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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

die eine Lehrzeit durchgemacht haben, verdienen noch 150 bis 200 Mark mehr.
Unter diesen Umständen ist es wahrlich kein Wunder, daß der Matrose an:
Lande bleibt, wo er des Nachts ruhig schlafen kann, nicht bald in den Tropen
verbrennt, bald in der Winterkälte halb erstarrt, nicht in Gefahr ist, nach Häfen
zu müssen, in denen Cholera, gelbes Fieber, Pest, Malaria oder Dysenterie
herrscht, nicht stranden, untergehn, über Bord geschlagen werden oder von oben
fallen kann, wo er hingegen bei Weib und Kind bleiben und unendlich sichrer
und ruhiger leben kann. Daß er als Quartermaster oder Steuerer auf großen
Dampfern monatlich drei- bis fünf Mark mehr verdient, kommt wenig in
Betracht; als Bootsmann, also als Unteroffizier, kommt sein Verdienst dem eines
Arbeiters in den Hafenstädten einigermaßen gleich.

Bei Erörterung der sogenannten Schulschifffrage findet man fast immer
die Behauptung, daß die Qualität unsrer Matrosen sehr zurückgegangen sei.
Ich bin seit fünfzig Jahren in und bei der Seeschiffahrt beschäftigt und kann
verbürgen, daß diese Behauptung auch in meiner Jugend fast mit denselben
Worten ausgesprochen wurde, und die bekannten ältesten Leute erzählten da¬
mals, daß es in ihrer Jugend auch schon so gewesen sei. Es erscheint des¬
halb überflüssig, sie für seemännische Kreise zu besprechen, aber in der jüngsten
Zeit haben inländische Kreise angefangen, sich mit der Seeschiffahrt zu be¬
schäftigen, deshalb dürfte es angebracht sein, diesen Gegenstand mit einigen
Worten zu streifen.

Kam damals ein Schiff in den Heimatshafen zurück, dann mußte die
Mannschaft die Ladung löschen, in den etwaigen Pausen die reparaturbedürftige
Takelage herunternehmen und ausbessern, nach vollständiger Löschung das Schiff
hübsch reinmachen, und erst dann wurde sie entlassen. Dabei wurden die guten
Leute gleich gefragt: Wollt ihr wieder mit? Ein Teil der Mannschaft blieb
gleich an Bord, manche besuchten ihre Anverwandten und kamen wieder, andre
gingen auf die Steuermannsschule, und noch andre zogen es vor, ihr Schiff zu
wechseln. Schon beim Anfange des Ladens war etwa die halbe Mannschaft
an Bord, nahm die Ladung über und verstände sie im Raum, brachte herunter-
genommne Takelung wieder hinauf, nachdem sie ausgebessert war, schlug die
Segel an und machte das Schiff so wieder seeklar. Unter diesen Verhältnissen
lernte der junge Seemann bei stillliegendem Schiffe alle Schauer- und Schie-
mannsarbeiten ausführen und kam später in See auf rollenden und stampfenden
Schiffe nie in Verlegenheit, wie eine Arbeit am rechten Ende anzufassen war.
Seit vielen Jahren finden es die Reedereien vorteilhafter, die ganze Mann¬
schaft abzumustern, sobald das Schiff fest ist, und sie an Bord zu nehmen,
wenn es seeklar ist. Alle oben skizzierten Arbeiten werden von Schauerleuten,
vielfach frühern Seeleuten, gemacht, und den jungen Seeleuten ist die Gelegen¬
heit entzogen, Tüchtiges zu lernen. Tritt während der Reise in See die Not¬
wendigkeit an sie heran, eine Rabe oder Stenge herunter zu nehmen oder
sie hinauf zu bringen, dann hat er oftmals die Arbeit nie gesehen oder noch
weniger selbst gemacht, und er macht dabei Mißgriffe. Aber an wem liegt


Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

die eine Lehrzeit durchgemacht haben, verdienen noch 150 bis 200 Mark mehr.
Unter diesen Umständen ist es wahrlich kein Wunder, daß der Matrose an:
Lande bleibt, wo er des Nachts ruhig schlafen kann, nicht bald in den Tropen
verbrennt, bald in der Winterkälte halb erstarrt, nicht in Gefahr ist, nach Häfen
zu müssen, in denen Cholera, gelbes Fieber, Pest, Malaria oder Dysenterie
herrscht, nicht stranden, untergehn, über Bord geschlagen werden oder von oben
fallen kann, wo er hingegen bei Weib und Kind bleiben und unendlich sichrer
und ruhiger leben kann. Daß er als Quartermaster oder Steuerer auf großen
Dampfern monatlich drei- bis fünf Mark mehr verdient, kommt wenig in
Betracht; als Bootsmann, also als Unteroffizier, kommt sein Verdienst dem eines
Arbeiters in den Hafenstädten einigermaßen gleich.

Bei Erörterung der sogenannten Schulschifffrage findet man fast immer
die Behauptung, daß die Qualität unsrer Matrosen sehr zurückgegangen sei.
Ich bin seit fünfzig Jahren in und bei der Seeschiffahrt beschäftigt und kann
verbürgen, daß diese Behauptung auch in meiner Jugend fast mit denselben
Worten ausgesprochen wurde, und die bekannten ältesten Leute erzählten da¬
mals, daß es in ihrer Jugend auch schon so gewesen sei. Es erscheint des¬
halb überflüssig, sie für seemännische Kreise zu besprechen, aber in der jüngsten
Zeit haben inländische Kreise angefangen, sich mit der Seeschiffahrt zu be¬
schäftigen, deshalb dürfte es angebracht sein, diesen Gegenstand mit einigen
Worten zu streifen.

