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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Erlaß oder Stundung?

Im allgemeinen mag sich der Dozent einer größern Zuhörerzahl erfreuen,
aber viel Freude an diesem Teil seiner Schüler wird er in Zukunft nicht haben.
Sein Verhältnis zu ihnen wird immer mehr das eines Gläubigers zu seinen
Schuldnern werden. Wenn er auch selbst gar nichts mit dem unangenehmen
Geschäft des Eintreibens zu thun hat, das dem Quüstor bleibt, so vermutet
doch der Beamte, Geistliche, Lehrer, Arzt, daß sein früherer Lehrer selbst da¬
hinter stecke. Das Verhältnis zwischen Universitätslehrer und früheren Schüler
wird unwürdig.

Was bringt die Stundung dem Dozenten für pekuniäre Vorteile? no¬
minell zahlt ein größerer Teil seiner Zuhörer ihm ein Kollegiengeld. Auch
mag er, wenn nicht unbedeutende Abgaben für das Eintreibungsverfahren
an den Quästor zu zahlen sind (sie können bei vielen vergeblichen Versuchen
bis zu 20 Prozent der Gesamtsumme betragen), vielleicht auf eine etwas
höhere Einnahme kommen, als bei dem weiter unten zu besprechenden Erlaß.
Wenn er aber wüßte, welche Sorgen vielfach und welche Gemütsstimmungen
des Gebers mit der Zahlung dieser Stnudungsgelder zusammenhängen, so würde
er kaum mit Freudigkeit diese spüteru Einnahmen entgegen nehmen.

Daß der vollständige Honorarerlaß dem Studenten willkommner und ihm
in seinem spätern Berufe förderlicher ist, ist natürlich keine Frage. In Rück¬
sicht auf die pekuniäre Stellung der Dozenten ist ein vollständiger Erlaß nur
den Studenten gegenüber möglich, die wirklich unbemittelt find und durch ihre
Anlage wie ihren Fleiß die Garantie bieten, daß aus ihnen etwas Tüchtiges
werden kann. Die Zahl dieser Bevorzugten kann natürlich nur klein sein.
Der preußische Staat bietet nicht die Mittel, den Gehalt der Professoren so
zu bemessen, daß sie nur mit ihm für ihre Familie sorgenlos der Zukunft ent¬
gegensehen können.

Ich muß hier eine kleine Abschweifung macheu, um den Lesern das Bild
zu zerstören, das im Publikum über die ausgezeichnete pekuniäre Stellung der
Professoren entstanden ist. Wohl giebt es an großen Universitäten Dozenten,
besonders Institutsvorsteher und Vertreter der praktischen medizinischen Dis¬
ziplinen, die an Kollegiengeldern ganz bedeutende Summen verdienen. Auch
die Einnahmen aus der Praxis gesuchter medizinischer Größen können eine
beneidenswerte Höhe erreichen. Aber diese Bevorzugten sind doch nur ein
Keiner Teil der Universitätsdozenten. Ich habe z. B. erst gegen mein vier¬
zigstes Jahr eine Universitätsanstellung bekommen, die mir einen gesicherten
Gehalt einbrachte, und nach einer beinahe zwanzigjährigen Thätigkeit als
Ordinarius bei äußerst anstrengender, auch während der sogenannten Ferien
andauernder Thätigkeit ist mein Gehalt dennoch nur auf 4000 bis 5000 Mark
gestiegen bei einem nicht pensionsberechtigten Nebengehalte von etwas über
1000 Mark. Wir sind, wie sich daraus ergiebt, auf Kollegiengelder ange¬
wiesen, wenn wir mit der Familie unsrer Stellung entsprechend leben und bei
frühzeitigem Tode ihre Zukunft sichern wollen.

Ich will mit dieser Darlegung beweisen, daß der vollständige Erlaß der


Erlaß oder Stundung?

Im allgemeinen mag sich der Dozent einer größern Zuhörerzahl erfreuen,
aber viel Freude an diesem Teil seiner Schüler wird er in Zukunft nicht haben.
Sein Verhältnis zu ihnen wird immer mehr das eines Gläubigers zu seinen
Schuldnern werden. Wenn er auch selbst gar nichts mit dem unangenehmen
Geschäft des Eintreibens zu thun hat, das dem Quüstor bleibt, so vermutet
doch der Beamte, Geistliche, Lehrer, Arzt, daß sein früherer Lehrer selbst da¬
hinter stecke. Das Verhältnis zwischen Universitätslehrer und früheren Schüler
wird unwürdig.

Was bringt die Stundung dem Dozenten für pekuniäre Vorteile? no¬
minell zahlt ein größerer Teil seiner Zuhörer ihm ein Kollegiengeld. Auch
mag er, wenn nicht unbedeutende Abgaben für das Eintreibungsverfahren
an den Quästor zu zahlen sind (sie können bei vielen vergeblichen Versuchen
bis zu 20 Prozent der Gesamtsumme betragen), vielleicht auf eine etwas
höhere Einnahme kommen, als bei dem weiter unten zu besprechenden Erlaß.
Wenn er aber wüßte, welche Sorgen vielfach und welche Gemütsstimmungen
des Gebers mit der Zahlung dieser Stnudungsgelder zusammenhängen, so würde
er kaum mit Freudigkeit diese spüteru Einnahmen entgegen nehmen.

