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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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die schwer empfundnen Mißstände in den einzelnen Flußgebieten durch die Be
seitiguug der HochU'assergefahr bekämpfen, sondern auch ein alle großen Flüsse
verbindendes Wasserftraßcunetz festlegen solle. Innerhalb dieses Programms
soll der Regierung -- wie die Begründung sagt -- der Beginn und Wohl
auch das Tempo der Ausführung der einzelnen Projekte, für die sehr ver-
schiedne Bauzeiten veranschlagt sind, überlassen bleiben.

Schon 1899 ist die Ausarbeitung eines solchen umfassenden Programms
des Wasserstraßenbaus von den ausgesprochnen und grundsätzlichen Gegnern
des Mittellandkanals verlangt worden, und die Kanalfreuude sahen darin wohl
mit Recht die Absicht einer Verschleppung des vorgeschlagnen Einzelprojekts
g,ä ealönci^s Zi^geW. Es kann schon deshalb bezweifelt werden, ob der jetzt
von der Regierung eingeschlagne Weg taktisch klug ist und im Interesse einer
schnellern Erledigung der Mittellandkanalfrage im Sinne der Regierung liegt.
Denn der Zentrnmsredner vom 4. Februar, I)r. am Zehnhoff, hatte vom
Standpunkt der Opposition nicht so unrecht, wenn er einem solchen gesetzlich
festzulegenden "umfassenden Programm" auch eine negative Bedeutung zulegte,
d, h, daß damit alle andern Kanalprojektc, bis dieses Programm durchgeführt
wäre, hinfällig würden. Die Forderung größtmöglicher Vollständigkeit für ein
solches Programm kann in der That gar nicht zurückgewiesen werden, und die
Regierung wird wohl damit zu rechnen haben, daß durch ihre neue Taktik das
Verlangen nach Berücksichtigung eines weitern Dutzends von Kanalpläneu an
allen Ecken und Enden der Monarchie geradezu provoziert wird. Eine arge Ver¬
schleppung des Hauptinhalts der ganzen Vorlage würde damit sehr wahrscheinlich.
Denn daß die bishenge Opposition, die 1899 selbst nach einem Programm ver¬
langte, jetzt aus lauter Dankbarkeit für die Unterwerfung der Negierung unter
diesen gar nicht ernst gemeinten Wunsch auf die Ausnützung der ihr jetzt an-
gebotncn Handhabe" verzichten werde, scheint doch wohl ausgeschlossen zu sein.

Dabei erkennt die Regierung selbst an, daß dieses angeblich umfassende
Programm, das noch in diesem Jahre für fünfzehn, vielleicht auch mehr Jahre
gesetzlich festgelegt werden soll, gar nicht "umfassend" in dem Sinne des heute
schon von ihr anerkannten Bedürfnisses ist, vielmehr durch weitere Gesetzent¬
würfe in nächster Zeit ergänzt werden muß. Das gilt namentlich für die
Verbesserung des Schiffahrtswegs zwischen Schlesien und den, Oder-Spreekanal,
für den nur 4100000 Mark zur Ausführung von Vorarbeiten in diesem Gesetz¬
entwurf beantragt werden. Dann aber auch in gewissem Sinne für den
Masurischen Schiffahrtstannl. der nur vorläufig zurückgestellt zu sein scheint.
Der Minister Thielen erklärte sogar am 4, Februar ausdrücklich, die Auffassung
sei falsch, daß wir während der fünfzehn Jahre des Bars der projektierten
Kanäle keine weitern Wasserstraßen würden bauen können, und erinnerte vor
allem an die Kanalisation der Mosel und der Saar. Was bleibt dn noch
von dem so scharf hervorgchobnen Charakter des "neuen umfassenden Pro
gramms für die nächsten fünfzehn Jahre" übrig? Wird sie dafür ausgegeben,
so muß man die Vorlage als ganz arges Flink- und Stückwerk und als noch


die schwer empfundnen Mißstände in den einzelnen Flußgebieten durch die Be
seitiguug der HochU'assergefahr bekämpfen, sondern auch ein alle großen Flüsse
verbindendes Wasserftraßcunetz festlegen solle. Innerhalb dieses Programms
soll der Regierung — wie die Begründung sagt — der Beginn und Wohl
auch das Tempo der Ausführung der einzelnen Projekte, für die sehr ver-
schiedne Bauzeiten veranschlagt sind, überlassen bleiben.

