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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

dunkel geworden, die sturmzerzausten Fichten zu unsrer Rechten streckten uns
gleich drohenden Gespenstern ihre Äste entgegen, und in dem Abgrunde zur
Linke" wogte der Nebel und kletterte zu phantastischen Gebilden geformt an
den Berghängen herauf. Ich war uoch in dieses Schauspiel, das mir erst das
volle Verständnis für Goethes "Erlkönig" erschloß, versunken, als plötzlich aus
den, düstern Walde eine Gestalt auftauchte, die sich uns mit einem gebiete¬
rischen Halt! in den Weg stellte und den Pferden in die Zügel fiel. Waffen
blitzten auf schon fiel mir schwer aufs Herz, daß ich meinen Revolver zu Hanse
gelassen hatte --, da reckte sich zu unserm luftigen Sitze eine mit einem weißen
Handschuh bekleidete Hand empor, und nun erkannte ich in dem vermeintlichen
Räuber einen preußischen Gendarm, der sich davon überzeugen wollte, ob der
Postillon uicht etwa den einen oder den andern Passagier, um seiner vorgesetzten
Behörde unnötige Schreibereien zu ersparen, auf eigne Rechnung und Gefahr
mitgenommen habe. Der Verdacht erwies sich als völlig unbegründet, der
Gendarm setzte seinen Namen auf den Postbegleitbrief, händigte dem Rosse-
lenker das Papier mit höchst lakonischem Abjchiedsgruße wieder ein und ver¬
schwand in der Dunkelheit. Die kleine Episode, die sich bei der etwas mangel¬
haften Beleuchtung einer trüben Wagenlaterne abspielte, hatte auch ihren
erhebenden sittlichen Hintergrund. Der Gendarm, der in der Erfüllung seiner
Dienstpflicht hier im nächtlich öden Walde auf den Postwagen gewartet hatte,
zeigte in Haltung und Ton die spezifisch preußische Strenge, die nichts auf¬
kommen läßt, was nur einem Schimmer von Vertraulichkeit ähnlich sieht. Der
Postillon hingegen drückte durch die Art, wie er den andern grüßte und auf
dessen Fragen antwortete, aus, daß er dessen Autorität anerkenne, zeigte aber
sonst die Ruhe und Sicherheit, die nur in einem guten Gewissen und in dem
Bewußtsein redlicher Pflichterfüllung wurzeln. Er durfte sich auf seine Ehr¬
lichkeit auch etwas einbilden, denn diese Tugend wird ihm nicht gerade leicht
gemacht. Wie ich hörte, ist die Postverbindung zwischen Gemünd und Mvntjoie
ein Privatunternehmer?. Der Prinzipal, der von der PostVerwaltung ein Fixum
erhält, ist verpflichtet, jeden Morgen einen Wagen von Montjoie und jeden
Abend einen von Gemünd abgehn zu lassen. Er selbst wohnt in Aachen und
kommt nur aller paar Wochen einmal, um sich seine Pferde, deren er sechs hat,
anzusehen. Von den beiden Postillonen ist abwechselnd immer einer unter¬
wegs, während der andre baun in Montjoie den Omnibus kutschiert und für
die dort stehenden Pferde zu sorge" hat. Jeder der beiden Postillone -- der
weine war Familienvater und hatte vier Kinder zu ernähren - bezieht ein
Monatsgehalt von 60 Mark, wofür er sich während des Aufenthalts in Ge¬
münd auch noch selbst verpflegen muß. . Peusionsbercchtigt sind die Leute
natürlich nicht, auch erhalten sie so gut wie niemals Trinkgelder. Man wird
zugeben, daß unter diesen Verhältnissen die Ehrlichkeit der Leute doppelt an¬
erkannt werden muß.

