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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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angenehm zu machen sucht, einigermaßen sicher stellen. Man hat z, B. bei
uns lesen können, dieser wundewolle Engländer gehöre zu den wenigen, die
die Kunst mit dem Herzen in sich aufgenommen und mit dem Blicke des
Künstlers gesehen hätten. Als ob das die andern etwa mit den Kinnbacken
oder mit den Augen des Ansternessers gethan hätten, und als ob überhaupt
irgend jemand in unsern Tagen mit einiger Aussicht, gehört zu werden, seinen
Mitmenschen über Kunst etwas sage" könnte, der nicht ein wenig mit dem
Herzen bei seiner Sache wäre und sich nicht auch bemühte, künstlerisch zu fühlen.
Wenn wir Rnskin als lebendige Persönlichkeit zu verstehn suchen, wozu uus
der Übersetzer des ersten Bandes auffordert, so scheint uns in seiner Entwick¬
lung außer diesem Herze" für die Kunst noch etwas andres wichtig gewesen
zu sein. Neben Carlyle galt er für den besten Popularschriftsteller, den nach¬
drücklichsten und glänzendsten tickkör, und er selbst klagte sich an, einst in
jungen Jahren der "schönen" Rede zu viel nachgegeben zu haben; später
wurde er strenger, ernster und sachlicher, Einst habe er, so meint er später,
seine Erfolge der Fähigkeit, farbige Wolken und den blauen Himmel zu
schildern, zu verdanken gehabt; jetzt möchte er lieber Eindruck machen mit
ernsten Schilderungen von Wolken andrer Art, z, B, von der lichten Wolke,
von der geschrieben stehe: Was ist euer Lebe"? ein Dampf ist es usw. Drei
litterarische Geister früherer Zeitalter nennt er, denen er sich am meisten ver¬
wandt fühle: in allen ernsten Dingen dem Guido Guinieelli (dem bolognesischen
Verbannten, der das Thema von der Liebe und ihrem Wert für das Herz
des edeln Mannes mit znerst behandelt hat, und den Dante seinen Vater
nennt), in den zufälligen Stimmungen dem größten englische" Humoristen,
dem Dechanten von Se, Patricks. Swift, und in der allgemeinen Art, sich über
Menschen und Dinge nnszudriickeu Marmontel, Manchem von uns wird
diese Mischung vielleicht nicht sehr zuträglich vorkommen (wie man von einem
etwas komplizierten Gericht zu sagen pflegt); ganz gewiß aber wird keiner,
der von Marmontel etwas gelesen hat, die Erinnerung an einen Mann von
Aeser oder seltnen Gedanken behalten haben. Also der Drang nach Äußerung
und der rhetorische Trieb, den Carlyle bisweilen feierlich verflucht hat, waren
seinem jungen Freunde Nuskin mächtige Erreger, und zu der bildenden Kunst,
von der Carlyle nichts zu wissen verlangte, führten ihn früh seine Beschäftigung
"u't den Werken des Landschafters Turner und seine Beziehungen zu den eng¬
lischen Prüraffaeliten, deren Bilder in das Leben einzuführen er eine Zeit
lang als seine Hauptaufgabe ansah. Viel spater erklärte er dann diese Be¬
mühungen für ziemlich vergeblich - recht bescheiden offenbar, denn eine Land¬
schaft von William Turner aus dessen besserer Zeit (vor dem Verfall seit
1845) wird doch in England wohl immer noch wie eine Art Heiligtum betrachtet,
und Dante Gabriele Rossetti und Burne Jones haben >a längst ihren Siegeszug
über deu Kontinent angetreten --, und heute denken wir uns Nuskin haupt¬
sachlich als den Missionsprediger für einfache und zweckmäßige Architektur,
den Theoretiker und geistigen Miturheber des behaglich eingerichteten, äußerlich


