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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre

wülzuug gehalten werden sollte als früher. Sogar die Geschichte der Handels¬
vertragspolitik im Sinne der Erleichterung und Belebung des internationalen
Güteraustausch?' hat noch im letzten Jahrzehnt des alten Jahrhunderts einen
bedeutsamen Fortschritt zu verzeichnen gehabt in den Handelsverträgen Ru߬
lands mit Deutschland und Österreich, deren Aufrechterhaltung trotz alles
hochschtttzzvllnerischen Lärms gewisser Kreise die russische Regierung vorläufig
mindestens ebenso sehr zu wünschen scheint wie die deutsche. In der That,
die Lage hat sich vielfach verändert. Auch abgesehen von den Sonderinteressen
einzelner Wirtschaftsgruppen, die über Benachteiligung und Ruin durch diese
Veränderungen schreien und den verbündete" Regierungen mit allen verfüg¬
baren parlamentarischen Daumschrauben zusetzen, hatte die Regierung Grund,
die Frage zu erörtern, ob der Kurs der fast hundertjährigen deutsch-preußischen
Handelspolitik beibehalten oder geändert werden solle. Das Drängen der
Unzufrieduen machte die eingehende Prüfung vollends zur unabweisbaren
Pflicht.

Mit Recht hat man dabei zunächst die Vertreter der unzufriedneu Inter¬
essentenkreise selbst aufmerksam anhören zu sollen geglaubt. Wie weit die ver¬
bündeten Regierungen sich von ihnen in Bezug auf die zunächst zur Lösung
steheude Aufgabe, den Entwurf des 1901 zu verabschiedenden Zolltarifs, über¬
zeugen oder beeinflussen lasse", darüber ist noch nichts bekannt, kann noch nichts
bekannt sein. Das Reichsamt des Innern, dem die Anhörung der Inter¬
essenten und wohl auch eine Begutachtung ihrer Wünsche zunächst oblag, hat,
wie verlautet, seine Arbeiten beendet, und das Neichsschatzamt die seinigen be¬
gonnen. Daß der Reichskanzler in gewissen grundsätzlichen Fragen schon
Stellung genommen hat, ist möglich, aber durch nichts auch uur wahrscheinlich
gemacht'. Von einer Entscheidung des Bundesrath, dem nach der Thronrede
vom 14. November 1900 der Entwurf i" diesem Winter zugehn soll, kann
natürlich uoch gar keine Rede sein. Da nicht einmal die Vorschläge der im
wirtschaftlichen Ausschuß verewigten Vertreter der Interessenten bekannt ge¬
geben sind, wissen wir zur Zeit überhaupt gar nichts über den Stand der
Sache, was zu erörtern wäre. Im besondern ist nichts darüber bekannt, ob
die Form des Maximal- und Minimaltarifs, für die die Agrarier und einige
hochschlltzzöllnerische Industrielle schwärmen, während die Mehrzahl der Industrie
sie ablehnt, bisher offiziell vorgeschlagen, und wie weit sie in Betracht gezogen
worden ist, oder ob etwa nur Minimalzölle für die Produkte der Landwirt¬
schaft oder auch nur für einige, und in welcher Höhe sie von irgend einer
Stelle beschlossen worden sind. Auch nichts über die vorläufig für einen etwaigen
Generaltarif angenommnen Zollsätze, deren Höhe unter Umständen durch die
Vertrüge vermindert werden könnte. Gar nichts hat vollends über das Maß
und den Umfang des verschärften Jndustrieschlltzes verlautet, wie ihn der
Zentralverband deutscher Industrieller grundsätzlich empfiehlt. Auch nicht
einmal, wann das alles bekannt werden wird, ist schon zu sagen. Sich in
Vermutungen zu ergehn, hat keinen Zweck, zumal da die Geheimhaltung ihre


Die Handelspolitik im Jahre

wülzuug gehalten werden sollte als früher. Sogar die Geschichte der Handels¬
vertragspolitik im Sinne der Erleichterung und Belebung des internationalen
Güteraustausch?' hat noch im letzten Jahrzehnt des alten Jahrhunderts einen
bedeutsamen Fortschritt zu verzeichnen gehabt in den Handelsverträgen Ru߬
lands mit Deutschland und Österreich, deren Aufrechterhaltung trotz alles
hochschtttzzvllnerischen Lärms gewisser Kreise die russische Regierung vorläufig
mindestens ebenso sehr zu wünschen scheint wie die deutsche. In der That,
die Lage hat sich vielfach verändert. Auch abgesehen von den Sonderinteressen
einzelner Wirtschaftsgruppen, die über Benachteiligung und Ruin durch diese
Veränderungen schreien und den verbündete» Regierungen mit allen verfüg¬
baren parlamentarischen Daumschrauben zusetzen, hatte die Regierung Grund,
die Frage zu erörtern, ob der Kurs der fast hundertjährigen deutsch-preußischen
Handelspolitik beibehalten oder geändert werden solle. Das Drängen der
Unzufrieduen machte die eingehende Prüfung vollends zur unabweisbaren
Pflicht.

