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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Ruhm und Lebensdauer

Auch die Lücken der geistigen Interesse", die in den Briefen hervortreten,
sind charakteristisch für Bismarcks Anlage und für den Einfluß des Landlebens
auf seine Entwicklung, Von Philosophie ist nicht viel die Rede, Spinoza,
Feuerbach werden erwähnt, Hegel nennt er unverdaulich. Das litterarische
Jungdeutschland schenkt er sich vollständig. Den bildenden Künsten hat er
nur einmal, ans der Pariser Ausstellung, ein Stündchen gewidmet, sonst
scheinen ihn weder in Wien, noch in Pest, Paris, Petersburg, Amsterdam die
Museen gelockt zu haben. Er brauchte das nicht, den Bedarf an Plastischem
hatte die Natur aus erster Hemd bei ihm gedeckt. Wo er sich umsah, sogar
wenn er in Meer und Fluß herumschwamm, faßten Ange und Kopf spielend
leicht die schönsten Bilder,

Auch nicht einmal in den gröbsten Umrissen läßt sich der Inhalt der
neuen Msmarckbriese erschöpfen. Man könnte tagelang daraus erzählen und
kommt nur zu dem Ergebnis: Wer etwas ähnliches wie eine kleine Haus-
bibliothek hat, der stelle sie hinein! Bei einer neuen Auflage bitten wir um
ein Register,




Ruhm und Lebensdauer

in Mann, der keineswegs immer bereit war, die Gegenwart zu
loben, W. H, Riehl, äußerte gelegentlich, es zeige sich bei der
gegenwärtigen Generation ein erfreuliches Bedürfnis der Gerechtig¬
keit darin lebendig, daß man keinem sein Denkmal vorenthalten
wolle, der eines solchen würdig sei. Vielleicht spricht in Wirk¬
lichkeit bei der Neigung zum Denkmalsetzen und Gedenktagfeiern doch noch
andres mit als der edle Trieb, jedem das Seine zuzuerkennen; ebenso wie sich
bei dem so reichlichen Interesse an den Lebensumständen und Eharakterzügen
der berühmten Menschen oft mit der edeln Wißbegierde die ganz unedle Neu¬
gierde verbindet. Dem gegenüber ist es eine äußerst harmlose Frage, die nicht
allzu oft gethan zu werden scheint, und deren Beantwortung auch mit der Ge¬
rechtigkeit etwas zu thun hat, nämlich die Frage, welches Lebensmaß den"
eigentlich den einzelnen, deren Lebensgabe uns so bedeutend ist, zugemessen
wurde, in welcher Spanne Zeit sie das geleistet haben, was wir ihnen ver¬
danken, ob sie sich ruhig entfalten und ausleben durften oder vor dem früh
nahenden Verhängnis eilend und bebend zu schaffen hatten, was ihnen auf der
Seele lag. Freilich, von einer Anzahl der Berühmtesten weiß man es ja sehr
wohl, mau kann seit seiner Schulzeit deren Lebensjahre aufzählen, bei ander"
könnte man sie leicht berechnen. Aber eine vielseitigere Zusammenstellung und
Vergleichung kommt uns nicht gerade leicht in den Sinn. Vielleicht leiht man
also das Ohr, wo eine solche Rechnung einmal versucht wird.


Ruhm und Lebensdauer

Auch die Lücken der geistigen Interesse», die in den Briefen hervortreten,
sind charakteristisch für Bismarcks Anlage und für den Einfluß des Landlebens
auf seine Entwicklung, Von Philosophie ist nicht viel die Rede, Spinoza,
Feuerbach werden erwähnt, Hegel nennt er unverdaulich. Das litterarische
Jungdeutschland schenkt er sich vollständig. Den bildenden Künsten hat er
nur einmal, ans der Pariser Ausstellung, ein Stündchen gewidmet, sonst
scheinen ihn weder in Wien, noch in Pest, Paris, Petersburg, Amsterdam die
Museen gelockt zu haben. Er brauchte das nicht, den Bedarf an Plastischem
hatte die Natur aus erster Hemd bei ihm gedeckt. Wo er sich umsah, sogar
wenn er in Meer und Fluß herumschwamm, faßten Ange und Kopf spielend
leicht die schönsten Bilder,

Auch nicht einmal in den gröbsten Umrissen läßt sich der Inhalt der
neuen Msmarckbriese erschöpfen. Man könnte tagelang daraus erzählen und
kommt nur zu dem Ergebnis: Wer etwas ähnliches wie eine kleine Haus-
bibliothek hat, der stelle sie hinein! Bei einer neuen Auflage bitten wir um
ein Register,