> Aus der weitem Fahrt fehlte es nicht an allerlei kleinen Episode", die,
wenn auch an sich geringfügig, interessante Streiflichter uns die Zustände in


Herbsttage in der Lisel

dunkel geworden, die sturmzerzausten Fichten zu unsrer Rechten streckten uns
gleich drohenden Gespenstern ihre Äste entgegen, und in dem Abgrunde zur
Linke» wogte der Nebel und kletterte zu phantastischen Gebilden geformt an
den Berghängen herauf. Ich war uoch in dieses Schauspiel, das mir erst das
volle Verständnis für Goethes „Erlkönig" erschloß, versunken, als plötzlich aus
den, düstern Walde eine Gestalt auftauchte, die sich uns mit einem gebiete¬
rischen Halt! in den Weg stellte und den Pferden in die Zügel fiel. Waffen
blitzten auf schon fiel mir schwer aufs Herz, daß ich meinen Revolver zu Hanse
gelassen hatte —, da reckte sich zu unserm luftigen Sitze eine mit einem weißen
Handschuh bekleidete Hand empor, und nun erkannte ich in dem vermeintlichen
Räuber einen preußischen Gendarm, der sich davon überzeugen wollte, ob der
Postillon uicht etwa den einen oder den andern Passagier, um seiner vorgesetzten
Behörde unnötige Schreibereien zu ersparen, auf eigne Rechnung und Gefahr
mitgenommen habe. Der Verdacht erwies sich als völlig unbegründet, der
Gendarm setzte seinen Namen auf den Postbegleitbrief, händigte dem Rosse-
lenker das Papier mit höchst lakonischem Abjchiedsgruße wieder ein und ver¬
schwand in der Dunkelheit. Die kleine Episode, die sich bei der etwas mangel¬
haften Beleuchtung einer trüben Wagenlaterne abspielte, hatte auch ihren
erhebenden sittlichen Hintergrund. Der Gendarm, der in der Erfüllung seiner
Dienstpflicht hier im nächtlich öden Walde auf den Postwagen gewartet hatte,
zeigte in Haltung und Ton die spezifisch preußische Strenge, die nichts auf¬
kommen läßt, was nur einem Schimmer von Vertraulichkeit ähnlich sieht. Der
Postillon hingegen drückte durch die Art, wie er den andern grüßte und auf
dessen Fragen antwortete, aus, daß er dessen Autorität anerkenne, zeigte aber
sonst die Ruhe und Sicherheit, die nur in einem guten Gewissen und in dem
Bewußtsein redlicher Pflichterfüllung wurzeln. Er durfte sich auf seine Ehr¬
lichkeit auch etwas einbilden, denn diese Tugend wird ihm nicht gerade leicht
gemacht. Wie ich hörte, ist die Postverbindung zwischen Gemünd und Mvntjoie
ein Privatunternehmer?. Der Prinzipal, der von der PostVerwaltung ein Fixum
erhält, ist verpflichtet, jeden Morgen einen Wagen von Montjoie und jeden
Abend einen von Gemünd abgehn zu lassen. Er selbst wohnt in Aachen und
kommt nur aller paar Wochen einmal, um sich seine Pferde, deren er sechs hat,
anzusehen. Von den beiden Postillonen ist abwechselnd immer einer unter¬
wegs, während der andre baun in Montjoie den Omnibus kutschiert und für
die dort stehenden Pferde zu sorge» hat. Jeder der beiden Postillone -- der
weine war Familienvater und hatte vier Kinder zu ernähren - bezieht ein
Monatsgehalt von 60 Mark, wofür er sich während des Aufenthalts in Ge¬
münd auch noch selbst verpflegen muß. . Peusionsbercchtigt sind die Leute
natürlich nicht, auch erhalten sie so gut wie niemals Trinkgelder. Man wird
zugeben, daß unter diesen Verhältnissen die Ehrlichkeit der Leute doppelt an¬
erkannt werden muß.

