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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Beim studentischen Kommers kommt gewöhnlich eine Stunde, wo die
jüngern Semester ans die ältern ihre Salamander reibe". Und wenn dann
die Zahl der sogenannten akademischen Semester steigt, wird die Zahl der Zu¬
sammengehörigen immer geringer, und immer mehr scheine" die eigentlichen
Repräsentanten doch ans einer jenseitigen Welt herüberzuschcnlen. Es wird
nicht ebenso sein, wenn Nur die Altersgenossen unter den Berühmten der Reihe
nach vor nnserm Blick vorbeizieh" lassen, aber wehmütige Empfindungen werden
mich da mit einziehn, nur daß sie hier den Jünglingen gelten, nicht den
Greisen, Mit diesen Greisen wollen wir hier beginnen, und die spärlichen
junge" solle" den Beschluß machen; denn wie wenigen ist es zu teil geworden,
daß sie als Jünglinge zu Reife und Ruhm gelangten!

Die Römer betrachteten, in ihrer alten Zeit wenigstens, neunzig Jahre
als das volle Maß eines Menschenlebens, Dieses lebensstarke Bauernvolk
machte große Ansprüche ein die Natur; wie ost sie dort erfüllt wurden, wisse"
wir nicht. Die Zahl der Neunzigjährigen, die der einzelne von uns im Laufe
seines Lebens persönlich kennen lernt, ist ganz gering. Und am häufigsten
sind es Leute von geringer Geistesthütigleit, von gleichmäßig still verlaufenden
Leben, Die andern, die eine gewaltige Geistesarbeit leisten, wie wenig haben
sie Aussicht, daß ihre Kraft so über das Maß hinaus aushalte! Gleichwohl
sind unter den Berühmtesten deren gar nicht wenig, die ihr Leben auf neunzig
Jahre gebracht haben und auf mehr als neunzig. Vielleicht ist es doch auch
nicht so ganz Zufall: eine besondre Fülle von Lebens- und Leistungsdrang
und ein besondres Maß von allgemeiner Lebenskraft steh" am Ende doch in ver¬
ständlichen Zusammenhang, Alle überragt an Länge des Lebens der große
französische Chemiker Chevrenl, der von 1786 bis 1889 lebte und also ein
Alter von hundertunddrei Jahren erreichte. Ihm kommt nahe der ehemals ge¬
feierte französische Schriftsteller Fvntenelle, dem bei seinem Tode im Jahre
1757 nur ein Monat an dem Lebensmaß von hundert Jahren fehlte. Der
große griechische Redner Jsokrates wäre vielleicht noch älter geworden, wenn
er sich nicht im Jahre 338 v. Chr. G, nach der Schlacht bei Charonea im
Alter von achtundneunzig Jahren selbst den Tod gegeben Hütte, Neunundneunzig
Jahre ist auch Tizian alt geworden, der 1576 zu Venedig starb, und der also
für dieses menschliche Erdenleben selbst so gut ausgestattet war, wie er Ge¬
stalten von üppigster Lebensfülle und Lebensfreude wieder und wieder gemalt
seit. Diesen ungefähr Hundertjährigen gegenüber mögen denn die mit neunzig
Jahren Verstorbnen schon fast als zeitig Geschiednc erscheinen. Drei gute
deutsche Schriftstellernamen kommen uns da zugleich in den Sinn: Ernst
Moritz Arndt und Leopold Ranke, die beide ins einundneunzigste Jahr ge¬
langt sind, und Alexander von Humboldt, der neunzig fast vollendet hat. Und
ihnen könnte man ja auch Moltke zurechnen, der unter die guten deutschen
Schriftsteller so gewiß gehört wie unter die besten Heerführer, und der seinem
Kaiser Wilhelm -- dem fast voll einundueunzigjährig Geschiednen -- an Lebens¬
alter ganz nahe gekommen ist. Aus den, Altertum ist uns von Xenophon


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Beim studentischen Kommers kommt gewöhnlich eine Stunde, wo die
jüngern Semester ans die ältern ihre Salamander reibe». Und wenn dann
die Zahl der sogenannten akademischen Semester steigt, wird die Zahl der Zu¬
sammengehörigen immer geringer, und immer mehr scheine» die eigentlichen
Repräsentanten doch ans einer jenseitigen Welt herüberzuschcnlen. Es wird
nicht ebenso sein, wenn Nur die Altersgenossen unter den Berühmten der Reihe
nach vor nnserm Blick vorbeizieh» lassen, aber wehmütige Empfindungen werden
mich da mit einziehn, nur daß sie hier den Jünglingen gelten, nicht den
Greisen, Mit diesen Greisen wollen wir hier beginnen, und die spärlichen
junge» solle» den Beschluß machen; denn wie wenigen ist es zu teil geworden,
daß sie als Jünglinge zu Reife und Ruhm gelangten!

