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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der posener Schnlstreit

von der Erbauung einer eignen Kirche wie von der Ansehung eines eignen deutschen
Pfarrers Abstand. Man hoffte den deutschen Siedlern auch ohne das deutsche
Seelsorge verschaffen zu können. Deutsche Gottesdienste wurden in der That
abgehalten, aber der deutsche Kirchengesang wurde den deutschen Bauern vorent¬
halten, und ihre Beschwerden hierüber hatte" keinen Erfolg. Die Kirchensprache
ist nun einmal polnisch, sagte der Erzbischof von Stablewski achselzuckend,
daran ist nichts zu ändern, und die armen deutschen Bauern mußten es sich
gefallen lassen. Sollte da die Regierung nicht sagen dürfen: die Schulsprache
ist nun einmal deutsch, und vou den polnischen Kindern verlangen, daß sie in
der Schule alles deutsch lernen, auch die Religion? Entweder muß die Geist¬
lichkeit nach ihrem eiguen Verhalten gegen die Deutschen anerkennen, daß es
der religiösen Bildung nichts schadet, wenn der Religionsunterricht uicht in
der Muttersprache erteilt wird, und dann sind alle Klagen über den polnischen
Unterricht nichts als Heuchelei -- oder die religiöse Ausbildung kommt bei
dem Unterricht in der fremden Sprache in der That zu kurz, und dann
hat sich die katholische Kirche in Posen an ihren deutscheu Gliedern auf das
unverantwortlichste vergangen und bekundet, daß es ihr in erster Linie nicht
ans die Religion, nicht auf Christianisierung, sondern ans die Sprache, auf
Polonisierung ankommt, und dann ist alles Geschrei über die Maßnahmen der
Unterrichtsverwaltung erst recht Heuchelei.

Also Heuchelei in jedem Falle. Und so ist es in der That. Wer die
Art kennt, wie die katholischen Geistlichen im Posenschen den Religionsunter¬
richt in der Schule betrieben wissen wollen, der muß schon der Forderung,
daß die Kinder den Inhalt des Religionsunterrichts verstehn sollen, mit Mi߬
trauen begegnen. Der Geistliche verlangt nur, daß die Kinder die biblischen
Geschichten erzählen und die Gebote und die Stücke des sogenannten allge¬
meinen Katechismus, sowie die Antworten des besondern Teils schlagfertig
hersagen können, wie sie im Buche stehn. Aber wenn ein Lehrer es unter¬
nimmt, den Kindern von dem Inhalte der Fragen und Antworten und vou
der Bedeutung der Gebete und sonstigen Memorierstücke ein tieferes Verständnis
zu geben, dann erntet er keinen Dank. Die Erklärung soll dem Katechumenen-
unterrichte vorbehalten bleiben. Nur auf gedächtnismäßige Aneignung des
Stoffes hat der Religionsunterricht der Schule Bedacht zu nehmen, der ödeste
Verbalismus ist seine Signatur. Ob nun die Kiuder das Gelernte in
deutscher oder in polnischer Sprache uicht verstehn, das ist doch wohl ganz
gleichgültig.

Wem es aber ernstlich darauf ankommt, daß vou dem Gelernten etwas
verstanden wird, daß der Unterricht nicht nur das Gedächtnis mit totem Wvrt-
krcnn belaste, sondern das Gemüt erfasse und den Verstand beschäftige, der
muß erst recht die deutsche Unterrichtssprache fordern. Das hat im Jahre
1893 ein Breslauer Lehrer Namens Schink in einer Broschüre unter dem
Titel: "Ob die polnischen Schüler in den preußischen Schulen den Religions¬
unterricht in deutscher oder polnischer Sprache erhalten sollen?" in über-


Der posener Schnlstreit

von der Erbauung einer eignen Kirche wie von der Ansehung eines eignen deutschen
Pfarrers Abstand. Man hoffte den deutschen Siedlern auch ohne das deutsche
Seelsorge verschaffen zu können. Deutsche Gottesdienste wurden in der That
abgehalten, aber der deutsche Kirchengesang wurde den deutschen Bauern vorent¬
halten, und ihre Beschwerden hierüber hatte» keinen Erfolg. Die Kirchensprache
ist nun einmal polnisch, sagte der Erzbischof von Stablewski achselzuckend,
daran ist nichts zu ändern, und die armen deutschen Bauern mußten es sich
gefallen lassen. Sollte da die Regierung nicht sagen dürfen: die Schulsprache
ist nun einmal deutsch, und vou den polnischen Kindern verlangen, daß sie in
der Schule alles deutsch lernen, auch die Religion? Entweder muß die Geist¬
lichkeit nach ihrem eiguen Verhalten gegen die Deutschen anerkennen, daß es
der religiösen Bildung nichts schadet, wenn der Religionsunterricht uicht in
der Muttersprache erteilt wird, und dann sind alle Klagen über den polnischen
Unterricht nichts als Heuchelei — oder die religiöse Ausbildung kommt bei
dem Unterricht in der fremden Sprache in der That zu kurz, und dann
hat sich die katholische Kirche in Posen an ihren deutscheu Gliedern auf das
unverantwortlichste vergangen und bekundet, daß es ihr in erster Linie nicht
ans die Religion, nicht auf Christianisierung, sondern ans die Sprache, auf
Polonisierung ankommt, und dann ist alles Geschrei über die Maßnahmen der
Unterrichtsverwaltung erst recht Heuchelei.

Also Heuchelei in jedem Falle. Und so ist es in der That. Wer die
Art kennt, wie die katholischen Geistlichen im Posenschen den Religionsunter¬
richt in der Schule betrieben wissen wollen, der muß schon der Forderung,
daß die Kinder den Inhalt des Religionsunterrichts verstehn sollen, mit Mi߬
trauen begegnen. Der Geistliche verlangt nur, daß die Kinder die biblischen
Geschichten erzählen und die Gebote und die Stücke des sogenannten allge¬
meinen Katechismus, sowie die Antworten des besondern Teils schlagfertig
hersagen können, wie sie im Buche stehn. Aber wenn ein Lehrer es unter¬
nimmt, den Kindern von dem Inhalte der Fragen und Antworten und vou
der Bedeutung der Gebete und sonstigen Memorierstücke ein tieferes Verständnis
zu geben, dann erntet er keinen Dank. Die Erklärung soll dem Katechumenen-
unterrichte vorbehalten bleiben. Nur auf gedächtnismäßige Aneignung des
Stoffes hat der Religionsunterricht der Schule Bedacht zu nehmen, der ödeste
Verbalismus ist seine Signatur. Ob nun die Kiuder das Gelernte in
deutscher oder in polnischer Sprache uicht verstehn, das ist doch wohl ganz
gleichgültig.

Wem es aber ernstlich darauf ankommt, daß vou dem Gelernten etwas
verstanden wird, daß der Unterricht nicht nur das Gedächtnis mit totem Wvrt-
krcnn belaste, sondern das Gemüt erfasse und den Verstand beschäftige, der
muß erst recht die deutsche Unterrichtssprache fordern. Das hat im Jahre
1893 ein Breslauer Lehrer Namens Schink in einer Broschüre unter dem
Titel: „Ob die polnischen Schüler in den preußischen Schulen den Religions¬
unterricht in deutscher oder polnischer Sprache erhalten sollen?" in über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/88>, abgerufen am 26.06.2024.