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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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wie es heute bei den Regierungen in Preußen zugeht

beliebten persönlichen Regierungsmaxime, die zu ihrer wirklichen Ersprießlich¬
keit ideale, in Wirklichkeit nicht vorhandne Regierungspräsidenten mit Hilfs¬
kräften erfordert, wie sie auch nicht vorhanden sind. Aber, könnte man viel¬
leicht entgegnen, zum Schutz gegen Übergriffe oder unrichtige Entscheidungen
des Regierungspräsidenten genügen ja die nach dem Gesetz zulässigen Be¬
schwerde" und besonders die Klagen des neuen Verwaltungsstreitverfahrens,
Wir unterschätzen die Bedeutung dieser im Interesse der Rechtssicherheit ge¬
gebnen Kautelen keineswegs, aber man bedeute doch, wieviel Leute, die keine
Ahnung haben davon, wie die Verfügungen des Regierungspräsidenten ent-
stehn, und daß diese oft genug nur die Anschauung eines jungen Negierungs-
asfessors wiedergebe,,, sich ohne weiteres der Autorität eines so hohen Beamten
unterwerfen.

In der Prüsidialabteilung entscheidet also der Regierungspräsident ganz
nach eignem Ermessen. Wir müssen hier bemerken, daß man die Beseitigung
der frühern kollegialischer Verfassung dieser Abteilung damit zu begründen ver¬
sucht hat, daß die Gegenstände ihres Geschäftskreises, die eine kollegialische
Behandlung erheischten, auf den Bezirksausschuß übergegangen seien. Von der
Unrichtigkeit dieser Ansicht hat man sich jedoch längst überzeugt. Denn trotz
der Bezirksausschüsse haben die Geschäfte bei den Regierungen und ganz be¬
sonders bei der Präsidialabteilung qualitativ und quantitativ ganz bedeutend
zugenommen, und viele von ihnen wären der kollegialischer Behandlung sehr
bedürftig.

Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, daß abgesehen von der Prü¬
sidialabteilung die übrigen Regierungsabteilungen ihren kollegialischer Charakter
behalten haben. Nach dem Gesetz ist dies allerdings der Fall, aber sie werden
ihres kollegialischer Charakters immer mehr dadurch entkleidet, daß die sonst
regelmäßig jede Woche abgehaltnen Abteilungssitzungcn nnr noch selten statt¬
finden. Da der Regierungspräsident in der That die Zeit nicht mehr übrig
hat, wöchentlich mehreren Abteilungssitzungen beizuwohnen, so wird das "reiste
im Wege der Rücksprachen erledigt, bei denen schließlich seine Meinung mich
ausschlaggebend ist. Die Dirigenten der kollegialischer Abteilungen (Ober¬
regierungsräte), die sonst eigne Initiative hatten und bei Meinungsverschieden¬
heiten immer auf die Abstimmung des Kollegiums rekurrieren konnten, werden
so dem Regierungspräsidenten gegenüber völlig kalt gestellt und müssen all¬
mählich zur Bedeutungslosigkeit hinabsinken. Freilich für eine einflußreichere
Stellung der Oberregierungsräte scheint man höhern Orts nicht viel übrig zu
haben, und diese könnten sich doch zwischen die Regierungsräte und den Re¬
gierungspräsidenten zu recht nutzbringender Vermittlung einfügen. Der Re¬
gierungspräsident steht aber turmhoch auch über den Oberregierungsräten! Merk¬
würdig, sogar in der Zeit des ausgeprägtesten Absolutismus kannte man keinen
so selbstherrlichen Regierungspräsidenten, wie den heutigen. Die uralte, aber noch
heute in vielen Punkten giltige Regierungsiustruktion vom 23. Oktober 1817
sagt im Paragraphen 39: "Das Regierungspräsidium ist aus dem Präsidenten
und den beiden Direktoren -- so hießen damals die Abteilungsdirigenten --