Schon 1899 ist die Ausarbeitung eines solchen umfassenden Programms
des Wasserstraßenbaus von den ausgesprochnen und grundsätzlichen Gegnern
des Mittellandkanals verlangt worden, und die Kanalfreuude sahen darin wohl
mit Recht die Absicht einer Verschleppung des vorgeschlagnen Einzelprojekts
g,ä ealönci^s Zi^geW. Es kann schon deshalb bezweifelt werden, ob der jetzt
von der Regierung eingeschlagne Weg taktisch klug ist und im Interesse einer
schnellern Erledigung der Mittellandkanalfrage im Sinne der Regierung liegt.
Denn der Zentrnmsredner vom 4. Februar, I)r. am Zehnhoff, hatte vom
Standpunkt der Opposition nicht so unrecht, wenn er einem solchen gesetzlich
festzulegenden „umfassenden Programm" auch eine negative Bedeutung zulegte,
d, h, daß damit alle andern Kanalprojektc, bis dieses Programm durchgeführt
wäre, hinfällig würden. Die Forderung größtmöglicher Vollständigkeit für ein
solches Programm kann in der That gar nicht zurückgewiesen werden, und die
Regierung wird wohl damit zu rechnen haben, daß durch ihre neue Taktik das
Verlangen nach Berücksichtigung eines weitern Dutzends von Kanalpläneu an
allen Ecken und Enden der Monarchie geradezu provoziert wird. Eine arge Ver¬
schleppung des Hauptinhalts der ganzen Vorlage würde damit sehr wahrscheinlich.
Denn daß die bishenge Opposition, die 1899 selbst nach einem Programm ver¬
langte, jetzt aus lauter Dankbarkeit für die Unterwerfung der Negierung unter
diesen gar nicht ernst gemeinten Wunsch auf die Ausnützung der ihr jetzt an-
gebotncn Handhabe» verzichten werde, scheint doch wohl ausgeschlossen zu sein.

Dabei erkennt die Regierung selbst an, daß dieses angeblich umfassende
Programm, das noch in diesem Jahre für fünfzehn, vielleicht auch mehr Jahre
gesetzlich festgelegt werden soll, gar nicht „umfassend" in dem Sinne des heute
schon von ihr anerkannten Bedürfnisses ist, vielmehr durch weitere Gesetzent¬
würfe in nächster Zeit ergänzt werden muß. Das gilt namentlich für die
Verbesserung des Schiffahrtswegs zwischen Schlesien und den, Oder-Spreekanal,
für den nur 4100000 Mark zur Ausführung von Vorarbeiten in diesem Gesetz¬
entwurf beantragt werden. Dann aber auch in gewissem Sinne für den
Masurischen Schiffahrtstannl. der nur vorläufig zurückgestellt zu sein scheint.
Der Minister Thielen erklärte sogar am 4, Februar ausdrücklich, die Auffassung
sei falsch, daß wir während der fünfzehn Jahre des Bars der projektierten
Kanäle keine weitern Wasserstraßen würden bauen können, und erinnerte vor
allem an die Kanalisation der Mosel und der Saar. Was bleibt dn noch
von dem so scharf hervorgchobnen Charakter des „neuen umfassenden Pro
gramms für die nächsten fünfzehn Jahre" übrig? Wird sie dafür ausgegeben,
so muß man die Vorlage als ganz arges Flink- und Stückwerk und als noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/332>, abgerufen am 24.07.2024.