Die Römer betrachteten, in ihrer alten Zeit wenigstens, neunzig Jahre
als das volle Maß eines Menschenlebens, Dieses lebensstarke Bauernvolk
machte große Ansprüche ein die Natur; wie ost sie dort erfüllt wurden, wisse»
wir nicht. Die Zahl der Neunzigjährigen, die der einzelne von uns im Laufe
seines Lebens persönlich kennen lernt, ist ganz gering. Und am häufigsten
sind es Leute von geringer Geistesthütigleit, von gleichmäßig still verlaufenden
Leben, Die andern, die eine gewaltige Geistesarbeit leisten, wie wenig haben
sie Aussicht, daß ihre Kraft so über das Maß hinaus aushalte! Gleichwohl
sind unter den Berühmtesten deren gar nicht wenig, die ihr Leben auf neunzig
Jahre gebracht haben und auf mehr als neunzig. Vielleicht ist es doch auch
nicht so ganz Zufall: eine besondre Fülle von Lebens- und Leistungsdrang
und ein besondres Maß von allgemeiner Lebenskraft steh» am Ende doch in ver¬
ständlichen Zusammenhang, Alle überragt an Länge des Lebens der große
französische Chemiker Chevrenl, der von 1786 bis 1889 lebte und also ein
Alter von hundertunddrei Jahren erreichte. Ihm kommt nahe der ehemals ge¬
feierte französische Schriftsteller Fvntenelle, dem bei seinem Tode im Jahre
1757 nur ein Monat an dem Lebensmaß von hundert Jahren fehlte. Der
große griechische Redner Jsokrates wäre vielleicht noch älter geworden, wenn
er sich nicht im Jahre 338 v. Chr. G, nach der Schlacht bei Charonea im
Alter von achtundneunzig Jahren selbst den Tod gegeben Hütte, Neunundneunzig
Jahre ist auch Tizian alt geworden, der 1576 zu Venedig starb, und der also
für dieses menschliche Erdenleben selbst so gut ausgestattet war, wie er Ge¬
stalten von üppigster Lebensfülle und Lebensfreude wieder und wieder gemalt
seit. Diesen ungefähr Hundertjährigen gegenüber mögen denn die mit neunzig
Jahren Verstorbnen schon fast als zeitig Geschiednc erscheinen. Drei gute
deutsche Schriftstellernamen kommen uns da zugleich in den Sinn: Ernst
Moritz Arndt und Leopold Ranke, die beide ins einundneunzigste Jahr ge¬
langt sind, und Alexander von Humboldt, der neunzig fast vollendet hat. Und
ihnen könnte man ja auch Moltke zurechnen, der unter die guten deutschen
Schriftsteller so gewiß gehört wie unter die besten Heerführer, und der seinem
Kaiser Wilhelm — dem fast voll einundueunzigjährig Geschiednen -- an Lebens¬
alter ganz nahe gekommen ist. Aus den, Altertum ist uns von Xenophon


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[0323] Ruhm und tzek>>nsi>an>.'