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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Wirrwarr zu entrinnen, die Kommandos "Rechts" und "Links" eingeführt,
Bezeichnungen, die aus gutem Grunde von den Seeleuten an Bord fast nie
gebraucht werden.

Was das letzte anlangt, so werden einige Worte dies leicht erklären.
Ganz abgesehen von der Ruderlage ist es um Bord, namentlich auf Segel¬
schiffen, sehr häufig notwendig, die Ausführung einer seitlichen Bewegung zu
befehlen. Man denke nur an die in dem Takelwerk arbeitenden Matrosen
beim Segelbcrgen in schlechtem Wetter usw. Da kann der wachthabende Offizier,
der meistens vor dem betreffenden Mast an Deck steht, seinen Untergebnen
also das Gesicht zukehrt, nicht Bezeichnungen wie links und rechts zurufen;
denn was für den Offizier links ist, ist für die Leute oben vielleicht rechts.
Links und rechts eignen sich also im allgemeinen gar nicht für die Angabe
von Richtungen auf See. Dafür hat man "Luv" und "Lee"; Luv ist die
Wetterseite, die höher gelegne Seite des Schiffs, Lee die entgegengesetzte Seite.
Hier entscheidet ohne Überlegung rein instinktiv und momentan das Gefühl
irrtumlos, welche Seite die richtige ist. Diese Bezeichnungen sind aber nur
anwendbar, wenn ein Schiff mit seitlichem Winde unter Segel ist; sonst be¬
dient man sich der Ausdrücke "Steuerbord" und "Backbord"; Steuerbord ist
die rechte Seite des Schiffs, Backbord ist die linke unter der Voraussetzung,
daß der Blick nach dem Vorderteil des Schiffs gerichtet ist. Rechts und links
wird sich immer mit dem jeweiligen Standort ändern, unverrückbar aber bleibt
die Steuerbord- oder die Bnckbordseite des Schiffs.

Wenn man sich vor Augen hält, daß die richtige Ruderlnge entscheidend
für die Vermeidung einer Kollision ist, so wird es sofort jedem einleuchten,
in welchen beängstigenden Zustand wir mit unsrer Gesamtmarine infolge dieses
Wirrwarrs im Kommando hineingeraten sind. Bei der riesigen Schnelligkeit
unsrer Schiffe entscheiden Sekunden oftmals über das Schicksal von Hunderten,
ja von Tausenden. Ein kurzes Zögern in der Überlegung, ein Schwanken in
der Vorstellung, eine momentane Verwirrung, eine falsche Drehung des Steuer¬
ruders, selbst wenn sie gleich darauf geändert wird -- und das Unglück ist
unfehlbar da.

Wie kam es nun, daß nicht das alte Kommando bestehn blieb? Die
Entwicklung im Betriebe der Hochseeschiffahrt hat dahin geführt, immer größere
und größere Schiffe in Fahrt zu setzen. Es ist ja richtig, daß schon manche alten
Linienschiffe des sechzehnten Jahrhunderts Schiffe von bedeutendem Tonnen¬
gehalt waren. Wir erinnern nur an den Harry Grace ä Dien, der 1515
vom Stapel lief, und von dem ein Modell im Marinemuseum des Greenwicher
Hospitals steht. Dieser Zweidecker hatte schon eine Tragfähigkeit von etwa
1500 Tonnen, er führte 26 größere Geschütze, und es war wohl das erste
Schiff, das mit Kanvnenpforten versehen war. Allein so große Schiffe gehörten
Zu den Seltenheiten, und erst zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts kamen
die größern Seeschiffe mehr und mehr in Aufnahme. Mit dem Größerwerden
der Schiffe stellte sich die Notwendigkeit heraus, statt der Nuderpinne, mit der


Wirrwarr zu entrinnen, die Kommandos „Rechts" und „Links" eingeführt,
Bezeichnungen, die aus gutem Grunde von den Seeleuten an Bord fast nie
gebraucht werden.

Was das letzte anlangt, so werden einige Worte dies leicht erklären.
Ganz abgesehen von der Ruderlage ist es um Bord, namentlich auf Segel¬
schiffen, sehr häufig notwendig, die Ausführung einer seitlichen Bewegung zu
befehlen. Man denke nur an die in dem Takelwerk arbeitenden Matrosen
beim Segelbcrgen in schlechtem Wetter usw. Da kann der wachthabende Offizier,
der meistens vor dem betreffenden Mast an Deck steht, seinen Untergebnen
also das Gesicht zukehrt, nicht Bezeichnungen wie links und rechts zurufen;
denn was für den Offizier links ist, ist für die Leute oben vielleicht rechts.
Links und rechts eignen sich also im allgemeinen gar nicht für die Angabe
von Richtungen auf See. Dafür hat man „Luv" und „Lee"; Luv ist die
Wetterseite, die höher gelegne Seite des Schiffs, Lee die entgegengesetzte Seite.
Hier entscheidet ohne Überlegung rein instinktiv und momentan das Gefühl
irrtumlos, welche Seite die richtige ist. Diese Bezeichnungen sind aber nur
anwendbar, wenn ein Schiff mit seitlichem Winde unter Segel ist; sonst be¬
dient man sich der Ausdrücke „Steuerbord" und „Backbord"; Steuerbord ist
die rechte Seite des Schiffs, Backbord ist die linke unter der Voraussetzung,
daß der Blick nach dem Vorderteil des Schiffs gerichtet ist. Rechts und links
wird sich immer mit dem jeweiligen Standort ändern, unverrückbar aber bleibt
die Steuerbord- oder die Bnckbordseite des Schiffs.