> Aus der weitem Fahrt fehlte es nicht an allerlei kleinen Episode», die,
wenn auch an sich geringfügig, interessante Streiflichter uns die Zustände in


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[0139] Herbsttage in der Lisel dunkel geworden, die sturmzerzausten Fichten zu unsrer Rechten streckten uns gleich drohenden Gespenstern ihre Äste entgegen, und in dem Abgrunde zur Linke» wogte der Nebel und kletterte zu phantastischen Gebilden geformt an den Berghängen herauf. Ich war uoch in dieses Schauspiel, das mir erst das volle Verständnis für Goethes „Erlkönig" erschloß, versunken, als plötzlich aus den, düstern Walde eine Gestalt auftauchte, die sich uns mit einem gebiete¬ rischen Halt! in den Weg stellte und den Pferden in die Zügel fiel. Waffen blitzten auf schon fiel mir schwer aufs Herz, daß ich meinen Revolver zu Hanse gelassen hatte —, da reckte sich zu unserm luftigen Sitze eine mit einem weißen Handschuh bekleidete Hand empor, und nun erkannte ich in dem vermeintlichen Räuber einen preußischen Gendarm, der sich davon überzeugen wollte, ob der Postillon uicht etwa den einen oder den andern Passagier, um seiner vorgesetzten Behörde unnötige Schreibereien zu ersparen, auf eigne Rechnung und Gefahr mitgenommen habe. Der Verdacht erwies sich als völlig unbegründet, der Gendarm setzte seinen Namen auf den Postbegleitbrief, händigte dem Rosse- lenker das Papier mit höchst lakonischem Abjchiedsgruße wieder ein und ver¬ schwand in der Dunkelheit. Die kleine Episode, die sich bei der etwas mangel¬ haften Beleuchtung einer trüben Wagenlaterne abspielte, hatte auch ihren erhebenden sittlichen Hintergrund. Der Gendarm, der in der Erfüllung seiner Dienstpflicht hier im nächtlich öden Walde auf den Postwagen gewartet hatte, zeigte in Haltung und Ton die spezifisch preußische Strenge, die nichts auf¬ kommen läßt, was nur einem Schimmer von Vertraulichkeit ähnlich sieht. Der Postillon hingegen drückte durch die Art, wie er den andern grüßte und auf dessen Fragen antwortete, aus, daß er dessen Autorität anerkenne, zeigte aber sonst die Ruhe und Sicherheit, die nur in einem guten Gewissen und in dem Bewußtsein redlicher Pflichterfüllung wurzeln. Er durfte sich auf seine Ehr¬ lichkeit auch etwas einbilden, denn diese Tugend wird ihm nicht gerade leicht gemacht. Wie ich hörte, ist die Postverbindung zwischen Gemünd und Mvntjoie ein Privatunternehmer?. Der Prinzipal, der von der PostVerwaltung ein Fixum erhält, ist verpflichtet, jeden Morgen einen Wagen von Montjoie und jeden Abend einen von Gemünd abgehn zu lassen. Er selbst wohnt in Aachen und kommt nur aller paar Wochen einmal, um sich seine Pferde, deren er sechs hat, anzusehen. Von den beiden Postillonen ist abwechselnd immer einer unter¬ wegs, während der andre baun in Montjoie den Omnibus kutschiert und für die dort stehenden Pferde zu sorge» hat. Jeder der beiden Postillone -- der weine war Familienvater und hatte vier Kinder zu ernähren - bezieht ein Monatsgehalt von 60 Mark, wofür er sich während des Aufenthalts in Ge¬ münd auch noch selbst verpflegen muß. . Peusionsbercchtigt sind die Leute natürlich nicht, auch erhalten sie so gut wie niemals Trinkgelder. Man wird zugeben, daß unter diesen Verhältnissen die Ehrlichkeit der Leute doppelt an¬ erkannt werden muß. > Aus der weitem Fahrt fehlte es nicht an allerlei kleinen Episode», die, wenn auch an sich geringfügig, interessante Streiflichter uns die Zustände in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/139>, abgerufen am 25.07.2024.