>' Beim studentischen Kommers kommt gewöhnlich eine Stunde, wo die jüngern Semester ans die ältern ihre Salamander reibe». Und wenn dann die Zahl der sogenannten akademischen Semester steigt, wird die Zahl der Zu¬ sammengehörigen immer geringer, und immer mehr scheine» die eigentlichen Repräsentanten doch ans einer jenseitigen Welt herüberzuschcnlen. Es wird nicht ebenso sein, wenn Nur die Altersgenossen unter den Berühmten der Reihe nach vor nnserm Blick vorbeizieh» lassen, aber wehmütige Empfindungen werden mich da mit einziehn, nur daß sie hier den Jünglingen gelten, nicht den Greisen, Mit diesen Greisen wollen wir hier beginnen, und die spärlichen junge» solle» den Beschluß machen; denn wie wenigen ist es zu teil geworden, daß sie als Jünglinge zu Reife und Ruhm gelangten! Die Römer betrachteten, in ihrer alten Zeit wenigstens, neunzig Jahre als das volle Maß eines Menschenlebens, Dieses lebensstarke Bauernvolk machte große Ansprüche ein die Natur; wie ost sie dort erfüllt wurden, wisse» wir nicht. Die Zahl der Neunzigjährigen, die der einzelne von uns im Laufe seines Lebens persönlich kennen lernt, ist ganz gering. Und am häufigsten sind es Leute von geringer Geistesthütigleit, von gleichmäßig still verlaufenden Leben, Die andern, die eine gewaltige Geistesarbeit leisten, wie wenig haben sie Aussicht, daß ihre Kraft so über das Maß hinaus aushalte! Gleichwohl sind unter den Berühmtesten deren gar nicht wenig, die ihr Leben auf neunzig Jahre gebracht haben und auf mehr als neunzig. Vielleicht ist es doch auch nicht so ganz Zufall: eine besondre Fülle von Lebens- und Leistungsdrang und ein besondres Maß von allgemeiner Lebenskraft steh» am Ende doch in ver¬ ständlichen Zusammenhang, Alle überragt an Länge des Lebens der große französische Chemiker Chevrenl, der von 1786 bis 1889 lebte und also ein Alter von hundertunddrei Jahren erreichte. Ihm kommt nahe der ehemals ge¬ feierte französische Schriftsteller Fvntenelle, dem bei seinem Tode im Jahre 1757 nur ein Monat an dem Lebensmaß von hundert Jahren fehlte. Der große griechische Redner Jsokrates wäre vielleicht noch älter geworden, wenn er sich nicht im Jahre 338 v. Chr. G, nach der Schlacht bei Charonea im Alter von achtundneunzig Jahren selbst den Tod gegeben Hütte, Neunundneunzig Jahre ist auch Tizian alt geworden, der 1576 zu Venedig starb, und der also für dieses menschliche Erdenleben selbst so gut ausgestattet war, wie er Ge¬ stalten von üppigster Lebensfülle und Lebensfreude wieder und wieder gemalt seit. Diesen ungefähr Hundertjährigen gegenüber mögen denn die mit neunzig Jahren Verstorbnen schon fast als zeitig Geschiednc erscheinen. Drei gute deutsche Schriftstellernamen kommen uns da zugleich in den Sinn: Ernst Moritz Arndt und Leopold Ranke, die beide ins einundneunzigste Jahr ge¬ langt sind, und Alexander von Humboldt, der neunzig fast vollendet hat. Und ihnen könnte man ja auch Moltke zurechnen, der unter die guten deutschen Schriftsteller so gewiß gehört wie unter die besten Heerführer, und der seinem Kaiser Wilhelm — dem fast voll einundueunzigjährig Geschiednen -- an Lebens¬ alter ganz nahe gekommen ist. Aus den, Altertum ist uns von Xenophon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/323>, abgerufen am 24.07.2024.