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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

Ziele, wen für mich überreich um neuen Eindrücken. Nicht nnr, daß sich der
Charakter der Landschaft wesentlich veränderte; auch die Bevölkerung zeigte
plötzlich ein völlig neues Gepräge: ich sah mich auf preußischem Grund und
Boden von Angehörigen der großen romanischen Völkerfamilie umgeben. In
der sattelartigen Einsenkung zwischen dem Hauptkerne des Hohen Venus und
dessen nordöstlichen Ausläufer steigt die Bahn bis zum Rurbette hinab, über¬
schreitet dieses mehreremale und zieht dann auf dem rechten Ufer bis zur
Station Sourbrodt, dem ersten Orte mit wallonischer Bevölkerung, weiter.
Die Fichtenwälder treten mehr und mehr zurück, sogar die Wiesen am Flusse
werden immer dürftiger, und eine unabsehbare laugsam ansteigende Heidefläche,
deren gleichmäßige Färbung nur durch schwarze Torfgrubeu unterbrochen wird,
breitet sich vor dem Auge des Reiseuden aus.

Der Kreis Malmedy, zu dem diese Gegend gehört, besteht zu einem vollen
Drittel aus Ödland. Er wird in dieser Hinsicht nnr vom Kreise Prüm über-
troffen, wo zwei Fünftel der gesamten Bodenfläche mit Heide und Ginster be¬
deckt sind. In der historischen Zeit ist das Hohe Venn allerdings immer ein
baumloses Hochmoor gewesen, aber die vielfach in den Torf eingebetteten
riesigen Eichenstämme beweisen zu Genüge, daß in frühern Periode" hier die
herrlichsten Wälder gestanden haben. Seit dem Jahre 1877 ist für die Auf¬
forstung manches geschehn, die Negierung hatte sogar einen besondern "Venn-
fonds" ausgeworfen, dessen Nutznießung für den angedeuteten Zweck jedoch
nach den Bestimmungen mit dem nächsten Jahre erlischt. Sind auch inzwischen
sehr weite Strecken Landes mit Fichten bepflanzt worden, so reichen diese
jungen Wälder doch noch nicht hin, den öden und melancholischen Grund¬
charakter der Gegend wesentlich zu mildern. Die Aufforstung kann man hier
übrigeus bei weitem nicht so leicht bewerkstelligen wie in den übrigen Teilen
der Eifel, da der Boden, um wärmeaufunhmefähig zu werden, einer gründ¬
lichen Entwässerung bedarf. Bemerkenswert ist es, daß die Hochfläche des
Venus bis vor sechzig Jahren herrenloses Land war, dann aber den benach¬
bartem Gemeinden zugeteilt wurde. Das Heidekraut wird als Streu benutzt;
mit dem Torf, der feuchter und schwerer als der Lüneburger sein soll, weiß
man indes nichts anzusaugen. Dagegen hat das Land in seinem Reichtum
an Preißelbeeren einen Schatz von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Besondre
Genossenschaften (eine in Kaltcrherberg, eine in Weismes) haben die Verwertung
der meist von Kindern gesammelten Beeren in die Hand genommen und können
alljährlich mehrere tausend Mark an ihre Mitglieder abführen. Bei meinem
Besuche in der dortigen Gegend war die Ernte gerade in vollem Gange. Für
das Kilo wurde der doch gewiß ganz gute Preis von 44 bis 48 Pfennigen
bezahlt.

In Sourbrodt kamen wallonische Bauern in mein Coupe. Es ist ein
kräftiger, untersetzter Menschenschlag mit dunkelm Haar und dunkeln Auge".
Die Intelligenz und Regsamkeit, durch die sie sich von ihren Mimischen Nach¬
barn vorteilhaft unterscheiden, waren auf deu ersten Blick zu erkennen. Die


Herbsttage in der Lisel

Ziele, wen für mich überreich um neuen Eindrücken. Nicht nnr, daß sich der
Charakter der Landschaft wesentlich veränderte; auch die Bevölkerung zeigte
plötzlich ein völlig neues Gepräge: ich sah mich auf preußischem Grund und
Boden von Angehörigen der großen romanischen Völkerfamilie umgeben. In
der sattelartigen Einsenkung zwischen dem Hauptkerne des Hohen Venus und
dessen nordöstlichen Ausläufer steigt die Bahn bis zum Rurbette hinab, über¬
schreitet dieses mehreremale und zieht dann auf dem rechten Ufer bis zur
Station Sourbrodt, dem ersten Orte mit wallonischer Bevölkerung, weiter.
Die Fichtenwälder treten mehr und mehr zurück, sogar die Wiesen am Flusse
werden immer dürftiger, und eine unabsehbare laugsam ansteigende Heidefläche,
deren gleichmäßige Färbung nur durch schwarze Torfgrubeu unterbrochen wird,
breitet sich vor dem Auge des Reiseuden aus.