wie es heute bei den Regierungen in Preußen zugeht

beliebten persönlichen Regierungsmaxime, die zu ihrer wirklichen Ersprießlich¬
keit ideale, in Wirklichkeit nicht vorhandne Regierungspräsidenten mit Hilfs¬
kräften erfordert, wie sie auch nicht vorhanden sind. Aber, könnte man viel¬
leicht entgegnen, zum Schutz gegen Übergriffe oder unrichtige Entscheidungen
des Regierungspräsidenten genügen ja die nach dem Gesetz zulässigen Be¬
schwerde» und besonders die Klagen des neuen Verwaltungsstreitverfahrens,
Wir unterschätzen die Bedeutung dieser im Interesse der Rechtssicherheit ge¬
gebnen Kautelen keineswegs, aber man bedeute doch, wieviel Leute, die keine
Ahnung haben davon, wie die Verfügungen des Regierungspräsidenten ent-
stehn, und daß diese oft genug nur die Anschauung eines jungen Negierungs-
asfessors wiedergebe,,, sich ohne weiteres der Autorität eines so hohen Beamten
unterwerfen.

In der Prüsidialabteilung entscheidet also der Regierungspräsident ganz
nach eignem Ermessen. Wir müssen hier bemerken, daß man die Beseitigung
der frühern kollegialischer Verfassung dieser Abteilung damit zu begründen ver¬
sucht hat, daß die Gegenstände ihres Geschäftskreises, die eine kollegialische
Behandlung erheischten, auf den Bezirksausschuß übergegangen seien. Von der
Unrichtigkeit dieser Ansicht hat man sich jedoch längst überzeugt. Denn trotz
der Bezirksausschüsse haben die Geschäfte bei den Regierungen und ganz be¬
sonders bei der Präsidialabteilung qualitativ und quantitativ ganz bedeutend
zugenommen, und viele von ihnen wären der kollegialischer Behandlung sehr
bedürftig.

Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, daß abgesehen von der Prü¬
sidialabteilung die übrigen Regierungsabteilungen ihren kollegialischer Charakter
behalten haben. Nach dem Gesetz ist dies allerdings der Fall, aber sie werden
ihres kollegialischer Charakters immer mehr dadurch entkleidet, daß die sonst
regelmäßig jede Woche abgehaltnen Abteilungssitzungcn nnr noch selten statt¬
finden. Da der Regierungspräsident in der That die Zeit nicht mehr übrig
hat, wöchentlich mehreren Abteilungssitzungen beizuwohnen, so wird das „reiste
im Wege der Rücksprachen erledigt, bei denen schließlich seine Meinung mich
ausschlaggebend ist. Die Dirigenten der kollegialischer Abteilungen (Ober¬
regierungsräte), die sonst eigne Initiative hatten und bei Meinungsverschieden¬
heiten immer auf die Abstimmung des Kollegiums rekurrieren konnten, werden
so dem Regierungspräsidenten gegenüber völlig kalt gestellt und müssen all¬
mählich zur Bedeutungslosigkeit hinabsinken. Freilich für eine einflußreichere
Stellung der Oberregierungsräte scheint man höhern Orts nicht viel übrig zu
haben, und diese könnten sich doch zwischen die Regierungsräte und den Re¬
gierungspräsidenten zu recht nutzbringender Vermittlung einfügen. Der Re¬
gierungspräsident steht aber turmhoch auch über den Oberregierungsräten! Merk¬
würdig, sogar in der Zeit des ausgeprägtesten Absolutismus kannte man keinen
so selbstherrlichen Regierungspräsidenten, wie den heutigen. Die uralte, aber noch
heute in vielen Punkten giltige Regierungsiustruktion vom 23. Oktober 1817
sagt im Paragraphen 39: „Das Regierungspräsidium ist aus dem Präsidenten
und den beiden Direktoren — so hießen damals die Abteilungsdirigenten —