Mit Recht hat man dabei zunächst die Vertreter der unzufriedneu Inter¬
essentenkreise selbst aufmerksam anhören zu sollen geglaubt. Wie weit die ver¬
bündeten Regierungen sich von ihnen in Bezug auf die zunächst zur Lösung
steheude Aufgabe, den Entwurf des 1901 zu verabschiedenden Zolltarifs, über¬
zeugen oder beeinflussen lasse», darüber ist noch nichts bekannt, kann noch nichts
bekannt sein. Das Reichsamt des Innern, dem die Anhörung der Inter¬
essenten und wohl auch eine Begutachtung ihrer Wünsche zunächst oblag, hat,
wie verlautet, seine Arbeiten beendet, und das Neichsschatzamt die seinigen be¬
gonnen. Daß der Reichskanzler in gewissen grundsätzlichen Fragen schon
Stellung genommen hat, ist möglich, aber durch nichts auch uur wahrscheinlich
gemacht'. Von einer Entscheidung des Bundesrath, dem nach der Thronrede
vom 14. November 1900 der Entwurf i» diesem Winter zugehn soll, kann
natürlich uoch gar keine Rede sein. Da nicht einmal die Vorschläge der im
wirtschaftlichen Ausschuß verewigten Vertreter der Interessenten bekannt ge¬
geben sind, wissen wir zur Zeit überhaupt gar nichts über den Stand der
Sache, was zu erörtern wäre. Im besondern ist nichts darüber bekannt, ob
die Form des Maximal- und Minimaltarifs, für die die Agrarier und einige
hochschlltzzöllnerische Industrielle schwärmen, während die Mehrzahl der Industrie
sie ablehnt, bisher offiziell vorgeschlagen, und wie weit sie in Betracht gezogen
worden ist, oder ob etwa nur Minimalzölle für die Produkte der Landwirt¬
schaft oder auch nur für einige, und in welcher Höhe sie von irgend einer
Stelle beschlossen worden sind. Auch nichts über die vorläufig für einen etwaigen
Generaltarif angenommnen Zollsätze, deren Höhe unter Umständen durch die
Vertrüge vermindert werden könnte. Gar nichts hat vollends über das Maß
und den Umfang des verschärften Jndustrieschlltzes verlautet, wie ihn der
Zentralverband deutscher Industrieller grundsätzlich empfiehlt. Auch nicht
einmal, wann das alles bekannt werden wird, ist schon zu sagen. Sich in
Vermutungen zu ergehn, hat keinen Zweck, zumal da die Geheimhaltung ihre


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[0023] Die Handelspolitik im Jahre wülzuug gehalten werden sollte als früher. Sogar die Geschichte der Handels¬ vertragspolitik im Sinne der Erleichterung und Belebung des internationalen Güteraustausch?' hat noch im letzten Jahrzehnt des alten Jahrhunderts einen bedeutsamen Fortschritt zu verzeichnen gehabt in den Handelsverträgen Ru߬ lands mit Deutschland und Österreich, deren Aufrechterhaltung trotz alles hochschtttzzvllnerischen Lärms gewisser Kreise die russische Regierung vorläufig mindestens ebenso sehr zu wünschen scheint wie die deutsche. In der That, die Lage hat sich vielfach verändert. Auch abgesehen von den Sonderinteressen einzelner Wirtschaftsgruppen, die über Benachteiligung und Ruin durch diese Veränderungen schreien und den verbündete» Regierungen mit allen verfüg¬ baren parlamentarischen Daumschrauben zusetzen, hatte die Regierung Grund, die Frage zu erörtern, ob der Kurs der fast hundertjährigen deutsch-preußischen Handelspolitik beibehalten oder geändert werden solle. Das Drängen der Unzufrieduen machte die eingehende Prüfung vollends zur unabweisbaren Pflicht. Mit Recht hat man dabei zunächst die Vertreter der unzufriedneu Inter¬ essentenkreise selbst aufmerksam anhören zu sollen geglaubt. Wie weit die ver¬ bündeten Regierungen sich von ihnen in Bezug auf die zunächst zur Lösung steheude Aufgabe, den Entwurf des 1901 zu verabschiedenden Zolltarifs, über¬ zeugen oder beeinflussen lasse», darüber ist noch nichts bekannt, kann noch nichts bekannt sein. Das Reichsamt des Innern, dem die Anhörung der Inter¬ essenten und wohl auch eine Begutachtung ihrer Wünsche zunächst oblag, hat, wie verlautet, seine Arbeiten beendet, und das Neichsschatzamt die seinigen be¬ gonnen. Daß der Reichskanzler in gewissen grundsätzlichen Fragen schon Stellung genommen hat, ist möglich, aber durch nichts auch uur wahrscheinlich gemacht'. Von einer Entscheidung des Bundesrath, dem nach der Thronrede vom 14. November 1900 der Entwurf i» diesem Winter zugehn soll, kann natürlich uoch gar keine Rede sein. Da nicht einmal die Vorschläge der im wirtschaftlichen Ausschuß verewigten Vertreter der Interessenten bekannt ge¬ geben sind, wissen wir zur Zeit überhaupt gar nichts über den Stand der Sache, was zu erörtern wäre. Im besondern ist nichts darüber bekannt, ob die Form des Maximal- und Minimaltarifs, für die die Agrarier und einige hochschlltzzöllnerische Industrielle schwärmen, während die Mehrzahl der Industrie sie ablehnt, bisher offiziell vorgeschlagen, und wie weit sie in Betracht gezogen worden ist, oder ob etwa nur Minimalzölle für die Produkte der Landwirt¬ schaft oder auch nur für einige, und in welcher Höhe sie von irgend einer Stelle beschlossen worden sind. Auch nichts über die vorläufig für einen etwaigen Generaltarif angenommnen Zollsätze, deren Höhe unter Umständen durch die Vertrüge vermindert werden könnte. Gar nichts hat vollends über das Maß und den Umfang des verschärften Jndustrieschlltzes verlautet, wie ihn der Zentralverband deutscher Industrieller grundsätzlich empfiehlt. Auch nicht einmal, wann das alles bekannt werden wird, ist schon zu sagen. Sich in Vermutungen zu ergehn, hat keinen Zweck, zumal da die Geheimhaltung ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/23>, abgerufen am 02.10.2024.