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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posoncr Schulstreit

zeugender Weise dargethan. Schink weist darin nach, daß zu einem erfolg¬
reichen Unterricht auf feiten der Kinder die Kenntnis einer großen Zahl von
Begriffen, namentlich abstrakten Begriffen, erforderlich ist, die die polnischen
Kinder bei dem Eintritt in die Schule ebenso wenig wie die deutschen Kinder
von dem durchschnittlichen Bildungsstande der Volksschüler fertig mitbringen,
sondern sich erst im Schulunterricht erwerben müssen. Diese Aufgabe fällt aber
dem gesamten Unterricht und namentlich den Übungen im Sprechen, Lesen,
Schreiben zu und könnte vom Religionsunterricht allein gnr nicht geleistet
werden. Da der gesamte Unterricht in deutscher Sprache erteilt wird, so eignen
sich die Kinder die Begriffe, mit denen der Religionsunterricht zu arbeiten hat,
auch in dieser Sprache an. Alles denkende Entwickeln sind die.Kinder in
deutscher Sprache auszuführen gewöhnt. Darum kann mich nur sie für die
Religion das richtige Unterrichtsmittel sein. Diese Beweisführung findet in
der Erfahrung ihre Bestätigung. Will man also, daß die Religionslehren nicht
bloß auswendig gelernt, sondern auch innerlich erfaßt werdeu, so muß man
den polnischen Kindern, wie allen übrigen Unterricht, so auch den Religions¬
unterricht in der deutschen Sprache erteilen. Wenigstens auf der Mittel- und
Oberstufe. Und die Unterstufe? Nun, hier muß sich der Religionsunterricht,
auch wenn er in der Muttersprache erteilt wird, zum großen Teile auf ge¬
dächtnismäßige Einprägung von Geschichten, Gebeten, Geboten und andern
Stücken der Katechismnstabelle beschränken, für die das Verständnis erst in
spätern Jahren erschlossen werden kann. Daß Gott die Welt und die Menschen
erschaffen, daß Adam und Eva den Apfel gegessen und damit Gott erzürnt
haben, davon läßt sich auch den Kleinen, wenn sie erst einige Wochen in der
Schule sind, soviel zum Verständnis bringen, wie für den Anfang nötig ist.
Und was die Katechismnsstücke betrifft, so ist es besser, sie sprechen sie deutsch
richtig, wenn auch ohne Verständnis, als daß sie sie in der Muttersprache
ebenso verständnislos, aber mit all den Fehlern herleiern, die sie beim nach¬
sprechen im Elternhause angelernt haben, und deren Ausrottung zu den aller-
mühsamsten und undankbarsten Aufgaben der Schule gehört. Mithin wäre es
für die Kinder polnischer Zunge auch kein Unglück, wenn sie den Religions¬
unterricht von unter auf in deutscher Sprache erhielten.

Einstweilen wird das noch nicht verlangt, nud von dein Verhalten der
Polen wird es abhängen, ob und wann sich die Regierung zu dieser Ma߬
regel gedrängt sehen wird. Bis zur Stunde entbehrt die Anklage, daß durch
den deutschen Unterricht die religiöse Bildung der Kinder leide, jeder Be¬
rechtigung. Und dennoch hält es die ultramontane Presse für passend, mit
Gegenmnßregeln des erzbischöflichen Stuhles zu drohn. Was will die Regie¬
rung thun, fragt sie, wenn der Erzbischof den Lehrern die misÄo vancmicÄ
entzieht und seine Geistlichen anweist, den Religionsunterricht selber in pol¬
nischer Sprache in den Kirchen zu erteilen? Nun, vor der Hand liegt für
Herrn von Stablewski zu einem so gefährlichen Schritte noch kein Anlaß vor,
und er wird sich im Interesse der Kirche lange besinnen, bevor er sich in so


Der Posoncr Schulstreit

zeugender Weise dargethan. Schink weist darin nach, daß zu einem erfolg¬
reichen Unterricht auf feiten der Kinder die Kenntnis einer großen Zahl von
Begriffen, namentlich abstrakten Begriffen, erforderlich ist, die die polnischen
Kinder bei dem Eintritt in die Schule ebenso wenig wie die deutschen Kinder
von dem durchschnittlichen Bildungsstande der Volksschüler fertig mitbringen,
sondern sich erst im Schulunterricht erwerben müssen. Diese Aufgabe fällt aber
dem gesamten Unterricht und namentlich den Übungen im Sprechen, Lesen,
Schreiben zu und könnte vom Religionsunterricht allein gnr nicht geleistet
werden. Da der gesamte Unterricht in deutscher Sprache erteilt wird, so eignen
sich die Kinder die Begriffe, mit denen der Religionsunterricht zu arbeiten hat,
auch in dieser Sprache an. Alles denkende Entwickeln sind die.Kinder in
deutscher Sprache auszuführen gewöhnt. Darum kann mich nur sie für die
Religion das richtige Unterrichtsmittel sein. Diese Beweisführung findet in
der Erfahrung ihre Bestätigung. Will man also, daß die Religionslehren nicht
bloß auswendig gelernt, sondern auch innerlich erfaßt werdeu, so muß man
den polnischen Kindern, wie allen übrigen Unterricht, so auch den Religions¬
unterricht in der deutschen Sprache erteilen. Wenigstens auf der Mittel- und
Oberstufe. Und die Unterstufe? Nun, hier muß sich der Religionsunterricht,
auch wenn er in der Muttersprache erteilt wird, zum großen Teile auf ge¬
dächtnismäßige Einprägung von Geschichten, Gebeten, Geboten und andern
Stücken der Katechismnstabelle beschränken, für die das Verständnis erst in
spätern Jahren erschlossen werden kann. Daß Gott die Welt und die Menschen
erschaffen, daß Adam und Eva den Apfel gegessen und damit Gott erzürnt
haben, davon läßt sich auch den Kleinen, wenn sie erst einige Wochen in der
Schule sind, soviel zum Verständnis bringen, wie für den Anfang nötig ist.
Und was die Katechismnsstücke betrifft, so ist es besser, sie sprechen sie deutsch
richtig, wenn auch ohne Verständnis, als daß sie sie in der Muttersprache
ebenso verständnislos, aber mit all den Fehlern herleiern, die sie beim nach¬
sprechen im Elternhause angelernt haben, und deren Ausrottung zu den aller-
mühsamsten und undankbarsten Aufgaben der Schule gehört. Mithin wäre es
für die Kinder polnischer Zunge auch kein Unglück, wenn sie den Religions¬
unterricht von unter auf in deutscher Sprache erhielten.