Ruhm und Lebensdauer

in Mann, der keineswegs immer bereit war, die Gegenwart zu
loben, W. H, Riehl, äußerte gelegentlich, es zeige sich bei der
gegenwärtigen Generation ein erfreuliches Bedürfnis der Gerechtig¬
keit darin lebendig, daß man keinem sein Denkmal vorenthalten
wolle, der eines solchen würdig sei. Vielleicht spricht in Wirk¬
lichkeit bei der Neigung zum Denkmalsetzen und Gedenktagfeiern doch noch
andres mit als der edle Trieb, jedem das Seine zuzuerkennen; ebenso wie sich
bei dem so reichlichen Interesse an den Lebensumständen und Eharakterzügen
der berühmten Menschen oft mit der edeln Wißbegierde die ganz unedle Neu¬
gierde verbindet. Dem gegenüber ist es eine äußerst harmlose Frage, die nicht
allzu oft gethan zu werden scheint, und deren Beantwortung auch mit der Ge¬
rechtigkeit etwas zu thun hat, nämlich die Frage, welches Lebensmaß den»
eigentlich den einzelnen, deren Lebensgabe uns so bedeutend ist, zugemessen
wurde, in welcher Spanne Zeit sie das geleistet haben, was wir ihnen ver¬
danken, ob sie sich ruhig entfalten und ausleben durften oder vor dem früh
nahenden Verhängnis eilend und bebend zu schaffen hatten, was ihnen auf der
Seele lag. Freilich, von einer Anzahl der Berühmtesten weiß man es ja sehr
wohl, mau kann seit seiner Schulzeit deren Lebensjahre aufzählen, bei ander»
könnte man sie leicht berechnen. Aber eine vielseitigere Zusammenstellung und
Vergleichung kommt uns nicht gerade leicht in den Sinn. Vielleicht leiht man
also das Ohr, wo eine solche Rechnung einmal versucht wird.


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[0322] Ruhm und Lebensdauer Auch die Lücken der geistigen Interesse», die in den Briefen hervortreten, sind charakteristisch für Bismarcks Anlage und für den Einfluß des Landlebens auf seine Entwicklung, Von Philosophie ist nicht viel die Rede, Spinoza, Feuerbach werden erwähnt, Hegel nennt er unverdaulich. Das litterarische Jungdeutschland schenkt er sich vollständig. Den bildenden Künsten hat er nur einmal, ans der Pariser Ausstellung, ein Stündchen gewidmet, sonst scheinen ihn weder in Wien, noch in Pest, Paris, Petersburg, Amsterdam die Museen gelockt zu haben. Er brauchte das nicht, den Bedarf an Plastischem hatte die Natur aus erster Hemd bei ihm gedeckt. Wo er sich umsah, sogar wenn er in Meer und Fluß herumschwamm, faßten Ange und Kopf spielend leicht die schönsten Bilder, Auch nicht einmal in den gröbsten Umrissen läßt sich der Inhalt der neuen Msmarckbriese erschöpfen. Man könnte tagelang daraus erzählen und kommt nur zu dem Ergebnis: Wer etwas ähnliches wie eine kleine Haus- bibliothek hat, der stelle sie hinein! Bei einer neuen Auflage bitten wir um ein Register, Ruhm und Lebensdauer in Mann, der keineswegs immer bereit war, die Gegenwart zu loben, W. H, Riehl, äußerte gelegentlich, es zeige sich bei der gegenwärtigen Generation ein erfreuliches Bedürfnis der Gerechtig¬ keit darin lebendig, daß man keinem sein Denkmal vorenthalten wolle, der eines solchen würdig sei. Vielleicht spricht in Wirk¬ lichkeit bei der Neigung zum Denkmalsetzen und Gedenktagfeiern doch noch andres mit als der edle Trieb, jedem das Seine zuzuerkennen; ebenso wie sich bei dem so reichlichen Interesse an den Lebensumständen und Eharakterzügen der berühmten Menschen oft mit der edeln Wißbegierde die ganz unedle Neu¬ gierde verbindet. Dem gegenüber ist es eine äußerst harmlose Frage, die nicht allzu oft gethan zu werden scheint, und deren Beantwortung auch mit der Ge¬ rechtigkeit etwas zu thun hat, nämlich die Frage, welches Lebensmaß den» eigentlich den einzelnen, deren Lebensgabe uns so bedeutend ist, zugemessen wurde, in welcher Spanne Zeit sie das geleistet haben, was wir ihnen ver¬ danken, ob sie sich ruhig entfalten und ausleben durften oder vor dem früh nahenden Verhängnis eilend und bebend zu schaffen hatten, was ihnen auf der Seele lag. Freilich, von einer Anzahl der Berühmtesten weiß man es ja sehr wohl, mau kann seit seiner Schulzeit deren Lebensjahre aufzählen, bei ander» könnte man sie leicht berechnen. Aber eine vielseitigere Zusammenstellung und Vergleichung kommt uns nicht gerade leicht in den Sinn. Vielleicht leiht man also das Ohr, wo eine solche Rechnung einmal versucht wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/322>, abgerufen am 25.07.2024.