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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Wie der Volksgeist des heutigen Englands geworden ist

ob er an allen diesen Veranstaltungen und an welchen er teilnehmen will.
Die genannten vier Hauptstellen haben einen Stab von Vortragenden ge¬
schaffen und sorgen für die Lehrmittel; die Ortstellen, die fich selbst regieren,
wählen den Vortragenden, bestimmen Gegenstand, Zeit und Ort des Vortrags.
Die Vortragende,! erhalten Honorar, und mauche stehn sich auf 400 bis 500 Pfund
Sterling das Jahr. Werden die Mittel aufgebracht, so können die Hörer im
Laufe weniger Jahre alle Gebiete des Wissens durchlaufen. Daß die Ein¬
richtung Halbbildung erzeuge, sagt der Verfasser, davon könne schon darum
keine Rede sein, weil eben die schon halbgebildeter Stände den größten Teil
der Zuhörer stellen; diese sind meistens Mädchen und Frauen, junge Kaufleute
und Handwerker, denen die Kurse dazu dienen, die Lücken ihres Wissens aus¬
zufüllen. Die Arbeiter, die daran teilnehmen, sind nicht sehr zahlreich, denn
die teilnehmenden haben sehr große Schwierigkeiten zu überwinden; aber die
Energie, mit der dies in den vorkommenden Füllen geschieht, verbürgt auch
schon die gute Wirkung. "Ein leidenschaftliches Bildungsbedürfnis hat die
Besten des Stands erfaßt und treibt sie in die Hörsäle zu den Büchern. Sie
darben sich den Billetpreis vom Munde ab, sie wandern stundenlang durch
das naßkalte Winterwetter, sie mühn sich mit dem Schreiben, bis die arbeits¬
harten Finger steif sind, sie überwinden die bleierne Müdigkeit bis spät in die
Nacht und halten ans." Die Vortragskurse werde" ergänzt, einerseits durch
die Sommermeetings, deren erstes 1888 in Oxford abgehalten worden ist, und
bei denen den Lernbegieriger Laboratorien, Sammlungen und Bibliotheken zur
Verfügung stehn. Auch hierbei bewährt sich die Gastfreundschaft, "für welche
Oxford und Cambridge berühmt sind. Einige Kollegien nehmen sogar die
Hörer gleich eignen Studenten in ihre Mauern auf und gewähren ihnen gegen
sehr bescheidne Vergütung Kost und Wohnung. Die notwendigen Ausgaben
während des Monats sollen mit etwa höchstens zehn Pfund Sterling bestritten
werden können, wovon ein bis anderthalb Pfund Sterling auf das Kollegien¬
geld fallen. Trotzdem würden die Meetings nicht so zahlreich besucht sein,
wenn nicht die Universitäten, die Ortsstellen, viele Körperschaften und Privat¬
personen Preise bis fünf Pfund Sterling gestiftet hätten." Bekanntlich wird
auch diese Einrichtung bei uns nachgeahmt; es müßte einmal ein Mann, der
die Sache hüben und drüben probiert hätte, den Unterschied unsrer Ferienkurse
von den englischen Sommermeetings darstellen.

Die andre Ergänzung sind die Universitätsuiederlassungen (Universit^
Löttlölluziits), deren älteste und berühmteste, Toynbeehall, Schultze-Gävernitz
seiner Zeit den Grenzbotenlesern geschildert hat. Edle junge Männer von
guter Familie und hoher Bildung haben im dunkelsten London ihre Residenz
aufgeschlagen, um in diesem Pandämonium Licht und Wärme, Wissen, Liebe
und Glück zu verbreiten. Einer der Leiter dieses Unternehmens, der Reverend
Barnett, wird, wie Nostitz erzählt, nicht müde, immer wieder zu betonen:
"Das Streben und der Wert von Toynbeehall ist nicht schon aus den Be¬
richten und Zahlenangaben seiner blühenden Bildungs- und Vergnügungs-