Einstweilen wird das noch nicht verlangt, nud von dein Verhalten der
Polen wird es abhängen, ob und wann sich die Regierung zu dieser Ma߬
regel gedrängt sehen wird. Bis zur Stunde entbehrt die Anklage, daß durch
den deutschen Unterricht die religiöse Bildung der Kinder leide, jeder Be¬
rechtigung. Und dennoch hält es die ultramontane Presse für passend, mit
Gegenmnßregeln des erzbischöflichen Stuhles zu drohn. Was will die Regie¬
rung thun, fragt sie, wenn der Erzbischof den Lehrern die misÄo vancmicÄ
entzieht und seine Geistlichen anweist, den Religionsunterricht selber in pol¬
nischer Sprache in den Kirchen zu erteilen? Nun, vor der Hand liegt für
Herrn von Stablewski zu einem so gefährlichen Schritte noch kein Anlaß vor,
und er wird sich im Interesse der Kirche lange besinnen, bevor er sich in so


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[0089] Der Posoncr Schulstreit zeugender Weise dargethan. Schink weist darin nach, daß zu einem erfolg¬ reichen Unterricht auf feiten der Kinder die Kenntnis einer großen Zahl von Begriffen, namentlich abstrakten Begriffen, erforderlich ist, die die polnischen Kinder bei dem Eintritt in die Schule ebenso wenig wie die deutschen Kinder von dem durchschnittlichen Bildungsstande der Volksschüler fertig mitbringen, sondern sich erst im Schulunterricht erwerben müssen. Diese Aufgabe fällt aber dem gesamten Unterricht und namentlich den Übungen im Sprechen, Lesen, Schreiben zu und könnte vom Religionsunterricht allein gnr nicht geleistet werden. Da der gesamte Unterricht in deutscher Sprache erteilt wird, so eignen sich die Kinder die Begriffe, mit denen der Religionsunterricht zu arbeiten hat, auch in dieser Sprache an. Alles denkende Entwickeln sind die.Kinder in deutscher Sprache auszuführen gewöhnt. Darum kann mich nur sie für die Religion das richtige Unterrichtsmittel sein. Diese Beweisführung findet in der Erfahrung ihre Bestätigung. Will man also, daß die Religionslehren nicht bloß auswendig gelernt, sondern auch innerlich erfaßt werdeu, so muß man den polnischen Kindern, wie allen übrigen Unterricht, so auch den Religions¬ unterricht in der deutschen Sprache erteilen. Wenigstens auf der Mittel- und Oberstufe. Und die Unterstufe? Nun, hier muß sich der Religionsunterricht, auch wenn er in der Muttersprache erteilt wird, zum großen Teile auf ge¬ dächtnismäßige Einprägung von Geschichten, Gebeten, Geboten und andern Stücken der Katechismnstabelle beschränken, für die das Verständnis erst in spätern Jahren erschlossen werden kann. Daß Gott die Welt und die Menschen erschaffen, daß Adam und Eva den Apfel gegessen und damit Gott erzürnt haben, davon läßt sich auch den Kleinen, wenn sie erst einige Wochen in der Schule sind, soviel zum Verständnis bringen, wie für den Anfang nötig ist. Und was die Katechismnsstücke betrifft, so ist es besser, sie sprechen sie deutsch richtig, wenn auch ohne Verständnis, als daß sie sie in der Muttersprache ebenso verständnislos, aber mit all den Fehlern herleiern, die sie beim nach¬ sprechen im Elternhause angelernt haben, und deren Ausrottung zu den aller- mühsamsten und undankbarsten Aufgaben der Schule gehört. Mithin wäre es für die Kinder polnischer Zunge auch kein Unglück, wenn sie den Religions¬ unterricht von unter auf in deutscher Sprache erhielten. Einstweilen wird das noch nicht verlangt, nud von dein Verhalten der Polen wird es abhängen, ob und wann sich die Regierung zu dieser Ma߬ regel gedrängt sehen wird. Bis zur Stunde entbehrt die Anklage, daß durch den deutschen Unterricht die religiöse Bildung der Kinder leide, jeder Be¬ rechtigung. Und dennoch hält es die ultramontane Presse für passend, mit Gegenmnßregeln des erzbischöflichen Stuhles zu drohn. Was will die Regie¬ rung thun, fragt sie, wenn der Erzbischof den Lehrern die misÄo vancmicÄ entzieht und seine Geistlichen anweist, den Religionsunterricht selber in pol¬ nischer Sprache in den Kirchen zu erteilen? Nun, vor der Hand liegt für Herrn von Stablewski zu einem so gefährlichen Schritte noch kein Anlaß vor, und er wird sich im Interesse der Kirche lange besinnen, bevor er sich in so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/89>, abgerufen am 26.06.2024.