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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre 1.9^

der internationalen Friedensliebe und Friedensgarantie der Sozialdemokraten
ist dagegen ein hehres Evangelium von lauterster Wahrhaftigkeit, dem jeder
vernünftige Mensch den Sieg über den Imperialismus wünschen muß. Unsre
Arbeiter sind nicht roh und nicht dumm genug zum Imperialismus,

Daß in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, wo die allge¬
meine Wehrpflicht fehlt und es keine stehenden Landheere giebt, Wohl aber
das Großkapital in Krieg lind Frieden spekuliert, der Imperialismus einmal,
vielleicht sogar in naher Zukunft zu einem Weltkriege den Anstoß geben kaun,
ist nicht absolut abgeschlossen. Dort werden sich auch die Massen immerhin
leichter einmal dnrch Hetzereien und Treibereien aller Art für internationale
Brutalitäten erwärmen lassen, so lauge sie weit vom Schuß bleiben. Aber in
Großbritannien sind die Erfahrungen in Transvaal denn doch auch für das
Volk eine sehr ernste Lehre, die bei seinem im allgemeinen hohen politischen
Bildungsstand nachhaltig wirken kann, vollends in den regierungsfähigen
Kreisen. Gegen die imperialistische Kriegsgefahr internationale Abwehrma߬
regeln zu verabreden, ist nicht Sache der Handelspolitik, sondern der Politik
im engern Sinne. Unsre zollpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit haben
damit nichts zu thun, und die mitteleuropäische Zollallianz tritt dabei ganz
zurück, dagegen dem Haupt- und Weltstörensried, den Vereinigten Staateil
gegenüber eine Verständigung mit Großbritannien um so mehr in den Vorder¬
grund.

Wer die Grenzboten liest, weiß, daß wir von aller Vorliebe für die
britische Politik und ihre jetzigen Repräsentanten sehr weit entfernt sind. Aber
wir verkennen nicht, daß durch die ganze heutige Weltlage, durch gemein¬
same Interessen wie Gefahren Deutschlands und Großbritanniens sehr wohl
für einige Zeit eine gewisse Kooperation mit den Briten angezeigt sein kann.
Rußland und Frankreich geben uns keinen Rückhalt, und draußen in der Welt-
pvlitik überm Wasser versagen auch die Dreibnndsgenvssen bedenklich. Was
uns die Expansionspolitik wie die Abspcrrungspolitik der Vereinigten Staaten
Böses zufügen kann, davon ist Großbritannien, im Mutterland und in seinen
Kolonien, ganz ebenso sehr, ja noch mehr und direkter bedroht. Mau ist sich
in der britischen Schiffahrts -, Handels- und Jndustriewelt dieser Gefnhrcu
schon lange bewußt, trotz allen Zurschautrageus der anglosächsischen Bluts¬
brüderschaft. Die Leiter unsrer Politik aber, das dürfen wir doch annehmen,
sind von blindem Vertrauen zu Albions Treue ganz gewiß nicht beherrscht.
Sie wissen mehr und sehen klarer als wir alle. Erschweren wir ihnen das
sauersüße Vergnügen der britischen Freundschaft nicht unnötig. Sie thun und
ertragen, was sie müssen.

Der handelspolitische Kampf zu Hause wird immer schärfer von Woche
zu Woche. Die einzelnen Phasen drängen sich in den Vordergrund des Inter¬
esses und wollen einzeln gewürdigt sein. Auch die Grenzboten werden sich
dem nicht entziehn können. Vorläufig brechen wir hier ab mit dem ganz all¬
gemeinen aber sehr ernst gemeinten Wunsche, daß die verantwortlichen Staats-


Die Handelspolitik im Jahre 1.9^

der internationalen Friedensliebe und Friedensgarantie der Sozialdemokraten
ist dagegen ein hehres Evangelium von lauterster Wahrhaftigkeit, dem jeder
vernünftige Mensch den Sieg über den Imperialismus wünschen muß. Unsre
Arbeiter sind nicht roh und nicht dumm genug zum Imperialismus,

Daß in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, wo die allge¬
meine Wehrpflicht fehlt und es keine stehenden Landheere giebt, Wohl aber
das Großkapital in Krieg lind Frieden spekuliert, der Imperialismus einmal,
vielleicht sogar in naher Zukunft zu einem Weltkriege den Anstoß geben kaun,
ist nicht absolut abgeschlossen. Dort werden sich auch die Massen immerhin
leichter einmal dnrch Hetzereien und Treibereien aller Art für internationale
Brutalitäten erwärmen lassen, so lauge sie weit vom Schuß bleiben. Aber in
Großbritannien sind die Erfahrungen in Transvaal denn doch auch für das
Volk eine sehr ernste Lehre, die bei seinem im allgemeinen hohen politischen
Bildungsstand nachhaltig wirken kann, vollends in den regierungsfähigen
Kreisen. Gegen die imperialistische Kriegsgefahr internationale Abwehrma߬
regeln zu verabreden, ist nicht Sache der Handelspolitik, sondern der Politik
im engern Sinne. Unsre zollpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit haben
damit nichts zu thun, und die mitteleuropäische Zollallianz tritt dabei ganz
zurück, dagegen dem Haupt- und Weltstörensried, den Vereinigten Staateil
gegenüber eine Verständigung mit Großbritannien um so mehr in den Vorder¬
grund.