Wie der Volksgeist des heutigen Englands geworden ist

ob er an allen diesen Veranstaltungen und an welchen er teilnehmen will.
Die genannten vier Hauptstellen haben einen Stab von Vortragenden ge¬
schaffen und sorgen für die Lehrmittel; die Ortstellen, die fich selbst regieren,
wählen den Vortragenden, bestimmen Gegenstand, Zeit und Ort des Vortrags.
Die Vortragende,! erhalten Honorar, und mauche stehn sich auf 400 bis 500 Pfund
Sterling das Jahr. Werden die Mittel aufgebracht, so können die Hörer im
Laufe weniger Jahre alle Gebiete des Wissens durchlaufen. Daß die Ein¬
richtung Halbbildung erzeuge, sagt der Verfasser, davon könne schon darum
keine Rede sein, weil eben die schon halbgebildeter Stände den größten Teil
der Zuhörer stellen; diese sind meistens Mädchen und Frauen, junge Kaufleute
und Handwerker, denen die Kurse dazu dienen, die Lücken ihres Wissens aus¬
zufüllen. Die Arbeiter, die daran teilnehmen, sind nicht sehr zahlreich, denn
die teilnehmenden haben sehr große Schwierigkeiten zu überwinden; aber die
Energie, mit der dies in den vorkommenden Füllen geschieht, verbürgt auch
schon die gute Wirkung. „Ein leidenschaftliches Bildungsbedürfnis hat die
Besten des Stands erfaßt und treibt sie in die Hörsäle zu den Büchern. Sie
darben sich den Billetpreis vom Munde ab, sie wandern stundenlang durch
das naßkalte Winterwetter, sie mühn sich mit dem Schreiben, bis die arbeits¬
harten Finger steif sind, sie überwinden die bleierne Müdigkeit bis spät in die
Nacht und halten ans." Die Vortragskurse werde» ergänzt, einerseits durch
die Sommermeetings, deren erstes 1888 in Oxford abgehalten worden ist, und
bei denen den Lernbegieriger Laboratorien, Sammlungen und Bibliotheken zur
Verfügung stehn. Auch hierbei bewährt sich die Gastfreundschaft, „für welche
Oxford und Cambridge berühmt sind. Einige Kollegien nehmen sogar die
Hörer gleich eignen Studenten in ihre Mauern auf und gewähren ihnen gegen
sehr bescheidne Vergütung Kost und Wohnung. Die notwendigen Ausgaben
während des Monats sollen mit etwa höchstens zehn Pfund Sterling bestritten
werden können, wovon ein bis anderthalb Pfund Sterling auf das Kollegien¬
geld fallen. Trotzdem würden die Meetings nicht so zahlreich besucht sein,
wenn nicht die Universitäten, die Ortsstellen, viele Körperschaften und Privat¬
personen Preise bis fünf Pfund Sterling gestiftet hätten." Bekanntlich wird
auch diese Einrichtung bei uns nachgeahmt; es müßte einmal ein Mann, der
die Sache hüben und drüben probiert hätte, den Unterschied unsrer Ferienkurse
von den englischen Sommermeetings darstellen.

Die andre Ergänzung sind die Universitätsuiederlassungen (Universit^
Löttlölluziits), deren älteste und berühmteste, Toynbeehall, Schultze-Gävernitz
seiner Zeit den Grenzbotenlesern geschildert hat. Edle junge Männer von
guter Familie und hoher Bildung haben im dunkelsten London ihre Residenz
aufgeschlagen, um in diesem Pandämonium Licht und Wärme, Wissen, Liebe
und Glück zu verbreiten. Einer der Leiter dieses Unternehmens, der Reverend
Barnett, wird, wie Nostitz erzählt, nicht müde, immer wieder zu betonen:
„Das Streben und der Wert von Toynbeehall ist nicht schon aus den Be¬
richten und Zahlenangaben seiner blühenden Bildungs- und Vergnügungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/400>, abgerufen am 28.09.2024.