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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Rinderarbeit

Kinder am größten ist, diese Gefahr aber noch erheblich erhöht werden würde,
wenn die weitere Beschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken ins Leben
treten sollte, ohne daß gleichzeitig die Kinderarbeit in der Hausindustrie einer
Regelung unterzogen würde. Diese Regelung unmittelbar in dem vorliegenden
Gesetzentwurf zu treffen ist nicht wohl möglich, weil sie uur auf Grund ein¬
gehender Ermittlungen erfolgen kann, die vor Einbringung dieses Gesetzent¬
wurfs (1891) nicht mehr vorgenommen werden konnten und bei ihrem erheb¬
lichen Umfange auch nur ucich und nach vorgenommen werden können. Es
empfiehlt sich daher, für diese Regelung den im Entwurf vorgesehenen Weg
der kaiserlichen Verordnung und Zustimmung des Bundesrath zu wühlen,
zumal vorauszusehen ist, daß eine befriedigende Regelung auf diesem Gebiete
nur durch ein allmähliches Fortschreiten von mildern zu strengern Bestimmungen
zu erreichen sein wird, hierfür aber der Weg der Verordnung geeigneter er¬
scheint als derjenige der Gesetzgebung."

Von der in Absatz 4 des §154 gegebnen Befugnis zur Ausdehnung des
Verbots der Kinderarbeit auf andre als die in Absatz 3 genannten Werkstätten
ist bisher nur durch die kaiserliche Verordnung vom 31. Mai 1897 wegen
der Werkstätten der Kleider- und Wüschekonfektion Gebrauch gemacht worden.*)
Das ist in ganzen neun Jahren in der That herzlich wenig, nachdem man
doch schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs vou 1890 von der Über¬
zeugung durchdrungen schien, daß ein weiterer Ausbau des Kinderschutzes im
Gewerbe notwendig sei.

Diese Notwendigkeit stellt sich nun aber auch ganz dringend auf Gebieten
und in Betrieben heraus, die nicht als "Werkstätten" im Sinne des Absatz 3
und 4 des § 154 aufgefaßt werden konnten, z. B. beim Botendienst, beim
Austragen von Waren, Zeitungen u. dergl., beim Hausierhandel, beim Straßen-
und sonstigen Verkauf, beim Kegelaufsetzen in öffentlichen Lokalen usw. Die
Gewerbeordnung enthält dafür ganz ungenügende Schutzbestimmungen. Soweit
diese Beschüftiguugeu nach ihr beurteilt werden müssen, verlegt sie sogar den
sonst offnen Weg der Polizeiverordnung teilweise, wie dies durch mehrere ge¬
richtliche Erkenntnisse, durch die solche Verordnungen für rechtsunverbindlich
erklärt werden mußten, klar wurde. Auch die Landesgesetzgebung wird da¬
durch an manchen zweckmäßigen Maßnahmen verhindert. Dabei muß freilich
gesagt werden, daß die Orts- und Landesbehörden bei weitem noch nicht in
dem Maße, wie es zu wünschen wäre, von den ihnen unbestritten zustehenden
Machtvollkommenheiten, den in der bezeichneten Weise zu Tage tretenden Miß-
brüuchen zu steuern, Gebrauch gemacht haben, vielmehr bis in die letzten Jahre
hinein vielfach einem unverantwortlichen I^i88ör aller gehuldigt haben, bis sie
die öffentliche Meinung zum Einschreiten zwang. Dann gings auf einmal
ganz ant, auch ohne neue Reichsgesetze und kaiserliche Verordnungen.

Jedenfalls mit gutem Grund und eher zu spät als zu früh hat sich das



*) Für die Ci-Mrenhansindustrie sind entsprechende Maßnahmen geplant.
Rinderarbeit

Kinder am größten ist, diese Gefahr aber noch erheblich erhöht werden würde,
wenn die weitere Beschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken ins Leben
treten sollte, ohne daß gleichzeitig die Kinderarbeit in der Hausindustrie einer
Regelung unterzogen würde. Diese Regelung unmittelbar in dem vorliegenden
Gesetzentwurf zu treffen ist nicht wohl möglich, weil sie uur auf Grund ein¬
gehender Ermittlungen erfolgen kann, die vor Einbringung dieses Gesetzent¬
wurfs (1891) nicht mehr vorgenommen werden konnten und bei ihrem erheb¬
lichen Umfange auch nur ucich und nach vorgenommen werden können. Es
empfiehlt sich daher, für diese Regelung den im Entwurf vorgesehenen Weg
der kaiserlichen Verordnung und Zustimmung des Bundesrath zu wühlen,
zumal vorauszusehen ist, daß eine befriedigende Regelung auf diesem Gebiete
nur durch ein allmähliches Fortschreiten von mildern zu strengern Bestimmungen
zu erreichen sein wird, hierfür aber der Weg der Verordnung geeigneter er¬
scheint als derjenige der Gesetzgebung."

Von der in Absatz 4 des §154 gegebnen Befugnis zur Ausdehnung des
Verbots der Kinderarbeit auf andre als die in Absatz 3 genannten Werkstätten
ist bisher nur durch die kaiserliche Verordnung vom 31. Mai 1897 wegen
der Werkstätten der Kleider- und Wüschekonfektion Gebrauch gemacht worden.*)
Das ist in ganzen neun Jahren in der That herzlich wenig, nachdem man
doch schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs vou 1890 von der Über¬
zeugung durchdrungen schien, daß ein weiterer Ausbau des Kinderschutzes im
Gewerbe notwendig sei.