Wer die Grenzboten liest, weiß, daß wir von aller Vorliebe für die
britische Politik und ihre jetzigen Repräsentanten sehr weit entfernt sind. Aber
wir verkennen nicht, daß durch die ganze heutige Weltlage, durch gemein¬
same Interessen wie Gefahren Deutschlands und Großbritanniens sehr wohl
für einige Zeit eine gewisse Kooperation mit den Briten angezeigt sein kann.
Rußland und Frankreich geben uns keinen Rückhalt, und draußen in der Welt-
pvlitik überm Wasser versagen auch die Dreibnndsgenvssen bedenklich. Was
uns die Expansionspolitik wie die Abspcrrungspolitik der Vereinigten Staaten
Böses zufügen kann, davon ist Großbritannien, im Mutterland und in seinen
Kolonien, ganz ebenso sehr, ja noch mehr und direkter bedroht. Mau ist sich
in der britischen Schiffahrts -, Handels- und Jndustriewelt dieser Gefnhrcu
schon lange bewußt, trotz allen Zurschautrageus der anglosächsischen Bluts¬
brüderschaft. Die Leiter unsrer Politik aber, das dürfen wir doch annehmen,
sind von blindem Vertrauen zu Albions Treue ganz gewiß nicht beherrscht.
Sie wissen mehr und sehen klarer als wir alle. Erschweren wir ihnen das
sauersüße Vergnügen der britischen Freundschaft nicht unnötig. Sie thun und
ertragen, was sie müssen.

Der handelspolitische Kampf zu Hause wird immer schärfer von Woche
zu Woche. Die einzelnen Phasen drängen sich in den Vordergrund des Inter¬
esses und wollen einzeln gewürdigt sein. Auch die Grenzboten werden sich
dem nicht entziehn können. Vorläufig brechen wir hier ab mit dem ganz all¬
gemeinen aber sehr ernst gemeinten Wunsche, daß die verantwortlichen Staats-


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[0277] Die Handelspolitik im Jahre 1.9^ der internationalen Friedensliebe und Friedensgarantie der Sozialdemokraten ist dagegen ein hehres Evangelium von lauterster Wahrhaftigkeit, dem jeder vernünftige Mensch den Sieg über den Imperialismus wünschen muß. Unsre Arbeiter sind nicht roh und nicht dumm genug zum Imperialismus, Daß in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, wo die allge¬ meine Wehrpflicht fehlt und es keine stehenden Landheere giebt, Wohl aber das Großkapital in Krieg lind Frieden spekuliert, der Imperialismus einmal, vielleicht sogar in naher Zukunft zu einem Weltkriege den Anstoß geben kaun, ist nicht absolut abgeschlossen. Dort werden sich auch die Massen immerhin leichter einmal dnrch Hetzereien und Treibereien aller Art für internationale Brutalitäten erwärmen lassen, so lauge sie weit vom Schuß bleiben. Aber in Großbritannien sind die Erfahrungen in Transvaal denn doch auch für das Volk eine sehr ernste Lehre, die bei seinem im allgemeinen hohen politischen Bildungsstand nachhaltig wirken kann, vollends in den regierungsfähigen Kreisen. Gegen die imperialistische Kriegsgefahr internationale Abwehrma߬ regeln zu verabreden, ist nicht Sache der Handelspolitik, sondern der Politik im engern Sinne. Unsre zollpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit haben damit nichts zu thun, und die mitteleuropäische Zollallianz tritt dabei ganz zurück, dagegen dem Haupt- und Weltstörensried, den Vereinigten Staateil gegenüber eine Verständigung mit Großbritannien um so mehr in den Vorder¬ grund. Wer die Grenzboten liest, weiß, daß wir von aller Vorliebe für die britische Politik und ihre jetzigen Repräsentanten sehr weit entfernt sind. Aber wir verkennen nicht, daß durch die ganze heutige Weltlage, durch gemein¬ same Interessen wie Gefahren Deutschlands und Großbritanniens sehr wohl für einige Zeit eine gewisse Kooperation mit den Briten angezeigt sein kann. Rußland und Frankreich geben uns keinen Rückhalt, und draußen in der Welt- pvlitik überm Wasser versagen auch die Dreibnndsgenvssen bedenklich. Was uns die Expansionspolitik wie die Abspcrrungspolitik der Vereinigten Staaten Böses zufügen kann, davon ist Großbritannien, im Mutterland und in seinen Kolonien, ganz ebenso sehr, ja noch mehr und direkter bedroht. Mau ist sich in der britischen Schiffahrts -, Handels- und Jndustriewelt dieser Gefnhrcu schon lange bewußt, trotz allen Zurschautrageus der anglosächsischen Bluts¬ brüderschaft. Die Leiter unsrer Politik aber, das dürfen wir doch annehmen, sind von blindem Vertrauen zu Albions Treue ganz gewiß nicht beherrscht. Sie wissen mehr und sehen klarer als wir alle. Erschweren wir ihnen das sauersüße Vergnügen der britischen Freundschaft nicht unnötig. Sie thun und ertragen, was sie müssen. Der handelspolitische Kampf zu Hause wird immer schärfer von Woche zu Woche. Die einzelnen Phasen drängen sich in den Vordergrund des Inter¬ esses und wollen einzeln gewürdigt sein. Auch die Grenzboten werden sich dem nicht entziehn können. Vorläufig brechen wir hier ab mit dem ganz all¬ gemeinen aber sehr ernst gemeinten Wunsche, daß die verantwortlichen Staats-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/277>, abgerufen am 27.06.2024.