Rnskiii

angenehm zu machen sucht, einigermaßen sicher stellen. Man hat z, B. bei
uns lesen können, dieser wundewolle Engländer gehöre zu den wenigen, die
die Kunst mit dem Herzen in sich aufgenommen und mit dem Blicke des
Künstlers gesehen hätten. Als ob das die andern etwa mit den Kinnbacken
oder mit den Augen des Ansternessers gethan hätten, und als ob überhaupt
irgend jemand in unsern Tagen mit einiger Aussicht, gehört zu werden, seinen
Mitmenschen über Kunst etwas sage» könnte, der nicht ein wenig mit dem
Herzen bei seiner Sache wäre und sich nicht auch bemühte, künstlerisch zu fühlen.
Wenn wir Rnskin als lebendige Persönlichkeit zu verstehn suchen, wozu uus
der Übersetzer des ersten Bandes auffordert, so scheint uns in seiner Entwick¬
lung außer diesem Herze» für die Kunst noch etwas andres wichtig gewesen
zu sein. Neben Carlyle galt er für den besten Popularschriftsteller, den nach¬
drücklichsten und glänzendsten tickkör, und er selbst klagte sich an, einst in
jungen Jahren der „schönen" Rede zu viel nachgegeben zu haben; später
wurde er strenger, ernster und sachlicher, Einst habe er, so meint er später,
seine Erfolge der Fähigkeit, farbige Wolken und den blauen Himmel zu
schildern, zu verdanken gehabt; jetzt möchte er lieber Eindruck machen mit
ernsten Schilderungen von Wolken andrer Art, z, B, von der lichten Wolke,
von der geschrieben stehe: Was ist euer Lebe»? ein Dampf ist es usw. Drei
litterarische Geister früherer Zeitalter nennt er, denen er sich am meisten ver¬
wandt fühle: in allen ernsten Dingen dem Guido Guinieelli (dem bolognesischen
Verbannten, der das Thema von der Liebe und ihrem Wert für das Herz
des edeln Mannes mit znerst behandelt hat, und den Dante seinen Vater
nennt), in den zufälligen Stimmungen dem größten englische» Humoristen,
dem Dechanten von Se, Patricks. Swift, und in der allgemeinen Art, sich über
Menschen und Dinge nnszudriickeu Marmontel, Manchem von uns wird
diese Mischung vielleicht nicht sehr zuträglich vorkommen (wie man von einem
etwas komplizierten Gericht zu sagen pflegt); ganz gewiß aber wird keiner,
der von Marmontel etwas gelesen hat, die Erinnerung an einen Mann von
Aeser oder seltnen Gedanken behalten haben. Also der Drang nach Äußerung
und der rhetorische Trieb, den Carlyle bisweilen feierlich verflucht hat, waren
seinem jungen Freunde Nuskin mächtige Erreger, und zu der bildenden Kunst,
von der Carlyle nichts zu wissen verlangte, führten ihn früh seine Beschäftigung
"u't den Werken des Landschafters Turner und seine Beziehungen zu den eng¬
lischen Prüraffaeliten, deren Bilder in das Leben einzuführen er eine Zeit
lang als seine Hauptaufgabe ansah. Viel spater erklärte er dann diese Be¬
mühungen für ziemlich vergeblich - recht bescheiden offenbar, denn eine Land¬
schaft von William Turner aus dessen besserer Zeit (vor dem Verfall seit
1845) wird doch in England wohl immer noch wie eine Art Heiligtum betrachtet,
und Dante Gabriele Rossetti und Burne Jones haben >a längst ihren Siegeszug
über deu Kontinent angetreten —, und heute denken wir uns Nuskin haupt¬
sachlich als den Missionsprediger für einfache und zweckmäßige Architektur,
den Theoretiker und geistigen Miturheber des behaglich eingerichteten, äußerlich


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[0227] Rnskiii angenehm zu machen sucht, einigermaßen sicher stellen. Man hat z, B. bei uns lesen können, dieser wundewolle Engländer gehöre zu den wenigen, die die Kunst mit dem Herzen in sich aufgenommen und mit dem Blicke des Künstlers gesehen hätten. Als ob das die andern etwa mit den Kinnbacken oder mit den Augen des Ansternessers gethan hätten, und als ob überhaupt irgend jemand in unsern Tagen mit einiger Aussicht, gehört zu werden, seinen Mitmenschen über Kunst etwas sage» könnte, der nicht ein wenig mit dem Herzen bei seiner Sache wäre und sich nicht auch bemühte, künstlerisch zu fühlen. Wenn wir Rnskin als lebendige Persönlichkeit zu verstehn suchen, wozu uus der Übersetzer des ersten Bandes auffordert, so scheint uns in seiner Entwick¬ lung außer diesem Herze» für die Kunst noch etwas andres wichtig gewesen zu sein. Neben Carlyle galt er für den besten Popularschriftsteller, den nach¬ drücklichsten und glänzendsten tickkör, und er selbst klagte sich an, einst in jungen Jahren der „schönen" Rede zu viel nachgegeben zu haben; später wurde er strenger, ernster und sachlicher, Einst habe er, so meint er später, seine Erfolge der Fähigkeit, farbige Wolken und den blauen Himmel zu schildern, zu verdanken gehabt; jetzt möchte er lieber Eindruck machen mit ernsten Schilderungen von Wolken andrer Art, z, B, von der lichten Wolke, von der geschrieben stehe: Was ist euer Lebe»? ein Dampf ist es usw. Drei litterarische Geister früherer Zeitalter nennt er, denen er sich am meisten ver¬ wandt fühle: in allen ernsten Dingen dem Guido Guinieelli (dem bolognesischen Verbannten, der das Thema von der Liebe und ihrem Wert für das Herz des edeln Mannes mit znerst behandelt hat, und den Dante seinen Vater nennt), in den zufälligen Stimmungen dem größten englische» Humoristen, dem Dechanten von Se, Patricks. Swift, und in der allgemeinen Art, sich über Menschen und Dinge nnszudriickeu Marmontel, Manchem von uns wird diese Mischung vielleicht nicht sehr zuträglich vorkommen (wie man von einem etwas komplizierten Gericht zu sagen pflegt); ganz gewiß aber wird keiner, der von Marmontel etwas gelesen hat, die Erinnerung an einen Mann von Aeser oder seltnen Gedanken behalten haben. Also der Drang nach Äußerung und der rhetorische Trieb, den Carlyle bisweilen feierlich verflucht hat, waren seinem jungen Freunde Nuskin mächtige Erreger, und zu der bildenden Kunst, von der Carlyle nichts zu wissen verlangte, führten ihn früh seine Beschäftigung "u't den Werken des Landschafters Turner und seine Beziehungen zu den eng¬ lischen Prüraffaeliten, deren Bilder in das Leben einzuführen er eine Zeit lang als seine Hauptaufgabe ansah. Viel spater erklärte er dann diese Be¬ mühungen für ziemlich vergeblich - recht bescheiden offenbar, denn eine Land¬ schaft von William Turner aus dessen besserer Zeit (vor dem Verfall seit 1845) wird doch in England wohl immer noch wie eine Art Heiligtum betrachtet, und Dante Gabriele Rossetti und Burne Jones haben >a längst ihren Siegeszug über deu Kontinent angetreten —, und heute denken wir uns Nuskin haupt¬ sachlich als den Missionsprediger für einfache und zweckmäßige Architektur, den Theoretiker und geistigen Miturheber des behaglich eingerichteten, äußerlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/227>, abgerufen am 29.06.2024.