Kam damals ein Schiff in den Heimatshafen zurück, dann mußte die
Mannschaft die Ladung löschen, in den etwaigen Pausen die reparaturbedürftige
Takelage herunternehmen und ausbessern, nach vollständiger Löschung das Schiff
hübsch reinmachen, und erst dann wurde sie entlassen. Dabei wurden die guten
Leute gleich gefragt: Wollt ihr wieder mit? Ein Teil der Mannschaft blieb
gleich an Bord, manche besuchten ihre Anverwandten und kamen wieder, andre
gingen auf die Steuermannsschule, und noch andre zogen es vor, ihr Schiff zu
wechseln. Schon beim Anfange des Ladens war etwa die halbe Mannschaft
an Bord, nahm die Ladung über und verstände sie im Raum, brachte herunter-
genommne Takelung wieder hinauf, nachdem sie ausgebessert war, schlug die
Segel an und machte das Schiff so wieder seeklar. Unter diesen Verhältnissen
lernte der junge Seemann bei stillliegendem Schiffe alle Schauer- und Schie-
mannsarbeiten ausführen und kam später in See auf rollenden und stampfenden
Schiffe nie in Verlegenheit, wie eine Arbeit am rechten Ende anzufassen war.
Seit vielen Jahren finden es die Reedereien vorteilhafter, die ganze Mann¬
schaft abzumustern, sobald das Schiff fest ist, und sie an Bord zu nehmen,
wenn es seeklar ist. Alle oben skizzierten Arbeiten werden von Schauerleuten,
vielfach frühern Seeleuten, gemacht, und den jungen Seeleuten ist die Gelegen¬
heit entzogen, Tüchtiges zu lernen. Tritt während der Reise in See die Not¬
wendigkeit an sie heran, eine Rabe oder Stenge herunter zu nehmen oder
sie hinauf zu bringen, dann hat er oftmals die Arbeit nie gesehen oder noch
weniger selbst gemacht, und er macht dabei Mißgriffe. Aber an wem liegt


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[0356] Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe die eine Lehrzeit durchgemacht haben, verdienen noch 150 bis 200 Mark mehr. Unter diesen Umständen ist es wahrlich kein Wunder, daß der Matrose an: Lande bleibt, wo er des Nachts ruhig schlafen kann, nicht bald in den Tropen verbrennt, bald in der Winterkälte halb erstarrt, nicht in Gefahr ist, nach Häfen zu müssen, in denen Cholera, gelbes Fieber, Pest, Malaria oder Dysenterie herrscht, nicht stranden, untergehn, über Bord geschlagen werden oder von oben fallen kann, wo er hingegen bei Weib und Kind bleiben und unendlich sichrer und ruhiger leben kann. Daß er als Quartermaster oder Steuerer auf großen Dampfern monatlich drei- bis fünf Mark mehr verdient, kommt wenig in Betracht; als Bootsmann, also als Unteroffizier, kommt sein Verdienst dem eines Arbeiters in den Hafenstädten einigermaßen gleich. Bei Erörterung der sogenannten Schulschifffrage findet man fast immer die Behauptung, daß die Qualität unsrer Matrosen sehr zurückgegangen sei. Ich bin seit fünfzig Jahren in und bei der Seeschiffahrt beschäftigt und kann verbürgen, daß diese Behauptung auch in meiner Jugend fast mit denselben Worten ausgesprochen wurde, und die bekannten ältesten Leute erzählten da¬ mals, daß es in ihrer Jugend auch schon so gewesen sei. Es erscheint des¬ halb überflüssig, sie für seemännische Kreise zu besprechen, aber in der jüngsten Zeit haben inländische Kreise angefangen, sich mit der Seeschiffahrt zu be¬ schäftigen, deshalb dürfte es angebracht sein, diesen Gegenstand mit einigen Worten zu streifen. Kam damals ein Schiff in den Heimatshafen zurück, dann mußte die Mannschaft die Ladung löschen, in den etwaigen Pausen die reparaturbedürftige Takelage herunternehmen und ausbessern, nach vollständiger Löschung das Schiff hübsch reinmachen, und erst dann wurde sie entlassen. Dabei wurden die guten Leute gleich gefragt: Wollt ihr wieder mit? Ein Teil der Mannschaft blieb gleich an Bord, manche besuchten ihre Anverwandten und kamen wieder, andre gingen auf die Steuermannsschule, und noch andre zogen es vor, ihr Schiff zu wechseln. Schon beim Anfange des Ladens war etwa die halbe Mannschaft an Bord, nahm die Ladung über und verstände sie im Raum, brachte herunter- genommne Takelung wieder hinauf, nachdem sie ausgebessert war, schlug die Segel an und machte das Schiff so wieder seeklar. Unter diesen Verhältnissen lernte der junge Seemann bei stillliegendem Schiffe alle Schauer- und Schie- mannsarbeiten ausführen und kam später in See auf rollenden und stampfenden Schiffe nie in Verlegenheit, wie eine Arbeit am rechten Ende anzufassen war. Seit vielen Jahren finden es die Reedereien vorteilhafter, die ganze Mann¬ schaft abzumustern, sobald das Schiff fest ist, und sie an Bord zu nehmen, wenn es seeklar ist. Alle oben skizzierten Arbeiten werden von Schauerleuten, vielfach frühern Seeleuten, gemacht, und den jungen Seeleuten ist die Gelegen¬ heit entzogen, Tüchtiges zu lernen. Tritt während der Reise in See die Not¬ wendigkeit an sie heran, eine Rabe oder Stenge herunter zu nehmen oder sie hinauf zu bringen, dann hat er oftmals die Arbeit nie gesehen oder noch weniger selbst gemacht, und er macht dabei Mißgriffe. Aber an wem liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/356>, abgerufen am 28.06.2024.