Der Kreis Malmedy, zu dem diese Gegend gehört, besteht zu einem vollen
Drittel aus Ödland. Er wird in dieser Hinsicht nnr vom Kreise Prüm über-
troffen, wo zwei Fünftel der gesamten Bodenfläche mit Heide und Ginster be¬
deckt sind. In der historischen Zeit ist das Hohe Venn allerdings immer ein
baumloses Hochmoor gewesen, aber die vielfach in den Torf eingebetteten
riesigen Eichenstämme beweisen zu Genüge, daß in frühern Periode« hier die
herrlichsten Wälder gestanden haben. Seit dem Jahre 1877 ist für die Auf¬
forstung manches geschehn, die Negierung hatte sogar einen besondern „Venn-
fonds" ausgeworfen, dessen Nutznießung für den angedeuteten Zweck jedoch
nach den Bestimmungen mit dem nächsten Jahre erlischt. Sind auch inzwischen
sehr weite Strecken Landes mit Fichten bepflanzt worden, so reichen diese
jungen Wälder doch noch nicht hin, den öden und melancholischen Grund¬
charakter der Gegend wesentlich zu mildern. Die Aufforstung kann man hier
übrigeus bei weitem nicht so leicht bewerkstelligen wie in den übrigen Teilen
der Eifel, da der Boden, um wärmeaufunhmefähig zu werden, einer gründ¬
lichen Entwässerung bedarf. Bemerkenswert ist es, daß die Hochfläche des
Venus bis vor sechzig Jahren herrenloses Land war, dann aber den benach¬
bartem Gemeinden zugeteilt wurde. Das Heidekraut wird als Streu benutzt;
mit dem Torf, der feuchter und schwerer als der Lüneburger sein soll, weiß
man indes nichts anzusaugen. Dagegen hat das Land in seinem Reichtum
an Preißelbeeren einen Schatz von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Besondre
Genossenschaften (eine in Kaltcrherberg, eine in Weismes) haben die Verwertung
der meist von Kindern gesammelten Beeren in die Hand genommen und können
alljährlich mehrere tausend Mark an ihre Mitglieder abführen. Bei meinem
Besuche in der dortigen Gegend war die Ernte gerade in vollem Gange. Für
das Kilo wurde der doch gewiß ganz gute Preis von 44 bis 48 Pfennigen
bezahlt.

In Sourbrodt kamen wallonische Bauern in mein Coupe. Es ist ein
kräftiger, untersetzter Menschenschlag mit dunkelm Haar und dunkeln Auge».
Die Intelligenz und Regsamkeit, durch die sie sich von ihren Mimischen Nach¬
barn vorteilhaft unterscheiden, waren auf deu ersten Blick zu erkennen. Die


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[0186] Herbsttage in der Lisel Ziele, wen für mich überreich um neuen Eindrücken. Nicht nnr, daß sich der Charakter der Landschaft wesentlich veränderte; auch die Bevölkerung zeigte plötzlich ein völlig neues Gepräge: ich sah mich auf preußischem Grund und Boden von Angehörigen der großen romanischen Völkerfamilie umgeben. In der sattelartigen Einsenkung zwischen dem Hauptkerne des Hohen Venus und dessen nordöstlichen Ausläufer steigt die Bahn bis zum Rurbette hinab, über¬ schreitet dieses mehreremale und zieht dann auf dem rechten Ufer bis zur Station Sourbrodt, dem ersten Orte mit wallonischer Bevölkerung, weiter. Die Fichtenwälder treten mehr und mehr zurück, sogar die Wiesen am Flusse werden immer dürftiger, und eine unabsehbare laugsam ansteigende Heidefläche, deren gleichmäßige Färbung nur durch schwarze Torfgrubeu unterbrochen wird, breitet sich vor dem Auge des Reiseuden aus. Der Kreis Malmedy, zu dem diese Gegend gehört, besteht zu einem vollen Drittel aus Ödland. Er wird in dieser Hinsicht nnr vom Kreise Prüm über- troffen, wo zwei Fünftel der gesamten Bodenfläche mit Heide und Ginster be¬ deckt sind. In der historischen Zeit ist das Hohe Venn allerdings immer ein baumloses Hochmoor gewesen, aber die vielfach in den Torf eingebetteten riesigen Eichenstämme beweisen zu Genüge, daß in frühern Periode« hier die herrlichsten Wälder gestanden haben. Seit dem Jahre 1877 ist für die Auf¬ forstung manches geschehn, die Negierung hatte sogar einen besondern „Venn- fonds" ausgeworfen, dessen Nutznießung für den angedeuteten Zweck jedoch nach den Bestimmungen mit dem nächsten Jahre erlischt. Sind auch inzwischen sehr weite Strecken Landes mit Fichten bepflanzt worden, so reichen diese jungen Wälder doch noch nicht hin, den öden und melancholischen Grund¬ charakter der Gegend wesentlich zu mildern. Die Aufforstung kann man hier übrigeus bei weitem nicht so leicht bewerkstelligen wie in den übrigen Teilen der Eifel, da der Boden, um wärmeaufunhmefähig zu werden, einer gründ¬ lichen Entwässerung bedarf. Bemerkenswert ist es, daß die Hochfläche des Venus bis vor sechzig Jahren herrenloses Land war, dann aber den benach¬ bartem Gemeinden zugeteilt wurde. Das Heidekraut wird als Streu benutzt; mit dem Torf, der feuchter und schwerer als der Lüneburger sein soll, weiß man indes nichts anzusaugen. Dagegen hat das Land in seinem Reichtum an Preißelbeeren einen Schatz von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Besondre Genossenschaften (eine in Kaltcrherberg, eine in Weismes) haben die Verwertung der meist von Kindern gesammelten Beeren in die Hand genommen und können alljährlich mehrere tausend Mark an ihre Mitglieder abführen. Bei meinem Besuche in der dortigen Gegend war die Ernte gerade in vollem Gange. Für das Kilo wurde der doch gewiß ganz gute Preis von 44 bis 48 Pfennigen bezahlt. In Sourbrodt kamen wallonische Bauern in mein Coupe. Es ist ein kräftiger, untersetzter Menschenschlag mit dunkelm Haar und dunkeln Auge». Die Intelligenz und Regsamkeit, durch die sie sich von ihren Mimischen Nach¬ barn vorteilhaft unterscheiden, waren auf deu ersten Blick zu erkennen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/186>, abgerufen am 02.10.2024.