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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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die Partei des Rittmeisters ergriffen hatten, von ihren Kameraden "geschnitten"
würden, und daß hieraus eine größere Anzahl von Duellen entstand, so ver¬
setzte er den General Briois, Kommandeur der siebenten Kavalleriedivision und
Platzkommandanten von Melun, versetzte den Kommandeur und den Stabs¬
offizier des achtzehnten Dragonerregiments und eine größere Anzahl der jüngern
Offiziere.

Betrachtet mau diese drei Episoden von Se. Cyr, Fontainebleau und
Melun, so kann man daraus entnehmen, daß der Kriegsminister Andre nicht
einverstanden ist mit dem in gewissen Militärschulen und einzelnen Regimentern
herrschenden aristokratisch und klerikal gefärbten Geist, und daß er entschlossen
ist, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Diese Wahrnehmung findet noch
durch verschiedne andre Maßnahmen, die der Minister in der letzten Zeit ge¬
troffen hat, ihre Bestätigung, Maßnahmen, die unzweifelhaft den doppelten
Zweck verfolgen, die Offizierkorps zu demokratisieren und andrerseits die
Machtvollkommenheit des Ministers möglichst zu erweitern und von andern
Einflüssen unabhängig zu machen. Nur einige wenige dieser im Laufe eines
halben Jahres erlassenen Verordnungen seien hier kurz erwähnt, weil sie zur
Charakterisierung der Persönlichkeit und der Bestrebungen des Ministers bei¬
tragen. Es war bisher Sitte, daß die Generale, namentlich bei ihrer Verab¬
schiedung, Tagesbefehle um ihre Truppe erließen, in denen sie oft auch die
von höhern Stellen erlassenen Befehle zum Gegenstand der Besprechung machten.
Diese Art des Verkehrs der Generale mit der Truppe untersagt der Minister
unter Bezugnahme auf eine Verordnung vom Jahre 1819. Die nächste Ver¬
anlassung hierzu dürfte Wohl der Tagesbefehl gewesen sein, den der oben er¬
wähnte General Perboyre, der Kommandant von Fontainebleau, bei seiner
Verabschiedung erließ.

Eine andre, tief in das Privatleben der Offiziere eingreifende Maßregel
ist die Verordnung über die Verheiratung der Offiziere. Bis jetzt konnte der
Offizier die Erlaubnis zur Verehelichung nur erhalten, wenn die Braut eine
jährliche Zulage oder Rente mindestens von 1200 Franken nachweisen konnte.
Wenn der Minister in seinem Dekret vom 1. Oktober für die Streichung dieser
Bestimmung anführt, daß die Gründe, "die früher hierfür obgewaltet Hütten,
jetzt nicht mehr vorliegen," so entnimmt man doch den Äußerungen der fran¬
zösischen Presse, daß das leitende Motiv das war, die Ausnahmestellung des
Offiziers und seiner künftigen Gattin -- insofern als sie nur aus wohlhabenden
Ständen gewählt werden konnte -- zu beseitigen. Die militärische Presse und
namentlich ^rauve iniliwirc; behandelt diese Verfügung eingehend, kann sie
aber nicht gutheißen, sondern beantragt vielmehr, daß die zu verlangende Rente
oder Kaution höher bemessen werde, und zwar mindestens ans 2000 Franken,
und daß von jeder Einnahme, die die Frau aus irgend einem Berufe, z. B.
als Ärztin, Advokatin oder dergl., beziehn könnte, abgesehen werde. "Nicht
ein einziger Offizier, schreibt ?rg,ve,<z mikils-iro, darf zugeben, daß seine Frau
fortfährt, ihren bisherigen Beruf auszuüben, und wenn er noch so einträglich
gewesen ist." Wenn die Existenz der Offizierfamilie hiervon abhinge, so sei


die Partei des Rittmeisters ergriffen hatten, von ihren Kameraden „geschnitten"
würden, und daß hieraus eine größere Anzahl von Duellen entstand, so ver¬
setzte er den General Briois, Kommandeur der siebenten Kavalleriedivision und
Platzkommandanten von Melun, versetzte den Kommandeur und den Stabs¬
offizier des achtzehnten Dragonerregiments und eine größere Anzahl der jüngern
Offiziere.

Betrachtet mau diese drei Episoden von Se. Cyr, Fontainebleau und
Melun, so kann man daraus entnehmen, daß der Kriegsminister Andre nicht
einverstanden ist mit dem in gewissen Militärschulen und einzelnen Regimentern
herrschenden aristokratisch und klerikal gefärbten Geist, und daß er entschlossen
ist, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Diese Wahrnehmung findet noch
durch verschiedne andre Maßnahmen, die der Minister in der letzten Zeit ge¬
troffen hat, ihre Bestätigung, Maßnahmen, die unzweifelhaft den doppelten
Zweck verfolgen, die Offizierkorps zu demokratisieren und andrerseits die
Machtvollkommenheit des Ministers möglichst zu erweitern und von andern
Einflüssen unabhängig zu machen. Nur einige wenige dieser im Laufe eines
halben Jahres erlassenen Verordnungen seien hier kurz erwähnt, weil sie zur
Charakterisierung der Persönlichkeit und der Bestrebungen des Ministers bei¬
tragen. Es war bisher Sitte, daß die Generale, namentlich bei ihrer Verab¬
schiedung, Tagesbefehle um ihre Truppe erließen, in denen sie oft auch die
von höhern Stellen erlassenen Befehle zum Gegenstand der Besprechung machten.
Diese Art des Verkehrs der Generale mit der Truppe untersagt der Minister
unter Bezugnahme auf eine Verordnung vom Jahre 1819. Die nächste Ver¬
anlassung hierzu dürfte Wohl der Tagesbefehl gewesen sein, den der oben er¬
wähnte General Perboyre, der Kommandant von Fontainebleau, bei seiner
Verabschiedung erließ.

