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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

mit dem guten Willen und der Thätigkeit das Verständnis (11 S3,x>sriz) ver¬
bindet. "

Für diese Erkenntnis zu sorgen sind vor allem die großen Ackerbaugesell¬
schaften bestimmt. Graf Fama selbst ist Vizepräsident der Loolöth. cikZIi agrl-
ooltorl It^lig-ni, Vincenzo Florio, der größte Landherr Siziliens, gründete das
Lonsoröio ÄAiÄrio siviliano. Diese Vereine veranstalten Versanunlungen mit
fachwissenschaftlichen Vorträgen und Ausstellungen mit Preisverteilungen, wie
eine solche z. B. im Oktober 1899 in Perugia für Umbrien zugleich mit der
Jahresversammlung der erwähnten italienischen Ackerbaugesellschaft stattfand
und auch vom Kronprinzenpaare besucht wurde. Auf Anregungen solcher Art
werden auch neue Kulturen versucht, wie der Anbau der Zuckerrübe (barvMswIs.)
im Chicmathale durch die LooistZ, liAuro-loinvMäg, und im Thale der Elsa
nicht fern von Siena von einem deutschen Hause, das dort eine große Raffinerie
erbaut hat, und der Tabakbau, wofür die königliche Verwaltung in der Provinz
Salerno eine große Versuchsplantage angelegt hat. Auch landwirtschaftliche
Maschinen werden in steigender Anzahl eingeführt, wie man schon an den
Ausstellungen solcher in großen Städten sehen kann.

Von der Entwicklung einer modernen Fabrikindustrie neben den alten noch
immer kräftig blühenden nationalen Gewerbzweigen, die meist in häuslicher
Arbeit betrieben werden und oft viel Kunst und Geschmack voraussetzen, er¬
warten auch einsichtige Italiener nicht so sehr viel. Zunächst widerstrebt
nämlich dem stark entwickelten Selbstgefühl und dem natürlichen Schönheits¬
sinn des Jtalieners die mechanische Massenarbeit in strenger Unterordnung und
in geschlossenen Räumen, die ihm die frische Luft und den Sonnenschein, sein
Lebenselement entziehn. Sodann fehlen dem Lande bekanntlich fast ganz die
Kohlen; was es davon braucht, muß vom Auslande, namentlich aus England ein¬
geführt werden, wofür die Regierung den Kohlenschiffern eine Zeit lang Prämien
zahlte, kommt also ziemlich teuer zu stehn und macht außerdem die italienische
Volkswirtschaft wie namentlich auch die Marine in einem so bedenklichen
Grade vom Auslande abhängig, daß Italien z. B. einen Konflikt mit England
kaum wagen darf.

Einen gewissen Ersatz liefern die zahlreichen Bergströme des Landes, die schon
lange unmittelbar mechanische Werke treiben, wie früher die "Spindelmühlen"
z. B. in England, und neuerdings auch vielfach zur Erzeugung elektrischer Kraft
benützt werden. Dies geschieht namentlich in den Vorbergen der Alpen, aber
auch an manchen Stellen der Apenninen. Die schönen Fülle des Velino bei
Temi liefern die Kraft für die dortigen Fabriken, der Anio versorgt nicht nur
Rom von Tivoli aus mit elektrischem Licht, sondern treibt auch die Fabriken
von Subiaco, der Garigliano mit dem Fibrenus die Papierfabriken von Isola
bei Arpino. Trotz vieler Hemmnisse sind nun doch manche alten Betriebe zum
modernen fabrikmüßigen Großbetrieb übergegangen, oft so, daß sie in diesen
das Hausgewerbe aufnehmen, besonders seit den Schutzzolltarifen von 1883
und 1887, die der bisherigen Überflutung Italiens mit fremden Waren Ein¬
halt thaten, so die Seidenspinnerei, die Woll- und Leinenindustrie, die Papier-


Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

mit dem guten Willen und der Thätigkeit das Verständnis (11 S3,x>sriz) ver¬
bindet. "

Für diese Erkenntnis zu sorgen sind vor allem die großen Ackerbaugesell¬
schaften bestimmt. Graf Fama selbst ist Vizepräsident der Loolöth. cikZIi agrl-
ooltorl It^lig-ni, Vincenzo Florio, der größte Landherr Siziliens, gründete das
Lonsoröio ÄAiÄrio siviliano. Diese Vereine veranstalten Versanunlungen mit
fachwissenschaftlichen Vorträgen und Ausstellungen mit Preisverteilungen, wie
eine solche z. B. im Oktober 1899 in Perugia für Umbrien zugleich mit der
Jahresversammlung der erwähnten italienischen Ackerbaugesellschaft stattfand
und auch vom Kronprinzenpaare besucht wurde. Auf Anregungen solcher Art
werden auch neue Kulturen versucht, wie der Anbau der Zuckerrübe (barvMswIs.)
im Chicmathale durch die LooistZ, liAuro-loinvMäg, und im Thale der Elsa
nicht fern von Siena von einem deutschen Hause, das dort eine große Raffinerie
erbaut hat, und der Tabakbau, wofür die königliche Verwaltung in der Provinz
Salerno eine große Versuchsplantage angelegt hat. Auch landwirtschaftliche
Maschinen werden in steigender Anzahl eingeführt, wie man schon an den
Ausstellungen solcher in großen Städten sehen kann.