Wenn man sich vor Augen hält, daß die richtige Ruderlnge entscheidend
für die Vermeidung einer Kollision ist, so wird es sofort jedem einleuchten,
in welchen beängstigenden Zustand wir mit unsrer Gesamtmarine infolge dieses
Wirrwarrs im Kommando hineingeraten sind. Bei der riesigen Schnelligkeit
unsrer Schiffe entscheiden Sekunden oftmals über das Schicksal von Hunderten,
ja von Tausenden. Ein kurzes Zögern in der Überlegung, ein Schwanken in
der Vorstellung, eine momentane Verwirrung, eine falsche Drehung des Steuer¬
ruders, selbst wenn sie gleich darauf geändert wird — und das Unglück ist
unfehlbar da.

Wie kam es nun, daß nicht das alte Kommando bestehn blieb? Die
Entwicklung im Betriebe der Hochseeschiffahrt hat dahin geführt, immer größere
und größere Schiffe in Fahrt zu setzen. Es ist ja richtig, daß schon manche alten
Linienschiffe des sechzehnten Jahrhunderts Schiffe von bedeutendem Tonnen¬
gehalt waren. Wir erinnern nur an den Harry Grace ä Dien, der 1515
vom Stapel lief, und von dem ein Modell im Marinemuseum des Greenwicher
Hospitals steht. Dieser Zweidecker hatte schon eine Tragfähigkeit von etwa
1500 Tonnen, er führte 26 größere Geschütze, und es war wohl das erste
Schiff, das mit Kanvnenpforten versehen war. Allein so große Schiffe gehörten
Zu den Seltenheiten, und erst zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts kamen
die größern Seeschiffe mehr und mehr in Aufnahme. Mit dem Größerwerden
der Schiffe stellte sich die Notwendigkeit heraus, statt der Nuderpinne, mit der


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[0279] Wirrwarr zu entrinnen, die Kommandos „Rechts" und „Links" eingeführt, Bezeichnungen, die aus gutem Grunde von den Seeleuten an Bord fast nie gebraucht werden. Was das letzte anlangt, so werden einige Worte dies leicht erklären. Ganz abgesehen von der Ruderlage ist es um Bord, namentlich auf Segel¬ schiffen, sehr häufig notwendig, die Ausführung einer seitlichen Bewegung zu befehlen. Man denke nur an die in dem Takelwerk arbeitenden Matrosen beim Segelbcrgen in schlechtem Wetter usw. Da kann der wachthabende Offizier, der meistens vor dem betreffenden Mast an Deck steht, seinen Untergebnen also das Gesicht zukehrt, nicht Bezeichnungen wie links und rechts zurufen; denn was für den Offizier links ist, ist für die Leute oben vielleicht rechts. Links und rechts eignen sich also im allgemeinen gar nicht für die Angabe von Richtungen auf See. Dafür hat man „Luv" und „Lee"; Luv ist die Wetterseite, die höher gelegne Seite des Schiffs, Lee die entgegengesetzte Seite. Hier entscheidet ohne Überlegung rein instinktiv und momentan das Gefühl irrtumlos, welche Seite die richtige ist. Diese Bezeichnungen sind aber nur anwendbar, wenn ein Schiff mit seitlichem Winde unter Segel ist; sonst be¬ dient man sich der Ausdrücke „Steuerbord" und „Backbord"; Steuerbord ist die rechte Seite des Schiffs, Backbord ist die linke unter der Voraussetzung, daß der Blick nach dem Vorderteil des Schiffs gerichtet ist. Rechts und links wird sich immer mit dem jeweiligen Standort ändern, unverrückbar aber bleibt die Steuerbord- oder die Bnckbordseite des Schiffs. Wenn man sich vor Augen hält, daß die richtige Ruderlnge entscheidend für die Vermeidung einer Kollision ist, so wird es sofort jedem einleuchten, in welchen beängstigenden Zustand wir mit unsrer Gesamtmarine infolge dieses Wirrwarrs im Kommando hineingeraten sind. Bei der riesigen Schnelligkeit unsrer Schiffe entscheiden Sekunden oftmals über das Schicksal von Hunderten, ja von Tausenden. Ein kurzes Zögern in der Überlegung, ein Schwanken in der Vorstellung, eine momentane Verwirrung, eine falsche Drehung des Steuer¬ ruders, selbst wenn sie gleich darauf geändert wird — und das Unglück ist unfehlbar da. Wie kam es nun, daß nicht das alte Kommando bestehn blieb? Die Entwicklung im Betriebe der Hochseeschiffahrt hat dahin geführt, immer größere und größere Schiffe in Fahrt zu setzen. Es ist ja richtig, daß schon manche alten Linienschiffe des sechzehnten Jahrhunderts Schiffe von bedeutendem Tonnen¬ gehalt waren. Wir erinnern nur an den Harry Grace ä Dien, der 1515 vom Stapel lief, und von dem ein Modell im Marinemuseum des Greenwicher Hospitals steht. Dieser Zweidecker hatte schon eine Tragfähigkeit von etwa 1500 Tonnen, er führte 26 größere Geschütze, und es war wohl das erste Schiff, das mit Kanvnenpforten versehen war. Allein so große Schiffe gehörten Zu den Seltenheiten, und erst zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts kamen die größern Seeschiffe mehr und mehr in Aufnahme. Mit dem Größerwerden der Schiffe stellte sich die Notwendigkeit heraus, statt der Nuderpinne, mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/279>, abgerufen am 27.06.2024.