Eine andre, tief in das Privatleben der Offiziere eingreifende Maßregel
ist die Verordnung über die Verheiratung der Offiziere. Bis jetzt konnte der
Offizier die Erlaubnis zur Verehelichung nur erhalten, wenn die Braut eine
jährliche Zulage oder Rente mindestens von 1200 Franken nachweisen konnte.
Wenn der Minister in seinem Dekret vom 1. Oktober für die Streichung dieser
Bestimmung anführt, daß die Gründe, „die früher hierfür obgewaltet Hütten,
jetzt nicht mehr vorliegen," so entnimmt man doch den Äußerungen der fran¬
zösischen Presse, daß das leitende Motiv das war, die Ausnahmestellung des
Offiziers und seiner künftigen Gattin — insofern als sie nur aus wohlhabenden
Ständen gewählt werden konnte -- zu beseitigen. Die militärische Presse und
namentlich ^rauve iniliwirc; behandelt diese Verfügung eingehend, kann sie
aber nicht gutheißen, sondern beantragt vielmehr, daß die zu verlangende Rente
oder Kaution höher bemessen werde, und zwar mindestens ans 2000 Franken,
und daß von jeder Einnahme, die die Frau aus irgend einem Berufe, z. B.
als Ärztin, Advokatin oder dergl., beziehn könnte, abgesehen werde. „Nicht
ein einziger Offizier, schreibt ?rg,ve,<z mikils-iro, darf zugeben, daß seine Frau
fortfährt, ihren bisherigen Beruf auszuüben, und wenn er noch so einträglich
gewesen ist." Wenn die Existenz der Offizierfamilie hiervon abhinge, so sei


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[0127] die Partei des Rittmeisters ergriffen hatten, von ihren Kameraden „geschnitten" würden, und daß hieraus eine größere Anzahl von Duellen entstand, so ver¬ setzte er den General Briois, Kommandeur der siebenten Kavalleriedivision und Platzkommandanten von Melun, versetzte den Kommandeur und den Stabs¬ offizier des achtzehnten Dragonerregiments und eine größere Anzahl der jüngern Offiziere. Betrachtet mau diese drei Episoden von Se. Cyr, Fontainebleau und Melun, so kann man daraus entnehmen, daß der Kriegsminister Andre nicht einverstanden ist mit dem in gewissen Militärschulen und einzelnen Regimentern herrschenden aristokratisch und klerikal gefärbten Geist, und daß er entschlossen ist, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Diese Wahrnehmung findet noch durch verschiedne andre Maßnahmen, die der Minister in der letzten Zeit ge¬ troffen hat, ihre Bestätigung, Maßnahmen, die unzweifelhaft den doppelten Zweck verfolgen, die Offizierkorps zu demokratisieren und andrerseits die Machtvollkommenheit des Ministers möglichst zu erweitern und von andern Einflüssen unabhängig zu machen. Nur einige wenige dieser im Laufe eines halben Jahres erlassenen Verordnungen seien hier kurz erwähnt, weil sie zur Charakterisierung der Persönlichkeit und der Bestrebungen des Ministers bei¬ tragen. Es war bisher Sitte, daß die Generale, namentlich bei ihrer Verab¬ schiedung, Tagesbefehle um ihre Truppe erließen, in denen sie oft auch die von höhern Stellen erlassenen Befehle zum Gegenstand der Besprechung machten. Diese Art des Verkehrs der Generale mit der Truppe untersagt der Minister unter Bezugnahme auf eine Verordnung vom Jahre 1819. Die nächste Ver¬ anlassung hierzu dürfte Wohl der Tagesbefehl gewesen sein, den der oben er¬ wähnte General Perboyre, der Kommandant von Fontainebleau, bei seiner Verabschiedung erließ. Eine andre, tief in das Privatleben der Offiziere eingreifende Maßregel ist die Verordnung über die Verheiratung der Offiziere. Bis jetzt konnte der Offizier die Erlaubnis zur Verehelichung nur erhalten, wenn die Braut eine jährliche Zulage oder Rente mindestens von 1200 Franken nachweisen konnte. Wenn der Minister in seinem Dekret vom 1. Oktober für die Streichung dieser Bestimmung anführt, daß die Gründe, „die früher hierfür obgewaltet Hütten, jetzt nicht mehr vorliegen," so entnimmt man doch den Äußerungen der fran¬ zösischen Presse, daß das leitende Motiv das war, die Ausnahmestellung des Offiziers und seiner künftigen Gattin — insofern als sie nur aus wohlhabenden Ständen gewählt werden konnte -- zu beseitigen. Die militärische Presse und namentlich ^rauve iniliwirc; behandelt diese Verfügung eingehend, kann sie aber nicht gutheißen, sondern beantragt vielmehr, daß die zu verlangende Rente oder Kaution höher bemessen werde, und zwar mindestens ans 2000 Franken, und daß von jeder Einnahme, die die Frau aus irgend einem Berufe, z. B. als Ärztin, Advokatin oder dergl., beziehn könnte, abgesehen werde. „Nicht ein einziger Offizier, schreibt ?rg,ve,<z mikils-iro, darf zugeben, daß seine Frau fortfährt, ihren bisherigen Beruf auszuüben, und wenn er noch so einträglich gewesen ist." Wenn die Existenz der Offizierfamilie hiervon abhinge, so sei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/127>, abgerufen am 24.07.2024.