Von der Entwicklung einer modernen Fabrikindustrie neben den alten noch
immer kräftig blühenden nationalen Gewerbzweigen, die meist in häuslicher
Arbeit betrieben werden und oft viel Kunst und Geschmack voraussetzen, er¬
warten auch einsichtige Italiener nicht so sehr viel. Zunächst widerstrebt
nämlich dem stark entwickelten Selbstgefühl und dem natürlichen Schönheits¬
sinn des Jtalieners die mechanische Massenarbeit in strenger Unterordnung und
in geschlossenen Räumen, die ihm die frische Luft und den Sonnenschein, sein
Lebenselement entziehn. Sodann fehlen dem Lande bekanntlich fast ganz die
Kohlen; was es davon braucht, muß vom Auslande, namentlich aus England ein¬
geführt werden, wofür die Regierung den Kohlenschiffern eine Zeit lang Prämien
zahlte, kommt also ziemlich teuer zu stehn und macht außerdem die italienische
Volkswirtschaft wie namentlich auch die Marine in einem so bedenklichen
Grade vom Auslande abhängig, daß Italien z. B. einen Konflikt mit England
kaum wagen darf.

Einen gewissen Ersatz liefern die zahlreichen Bergströme des Landes, die schon
lange unmittelbar mechanische Werke treiben, wie früher die „Spindelmühlen"
z. B. in England, und neuerdings auch vielfach zur Erzeugung elektrischer Kraft
benützt werden. Dies geschieht namentlich in den Vorbergen der Alpen, aber
auch an manchen Stellen der Apenninen. Die schönen Fülle des Velino bei
Temi liefern die Kraft für die dortigen Fabriken, der Anio versorgt nicht nur
Rom von Tivoli aus mit elektrischem Licht, sondern treibt auch die Fabriken
von Subiaco, der Garigliano mit dem Fibrenus die Papierfabriken von Isola
bei Arpino. Trotz vieler Hemmnisse sind nun doch manche alten Betriebe zum
modernen fabrikmüßigen Großbetrieb übergegangen, oft so, daß sie in diesen
das Hausgewerbe aufnehmen, besonders seit den Schutzzolltarifen von 1883
und 1887, die der bisherigen Überflutung Italiens mit fremden Waren Ein¬
halt thaten, so die Seidenspinnerei, die Woll- und Leinenindustrie, die Papier-


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[0556] Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien mit dem guten Willen und der Thätigkeit das Verständnis (11 S3,x>sriz) ver¬ bindet. " Für diese Erkenntnis zu sorgen sind vor allem die großen Ackerbaugesell¬ schaften bestimmt. Graf Fama selbst ist Vizepräsident der Loolöth. cikZIi agrl- ooltorl It^lig-ni, Vincenzo Florio, der größte Landherr Siziliens, gründete das Lonsoröio ÄAiÄrio siviliano. Diese Vereine veranstalten Versanunlungen mit fachwissenschaftlichen Vorträgen und Ausstellungen mit Preisverteilungen, wie eine solche z. B. im Oktober 1899 in Perugia für Umbrien zugleich mit der Jahresversammlung der erwähnten italienischen Ackerbaugesellschaft stattfand und auch vom Kronprinzenpaare besucht wurde. Auf Anregungen solcher Art werden auch neue Kulturen versucht, wie der Anbau der Zuckerrübe (barvMswIs.) im Chicmathale durch die LooistZ, liAuro-loinvMäg, und im Thale der Elsa nicht fern von Siena von einem deutschen Hause, das dort eine große Raffinerie erbaut hat, und der Tabakbau, wofür die königliche Verwaltung in der Provinz Salerno eine große Versuchsplantage angelegt hat. Auch landwirtschaftliche Maschinen werden in steigender Anzahl eingeführt, wie man schon an den Ausstellungen solcher in großen Städten sehen kann. Von der Entwicklung einer modernen Fabrikindustrie neben den alten noch immer kräftig blühenden nationalen Gewerbzweigen, die meist in häuslicher Arbeit betrieben werden und oft viel Kunst und Geschmack voraussetzen, er¬ warten auch einsichtige Italiener nicht so sehr viel. Zunächst widerstrebt nämlich dem stark entwickelten Selbstgefühl und dem natürlichen Schönheits¬ sinn des Jtalieners die mechanische Massenarbeit in strenger Unterordnung und in geschlossenen Räumen, die ihm die frische Luft und den Sonnenschein, sein Lebenselement entziehn. Sodann fehlen dem Lande bekanntlich fast ganz die Kohlen; was es davon braucht, muß vom Auslande, namentlich aus England ein¬ geführt werden, wofür die Regierung den Kohlenschiffern eine Zeit lang Prämien zahlte, kommt also ziemlich teuer zu stehn und macht außerdem die italienische Volkswirtschaft wie namentlich auch die Marine in einem so bedenklichen Grade vom Auslande abhängig, daß Italien z. B. einen Konflikt mit England kaum wagen darf. Einen gewissen Ersatz liefern die zahlreichen Bergströme des Landes, die schon lange unmittelbar mechanische Werke treiben, wie früher die „Spindelmühlen" z. B. in England, und neuerdings auch vielfach zur Erzeugung elektrischer Kraft benützt werden. Dies geschieht namentlich in den Vorbergen der Alpen, aber auch an manchen Stellen der Apenninen. Die schönen Fülle des Velino bei Temi liefern die Kraft für die dortigen Fabriken, der Anio versorgt nicht nur Rom von Tivoli aus mit elektrischem Licht, sondern treibt auch die Fabriken von Subiaco, der Garigliano mit dem Fibrenus die Papierfabriken von Isola bei Arpino. Trotz vieler Hemmnisse sind nun doch manche alten Betriebe zum modernen fabrikmüßigen Großbetrieb übergegangen, oft so, daß sie in diesen das Hausgewerbe aufnehmen, besonders seit den Schutzzolltarifen von 1883 und 1887, die der bisherigen Überflutung Italiens mit fremden Waren Ein¬ halt thaten, so die Seidenspinnerei, die Woll- und Leinenindustrie, die Papier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/556>, abgerufen am 28.09.2024.