpfe zu Gunsten eines wertlosen Scheins unterstützen, die in<lb/>
Reichstag und Presse nach Gerechtigkeit rufen zu Gunsten einer thörichten<lb/>
Polnischen Demonstration: dieselben Leute regen sich kaum, wen» man deu<lb/>
Polen die schlimmste Gewalt anthut, indem man ihnen ihre Sprache raubt in<lb/>
der Schule, ihre Nationalität in Haus und Familie, Wo versteckt sich denu<lb/>
die Gerechtigkeit, auf die mau heute gegenüber der Postverwaltung pocht, wenn<lb/>
man den Polen das Recht raubt, ihre Kinder polnisch zu erziehn? Polnisch<lb/>
geschriebne Adressen auf Briefen sollen ein heiliges Recht des polnischen<lb/>
Stammes, sollen verbriefte &#x201E;Landessprache" sein: aber der Lehrer, die Dame<lb/>
aus der Gesellschaft, die sich erkühnen, polnische Kinder in der polnischen<lb/>
Sprache zu unterrichten, für die rührt sich das Genüssen der Herren wenig.<lb/>
Wie sollen die armen Polen denn lernen, polnische Adressen zu schreiben, wenn<lb/>
sie überhaupt nicht lernen dürfen, polnisch zu schreibe»? Oder Null man in<lb/>
ben Schulen dafür sorgen, daß einstmals die polnischen Briefe von selbst auf¬<lb/>
hören? Ist man denn nach den Erfahrungen eines halben Jahrhunderts noch<lb/>
immer nicht über den alten Aberglauben hinausgekommen, daß mau durch<lb/>
Bildung allein den Polen zum Deutschen machen könne?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1179" next="#ID_1180"> Es ist die Pflicht des Staats, in seinen nationalen Forderungen gegen¬<lb/>
über den Polen nicht über das Maß staatlicher Notwendigkeit hinauszugehn.<lb/>
Notwendig ist es, in dem stetig wachsenden Verkehr der Post die Arbeit nicht<lb/>
durch polnische oder tschechische oder litauische Adressen erschweren zu lassen.<lb/>
Weil diese Stämme damit ihrem nationalen Selbstgefühl schmeicheln wollen,<lb/>
kann der Staat, das Reich nicht neben den drei Weltsprachen noch eine oder<lb/>
mehr andre Sprachen in seinen Betrieb aufnehmen, Darf man in Posen<lb/>
einen polnisch adressierter Brief auf die Post geben, so muß man ihn in Nürn¬<lb/>
berg auch von der Post empfangen können, und umgekehrt. Und wollte man<lb/>
das Polnische auch nnr für polnisches Gebiet zulassen, wollte man zu dem<lb/>
Zweck ein eignes polnisch redendes oder lesendes Korps von Postbeamten<lb/>
halten, so entstünde wahrscheinlich alsbald der Streit darum, wo das polnische<lb/>
Postgebiet anfange, und wo es ende. Unsre Polen sind fast alle imstande,<lb/>
eine deutsche Adresse zu schreiben und sollen keine polnischen Adressen schreiben,<lb/>
weil das den Staat belasten und ihnen in keiner Weise nützen würde. Auf<lb/>
kindisches &#x201E;etsch, etsch!" und Gesichterschneiden sollte man bei uns nicht mit<lb/>
der ganzen Batterie politischer Geschütze in Reichstag und Presse antworten.<lb/>
Aber um so ernster sollte man sich dem zuwenden, was berechtigte Forderungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] ?le L>olenkämxfe Deutschland und die Welt, aber es ist nicht Weltsprache, und darum wird von unsern Postbeamten nicht verlangt, russische Korrespondenz zu verstehn. In Rußland leben mehr Polen als Deutsche, und dennoch versteht der Postbeamte in Moskau kein Polnisch, wohl aber Deutsch, obwohl er mehr nationales Be¬ wußtsein hat als manche Leute bei uns, die von Patriotismus triefen, aber flugs init den Polen gemeinsame Sache machen, wenn es gilt, der eigne» Re¬ gierung etwas anzuhängen. Dieselben Leute, die heute die politische Heraus¬ forderung der Polen gutheißen, die eine höchst nutzlose, unkluge Agitation Polnischer Hitzköpfe zu Gunsten eines wertlosen Scheins unterstützen, die in Reichstag und Presse nach Gerechtigkeit rufen zu Gunsten einer thörichten Polnischen Demonstration: dieselben Leute regen sich kaum, wen» man deu Polen die schlimmste Gewalt anthut, indem man ihnen ihre Sprache raubt in der Schule, ihre Nationalität in Haus und Familie, Wo versteckt sich denu die Gerechtigkeit, auf die mau heute gegenüber der Postverwaltung pocht, wenn man den Polen das Recht raubt, ihre Kinder polnisch zu erziehn? Polnisch geschriebne Adressen auf Briefen sollen ein heiliges Recht des polnischen Stammes, sollen verbriefte „Landessprache" sein: aber der Lehrer, die Dame aus der Gesellschaft, die sich erkühnen, polnische Kinder in der polnischen Sprache zu unterrichten, für die rührt sich das Genüssen der Herren wenig. Wie sollen die armen Polen denn lernen, polnische Adressen zu schreiben, wenn sie überhaupt nicht lernen dürfen, polnisch zu schreibe»? Oder Null man in ben Schulen dafür sorgen, daß einstmals die polnischen Briefe von selbst auf¬ hören? Ist man denn nach den Erfahrungen eines halben Jahrhunderts noch immer nicht über den alten Aberglauben hinausgekommen, daß mau durch Bildung allein den Polen zum Deutschen machen könne? Es ist die Pflicht des Staats, in seinen nationalen Forderungen gegen¬ über den Polen nicht über das Maß staatlicher Notwendigkeit hinauszugehn. Notwendig ist es, in dem stetig wachsenden Verkehr der Post die Arbeit nicht durch polnische oder tschechische oder litauische Adressen erschweren zu lassen. Weil diese Stämme damit ihrem nationalen Selbstgefühl schmeicheln wollen, kann der Staat, das Reich nicht neben den drei Weltsprachen noch eine oder mehr andre Sprachen in seinen Betrieb aufnehmen, Darf man in Posen einen polnisch adressierter Brief auf die Post geben, so muß man ihn in Nürn¬ berg auch von der Post empfangen können, und umgekehrt. Und wollte man das Polnische auch nnr für polnisches Gebiet zulassen, wollte man zu dem Zweck ein eignes polnisch redendes oder lesendes Korps von Postbeamten halten, so entstünde wahrscheinlich alsbald der Streit darum, wo das polnische Postgebiet anfange, und wo es ende. Unsre Polen sind fast alle imstande, eine deutsche Adresse zu schreiben und sollen keine polnischen Adressen schreiben, weil das den Staat belasten und ihnen in keiner Weise nützen würde. Auf kindisches „etsch, etsch!" und Gesichterschneiden sollte man bei uns nicht mit der ganzen Batterie politischer Geschütze in Reichstag und Presse antworten. Aber um so ernster sollte man sich dem zuwenden, was berechtigte Forderungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/355>, abgerufen am 03.07.2024.