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[0603] wie es heute bei den Regierungen in Preußen zugeht beliebten persönlichen Regierungsmaxime, die zu ihrer wirklichen Ersprießlich¬ keit ideale, in Wirklichkeit nicht vorhandne Regierungspräsidenten mit Hilfs¬ kräften erfordert, wie sie auch nicht vorhanden sind. Aber, könnte man viel¬ leicht entgegnen, zum Schutz gegen Übergriffe oder unrichtige Entscheidungen des Regierungspräsidenten genügen ja die nach dem Gesetz zulässigen Be¬ schwerde» und besonders die Klagen des neuen Verwaltungsstreitverfahrens, Wir unterschätzen die Bedeutung dieser im Interesse der Rechtssicherheit ge¬ gebnen Kautelen keineswegs, aber man bedeute doch, wieviel Leute, die keine Ahnung haben davon, wie die Verfügungen des Regierungspräsidenten ent- stehn, und daß diese oft genug nur die Anschauung eines jungen Negierungs- asfessors wiedergebe,,, sich ohne weiteres der Autorität eines so hohen Beamten unterwerfen. In der Prüsidialabteilung entscheidet also der Regierungspräsident ganz nach eignem Ermessen. Wir müssen hier bemerken, daß man die Beseitigung der frühern kollegialischer Verfassung dieser Abteilung damit zu begründen ver¬ sucht hat, daß die Gegenstände ihres Geschäftskreises, die eine kollegialische Behandlung erheischten, auf den Bezirksausschuß übergegangen seien. Von der Unrichtigkeit dieser Ansicht hat man sich jedoch längst überzeugt. Denn trotz der Bezirksausschüsse haben die Geschäfte bei den Regierungen und ganz be¬ sonders bei der Präsidialabteilung qualitativ und quantitativ ganz bedeutend zugenommen, und viele von ihnen wären der kollegialischer Behandlung sehr bedürftig. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, daß abgesehen von der Prü¬ sidialabteilung die übrigen Regierungsabteilungen ihren kollegialischer Charakter behalten haben. Nach dem Gesetz ist dies allerdings der Fall, aber sie werden ihres kollegialischer Charakters immer mehr dadurch entkleidet, daß die sonst regelmäßig jede Woche abgehaltnen Abteilungssitzungcn nnr noch selten statt¬ finden. Da der Regierungspräsident in der That die Zeit nicht mehr übrig hat, wöchentlich mehreren Abteilungssitzungen beizuwohnen, so wird das „reiste im Wege der Rücksprachen erledigt, bei denen schließlich seine Meinung mich ausschlaggebend ist. Die Dirigenten der kollegialischer Abteilungen (Ober¬ regierungsräte), die sonst eigne Initiative hatten und bei Meinungsverschieden¬ heiten immer auf die Abstimmung des Kollegiums rekurrieren konnten, werden so dem Regierungspräsidenten gegenüber völlig kalt gestellt und müssen all¬ mählich zur Bedeutungslosigkeit hinabsinken. Freilich für eine einflußreichere Stellung der Oberregierungsräte scheint man höhern Orts nicht viel übrig zu haben, und diese könnten sich doch zwischen die Regierungsräte und den Re¬ gierungspräsidenten zu recht nutzbringender Vermittlung einfügen. Der Re¬ gierungspräsident steht aber turmhoch auch über den Oberregierungsräten! Merk¬ würdig, sogar in der Zeit des ausgeprägtesten Absolutismus kannte man keinen so selbstherrlichen Regierungspräsidenten, wie den heutigen. Die uralte, aber noch heute in vielen Punkten giltige Regierungsiustruktion vom 23. Oktober 1817 sagt im Paragraphen 39: „Das Regierungspräsidium ist aus dem Präsidenten und den beiden Direktoren — so hießen damals die Abteilungsdirigenten —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/603>, abgerufen am 26.06.2024.