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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Religion in der Schule

Artikeln, in denen die Schule und besonders ihr Religionsunterricht schlechthin
für alle Übelstünde im weiten Vaterland verantwortlich gemacht wurde. Be¬
hutsamer ging natürlich die Kirchenkonfereuz vor. Nach einer Verbeugung vor
den "maßgebenden Stellen" fand sie die Leistungen des Religionsunterrichts
"im allgemeinen befriedigend." Die wünschenswerte Steigerung dieses Prä¬
dikats auf "gut" oder gar "sehr gut" versprach sie sich von einem möglichst
weiten Einfluß der kirchlichen Behörden auf die Gestaltung des Religions¬
unterrichts. Darum forderte sie: 1. daß die kirchenregimentlichen Behörden
vor der Auswahl der den Religionsunterricht erteilenden Lehrer gehört werden;
2. daß die kirchein-egimentlichen Behörden bei der Auswahl der für den
Religionsunterricht bestimmten Lehrbücher mitwirken; 3. daß beauftragte Mit¬
glieder der kircheilregimentlichcn Behörden, Generalsuperintendenten, Ober¬
kirchenräte usw. durch regelmäßige Visitationen Kenntnis von dem Stande des
Religionsunterrichts nehmen.

Das geht über das in Preußen bekanntlich den kirchlichen Behörden schon
zustehende Visitationsrecht hinnus, und es ist traurig, daß der Protest der
deutschen Religionslehrer nicht prompter, einstimmiger und entschicdner erfolgte,
als es geschehn ist.

Nicht genug: von liberaler Seite kam der schroffste Angriff. Pfarrer
Arthur Borns sprach in der "Christlichen Welt" (Ur. 32, 1900) den "bren¬
nenden Wunsch" aus, "daß man ein Einsehen haben und die Religion ans
der Schule nehmen möchte -- heute lieber als morgen .... aus demselben
Grunde -- so schreibt er --, aus dem ich für alles, was mir lieb und wert
ist, flehende Hände aufhebe: Thut alles damit, nur bringt es nicht in die
Schule!"

Bouus eifert gegen die "approbierte pädagogische Methode," die er für
den "Schnlekel" verantwortlich macht. Er läßt auch uicht zweifelhaft, daß er
darunter die Herbart-Zillerschen Regeln versteht. So weit hat uns also das
Klappern der Lehrhandwerker schon gebracht, daß man sie für die Beherrscher
der Schule hält, als hätte Oskar Jäger sein Buch in den Wind geschrieben.
Es scheint an der Zeit, daß die Lehrer, die nicht mitthun bei dem neuern
Methodenunfug, ihr Schweigen brechen und auch von ihrer Art und
Arbeit berichten, damit die Schule nicht unter ungerechten Beurteilungen zu
leiden habe.

Unter jenen Eindrücken und aus diesen Erwägungen heraus ist der Vortrag
erwachsen, den ich folgen lasse, im wesentlichen so, wie ich ihn anfangs Oktober
dieses Jahres in Eisenach vor den "Freunden der Christlichen Welt" gehalten
habe. Die apologetische Absicht durfte natürlich die rückhaltlose Besprechung
thatsächlicher Mißstünde nicht ausschließen. --

Wer den Wert des Religionsunterrichts nach dem Grade kirchlichen Sinnes
oder auch nur positiver Religiosität der Abiturienten bemißt, wird mit den
Leistungen der Schule immer unzufrieden sein. Diese Ziele kann sie sich gar
nicht setzen. Religion als eignes Empfinden des Schülers kann nicht Gegen¬
stand eines besondern Unterrichts sein, ebensowenig wie das Ehr- und Pflicht¬
gefühl oder der Patriotismus. Wohl mag die Schule sehr vieles bieten, woran


Religion in der Schule

Artikeln, in denen die Schule und besonders ihr Religionsunterricht schlechthin
für alle Übelstünde im weiten Vaterland verantwortlich gemacht wurde. Be¬
hutsamer ging natürlich die Kirchenkonfereuz vor. Nach einer Verbeugung vor
den „maßgebenden Stellen" fand sie die Leistungen des Religionsunterrichts
„im allgemeinen befriedigend." Die wünschenswerte Steigerung dieses Prä¬
dikats auf „gut" oder gar „sehr gut" versprach sie sich von einem möglichst
weiten Einfluß der kirchlichen Behörden auf die Gestaltung des Religions¬
unterrichts. Darum forderte sie: 1. daß die kirchenregimentlichen Behörden
vor der Auswahl der den Religionsunterricht erteilenden Lehrer gehört werden;
2. daß die kirchein-egimentlichen Behörden bei der Auswahl der für den
Religionsunterricht bestimmten Lehrbücher mitwirken; 3. daß beauftragte Mit¬
glieder der kircheilregimentlichcn Behörden, Generalsuperintendenten, Ober¬
kirchenräte usw. durch regelmäßige Visitationen Kenntnis von dem Stande des
Religionsunterrichts nehmen.

Das geht über das in Preußen bekanntlich den kirchlichen Behörden schon
zustehende Visitationsrecht hinnus, und es ist traurig, daß der Protest der
deutschen Religionslehrer nicht prompter, einstimmiger und entschicdner erfolgte,
als es geschehn ist.

Nicht genug: von liberaler Seite kam der schroffste Angriff. Pfarrer
Arthur Borns sprach in der „Christlichen Welt" (Ur. 32, 1900) den „bren¬
nenden Wunsch" aus, „daß man ein Einsehen haben und die Religion ans
der Schule nehmen möchte — heute lieber als morgen .... aus demselben
Grunde — so schreibt er —, aus dem ich für alles, was mir lieb und wert
ist, flehende Hände aufhebe: Thut alles damit, nur bringt es nicht in die
Schule!"