Diese Notwendigkeit stellt sich nun aber auch ganz dringend auf Gebieten
und in Betrieben heraus, die nicht als „Werkstätten" im Sinne des Absatz 3
und 4 des § 154 aufgefaßt werden konnten, z. B. beim Botendienst, beim
Austragen von Waren, Zeitungen u. dergl., beim Hausierhandel, beim Straßen-
und sonstigen Verkauf, beim Kegelaufsetzen in öffentlichen Lokalen usw. Die
Gewerbeordnung enthält dafür ganz ungenügende Schutzbestimmungen. Soweit
diese Beschüftiguugeu nach ihr beurteilt werden müssen, verlegt sie sogar den
sonst offnen Weg der Polizeiverordnung teilweise, wie dies durch mehrere ge¬
richtliche Erkenntnisse, durch die solche Verordnungen für rechtsunverbindlich
erklärt werden mußten, klar wurde. Auch die Landesgesetzgebung wird da¬
durch an manchen zweckmäßigen Maßnahmen verhindert. Dabei muß freilich
gesagt werden, daß die Orts- und Landesbehörden bei weitem noch nicht in
dem Maße, wie es zu wünschen wäre, von den ihnen unbestritten zustehenden
Machtvollkommenheiten, den in der bezeichneten Weise zu Tage tretenden Miß-
brüuchen zu steuern, Gebrauch gemacht haben, vielmehr bis in die letzten Jahre
hinein vielfach einem unverantwortlichen I^i88ör aller gehuldigt haben, bis sie
die öffentliche Meinung zum Einschreiten zwang. Dann gings auf einmal
ganz ant, auch ohne neue Reichsgesetze und kaiserliche Verordnungen.

Jedenfalls mit gutem Grund und eher zu spät als zu früh hat sich das



*) Für die Ci-Mrenhansindustrie sind entsprechende Maßnahmen geplant.
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[0387] Rinderarbeit Kinder am größten ist, diese Gefahr aber noch erheblich erhöht werden würde, wenn die weitere Beschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken ins Leben treten sollte, ohne daß gleichzeitig die Kinderarbeit in der Hausindustrie einer Regelung unterzogen würde. Diese Regelung unmittelbar in dem vorliegenden Gesetzentwurf zu treffen ist nicht wohl möglich, weil sie uur auf Grund ein¬ gehender Ermittlungen erfolgen kann, die vor Einbringung dieses Gesetzent¬ wurfs (1891) nicht mehr vorgenommen werden konnten und bei ihrem erheb¬ lichen Umfange auch nur ucich und nach vorgenommen werden können. Es empfiehlt sich daher, für diese Regelung den im Entwurf vorgesehenen Weg der kaiserlichen Verordnung und Zustimmung des Bundesrath zu wühlen, zumal vorauszusehen ist, daß eine befriedigende Regelung auf diesem Gebiete nur durch ein allmähliches Fortschreiten von mildern zu strengern Bestimmungen zu erreichen sein wird, hierfür aber der Weg der Verordnung geeigneter er¬ scheint als derjenige der Gesetzgebung." Von der in Absatz 4 des §154 gegebnen Befugnis zur Ausdehnung des Verbots der Kinderarbeit auf andre als die in Absatz 3 genannten Werkstätten ist bisher nur durch die kaiserliche Verordnung vom 31. Mai 1897 wegen der Werkstätten der Kleider- und Wüschekonfektion Gebrauch gemacht worden.*) Das ist in ganzen neun Jahren in der That herzlich wenig, nachdem man doch schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs vou 1890 von der Über¬ zeugung durchdrungen schien, daß ein weiterer Ausbau des Kinderschutzes im Gewerbe notwendig sei. Diese Notwendigkeit stellt sich nun aber auch ganz dringend auf Gebieten und in Betrieben heraus, die nicht als „Werkstätten" im Sinne des Absatz 3 und 4 des § 154 aufgefaßt werden konnten, z. B. beim Botendienst, beim Austragen von Waren, Zeitungen u. dergl., beim Hausierhandel, beim Straßen- und sonstigen Verkauf, beim Kegelaufsetzen in öffentlichen Lokalen usw. Die Gewerbeordnung enthält dafür ganz ungenügende Schutzbestimmungen. Soweit diese Beschüftiguugeu nach ihr beurteilt werden müssen, verlegt sie sogar den sonst offnen Weg der Polizeiverordnung teilweise, wie dies durch mehrere ge¬ richtliche Erkenntnisse, durch die solche Verordnungen für rechtsunverbindlich erklärt werden mußten, klar wurde. Auch die Landesgesetzgebung wird da¬ durch an manchen zweckmäßigen Maßnahmen verhindert. Dabei muß freilich gesagt werden, daß die Orts- und Landesbehörden bei weitem noch nicht in dem Maße, wie es zu wünschen wäre, von den ihnen unbestritten zustehenden Machtvollkommenheiten, den in der bezeichneten Weise zu Tage tretenden Miß- brüuchen zu steuern, Gebrauch gemacht haben, vielmehr bis in die letzten Jahre hinein vielfach einem unverantwortlichen I^i88ör aller gehuldigt haben, bis sie die öffentliche Meinung zum Einschreiten zwang. Dann gings auf einmal ganz ant, auch ohne neue Reichsgesetze und kaiserliche Verordnungen. Jedenfalls mit gutem Grund und eher zu spät als zu früh hat sich das *) Für die Ci-Mrenhansindustrie sind entsprechende Maßnahmen geplant.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/387>, abgerufen am 29.06.2024.