Daß der vollständige Honorarerlaß dem Studenten willkommner und ihm
in seinem spätern Berufe förderlicher ist, ist natürlich keine Frage. In Rück¬
sicht auf die pekuniäre Stellung der Dozenten ist ein vollständiger Erlaß nur
den Studenten gegenüber möglich, die wirklich unbemittelt find und durch ihre
Anlage wie ihren Fleiß die Garantie bieten, daß aus ihnen etwas Tüchtiges
werden kann. Die Zahl dieser Bevorzugten kann natürlich nur klein sein.
Der preußische Staat bietet nicht die Mittel, den Gehalt der Professoren so
zu bemessen, daß sie nur mit ihm für ihre Familie sorgenlos der Zukunft ent¬
gegensehen können.

Ich muß hier eine kleine Abschweifung macheu, um den Lesern das Bild
zu zerstören, das im Publikum über die ausgezeichnete pekuniäre Stellung der
Professoren entstanden ist. Wohl giebt es an großen Universitäten Dozenten,
besonders Institutsvorsteher und Vertreter der praktischen medizinischen Dis¬
ziplinen, die an Kollegiengeldern ganz bedeutende Summen verdienen. Auch
die Einnahmen aus der Praxis gesuchter medizinischer Größen können eine
beneidenswerte Höhe erreichen. Aber diese Bevorzugten sind doch nur ein
Keiner Teil der Universitätsdozenten. Ich habe z. B. erst gegen mein vier¬
zigstes Jahr eine Universitätsanstellung bekommen, die mir einen gesicherten
Gehalt einbrachte, und nach einer beinahe zwanzigjährigen Thätigkeit als
Ordinarius bei äußerst anstrengender, auch während der sogenannten Ferien
andauernder Thätigkeit ist mein Gehalt dennoch nur auf 4000 bis 5000 Mark
gestiegen bei einem nicht pensionsberechtigten Nebengehalte von etwas über
1000 Mark. Wir sind, wie sich daraus ergiebt, auf Kollegiengelder ange¬
wiesen, wenn wir mit der Familie unsrer Stellung entsprechend leben und bei
frühzeitigem Tode ihre Zukunft sichern wollen.

Ich will mit dieser Darlegung beweisen, daß der vollständige Erlaß der


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[0507] Erlaß oder Stundung? Im allgemeinen mag sich der Dozent einer größern Zuhörerzahl erfreuen, aber viel Freude an diesem Teil seiner Schüler wird er in Zukunft nicht haben. Sein Verhältnis zu ihnen wird immer mehr das eines Gläubigers zu seinen Schuldnern werden. Wenn er auch selbst gar nichts mit dem unangenehmen Geschäft des Eintreibens zu thun hat, das dem Quüstor bleibt, so vermutet doch der Beamte, Geistliche, Lehrer, Arzt, daß sein früherer Lehrer selbst da¬ hinter stecke. Das Verhältnis zwischen Universitätslehrer und früheren Schüler wird unwürdig. Was bringt die Stundung dem Dozenten für pekuniäre Vorteile? no¬ minell zahlt ein größerer Teil seiner Zuhörer ihm ein Kollegiengeld. Auch mag er, wenn nicht unbedeutende Abgaben für das Eintreibungsverfahren an den Quästor zu zahlen sind (sie können bei vielen vergeblichen Versuchen bis zu 20 Prozent der Gesamtsumme betragen), vielleicht auf eine etwas höhere Einnahme kommen, als bei dem weiter unten zu besprechenden Erlaß. Wenn er aber wüßte, welche Sorgen vielfach und welche Gemütsstimmungen des Gebers mit der Zahlung dieser Stnudungsgelder zusammenhängen, so würde er kaum mit Freudigkeit diese spüteru Einnahmen entgegen nehmen. Daß der vollständige Honorarerlaß dem Studenten willkommner und ihm in seinem spätern Berufe förderlicher ist, ist natürlich keine Frage. In Rück¬ sicht auf die pekuniäre Stellung der Dozenten ist ein vollständiger Erlaß nur den Studenten gegenüber möglich, die wirklich unbemittelt find und durch ihre Anlage wie ihren Fleiß die Garantie bieten, daß aus ihnen etwas Tüchtiges werden kann. Die Zahl dieser Bevorzugten kann natürlich nur klein sein. Der preußische Staat bietet nicht die Mittel, den Gehalt der Professoren so zu bemessen, daß sie nur mit ihm für ihre Familie sorgenlos der Zukunft ent¬ gegensehen können. Ich muß hier eine kleine Abschweifung macheu, um den Lesern das Bild zu zerstören, das im Publikum über die ausgezeichnete pekuniäre Stellung der Professoren entstanden ist. Wohl giebt es an großen Universitäten Dozenten, besonders Institutsvorsteher und Vertreter der praktischen medizinischen Dis¬ ziplinen, die an Kollegiengeldern ganz bedeutende Summen verdienen. Auch die Einnahmen aus der Praxis gesuchter medizinischer Größen können eine beneidenswerte Höhe erreichen. Aber diese Bevorzugten sind doch nur ein Keiner Teil der Universitätsdozenten. Ich habe z. B. erst gegen mein vier¬ zigstes Jahr eine Universitätsanstellung bekommen, die mir einen gesicherten Gehalt einbrachte, und nach einer beinahe zwanzigjährigen Thätigkeit als Ordinarius bei äußerst anstrengender, auch während der sogenannten Ferien andauernder Thätigkeit ist mein Gehalt dennoch nur auf 4000 bis 5000 Mark gestiegen bei einem nicht pensionsberechtigten Nebengehalte von etwas über 1000 Mark. Wir sind, wie sich daraus ergiebt, auf Kollegiengelder ange¬ wiesen, wenn wir mit der Familie unsrer Stellung entsprechend leben und bei frühzeitigem Tode ihre Zukunft sichern wollen. Ich will mit dieser Darlegung beweisen, daß der vollständige Erlaß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/507>, abgerufen am 26.06.2024.