Bouus eifert gegen die „approbierte pädagogische Methode," die er für
den „Schnlekel" verantwortlich macht. Er läßt auch uicht zweifelhaft, daß er
darunter die Herbart-Zillerschen Regeln versteht. So weit hat uns also das
Klappern der Lehrhandwerker schon gebracht, daß man sie für die Beherrscher
der Schule hält, als hätte Oskar Jäger sein Buch in den Wind geschrieben.
Es scheint an der Zeit, daß die Lehrer, die nicht mitthun bei dem neuern
Methodenunfug, ihr Schweigen brechen und auch von ihrer Art und
Arbeit berichten, damit die Schule nicht unter ungerechten Beurteilungen zu
leiden habe.

Unter jenen Eindrücken und aus diesen Erwägungen heraus ist der Vortrag
erwachsen, den ich folgen lasse, im wesentlichen so, wie ich ihn anfangs Oktober
dieses Jahres in Eisenach vor den „Freunden der Christlichen Welt" gehalten
habe. Die apologetische Absicht durfte natürlich die rückhaltlose Besprechung
thatsächlicher Mißstünde nicht ausschließen. —

Wer den Wert des Religionsunterrichts nach dem Grade kirchlichen Sinnes
oder auch nur positiver Religiosität der Abiturienten bemißt, wird mit den
Leistungen der Schule immer unzufrieden sein. Diese Ziele kann sie sich gar
nicht setzen. Religion als eignes Empfinden des Schülers kann nicht Gegen¬
stand eines besondern Unterrichts sein, ebensowenig wie das Ehr- und Pflicht¬
gefühl oder der Patriotismus. Wohl mag die Schule sehr vieles bieten, woran


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[0617] Religion in der Schule Artikeln, in denen die Schule und besonders ihr Religionsunterricht schlechthin für alle Übelstünde im weiten Vaterland verantwortlich gemacht wurde. Be¬ hutsamer ging natürlich die Kirchenkonfereuz vor. Nach einer Verbeugung vor den „maßgebenden Stellen" fand sie die Leistungen des Religionsunterrichts „im allgemeinen befriedigend." Die wünschenswerte Steigerung dieses Prä¬ dikats auf „gut" oder gar „sehr gut" versprach sie sich von einem möglichst weiten Einfluß der kirchlichen Behörden auf die Gestaltung des Religions¬ unterrichts. Darum forderte sie: 1. daß die kirchenregimentlichen Behörden vor der Auswahl der den Religionsunterricht erteilenden Lehrer gehört werden; 2. daß die kirchein-egimentlichen Behörden bei der Auswahl der für den Religionsunterricht bestimmten Lehrbücher mitwirken; 3. daß beauftragte Mit¬ glieder der kircheilregimentlichcn Behörden, Generalsuperintendenten, Ober¬ kirchenräte usw. durch regelmäßige Visitationen Kenntnis von dem Stande des Religionsunterrichts nehmen. Das geht über das in Preußen bekanntlich den kirchlichen Behörden schon zustehende Visitationsrecht hinnus, und es ist traurig, daß der Protest der deutschen Religionslehrer nicht prompter, einstimmiger und entschicdner erfolgte, als es geschehn ist. Nicht genug: von liberaler Seite kam der schroffste Angriff. Pfarrer Arthur Borns sprach in der „Christlichen Welt" (Ur. 32, 1900) den „bren¬ nenden Wunsch" aus, „daß man ein Einsehen haben und die Religion ans der Schule nehmen möchte — heute lieber als morgen .... aus demselben Grunde — so schreibt er —, aus dem ich für alles, was mir lieb und wert ist, flehende Hände aufhebe: Thut alles damit, nur bringt es nicht in die Schule!" Bouus eifert gegen die „approbierte pädagogische Methode," die er für den „Schnlekel" verantwortlich macht. Er läßt auch uicht zweifelhaft, daß er darunter die Herbart-Zillerschen Regeln versteht. So weit hat uns also das Klappern der Lehrhandwerker schon gebracht, daß man sie für die Beherrscher der Schule hält, als hätte Oskar Jäger sein Buch in den Wind geschrieben. Es scheint an der Zeit, daß die Lehrer, die nicht mitthun bei dem neuern Methodenunfug, ihr Schweigen brechen und auch von ihrer Art und Arbeit berichten, damit die Schule nicht unter ungerechten Beurteilungen zu leiden habe. Unter jenen Eindrücken und aus diesen Erwägungen heraus ist der Vortrag erwachsen, den ich folgen lasse, im wesentlichen so, wie ich ihn anfangs Oktober dieses Jahres in Eisenach vor den „Freunden der Christlichen Welt" gehalten habe. Die apologetische Absicht durfte natürlich die rückhaltlose Besprechung thatsächlicher Mißstünde nicht ausschließen. — Wer den Wert des Religionsunterrichts nach dem Grade kirchlichen Sinnes oder auch nur positiver Religiosität der Abiturienten bemißt, wird mit den Leistungen der Schule immer unzufrieden sein. Diese Ziele kann sie sich gar nicht setzen. Religion als eignes Empfinden des Schülers kann nicht Gegen¬ stand eines besondern Unterrichts sein, ebensowenig wie das Ehr- und Pflicht¬ gefühl oder der Patriotismus. Wohl mag die Schule sehr vieles bieten, woran

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/617>, abgerufen am 29.06.2024.