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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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hat des augenblicklichen Gewinns wegen geradezu Raubbau getrieben. Das
Angebot von Schiffsjungen ist seit vielen Jahren immer größer als die Nach¬
frage gewesen, ja es sind den Heuerbaasen, die sich mit der Unterbringung der
Jungen befaßten, dafür ungeheure Vergütungen gezahlt worden. Für das
Kadettenschnlschiff des Norddeutschen Lloyds sollen sich nach der einen Lesart
über 400, nach der andern gar an die 800 gemeldet haben, von denen 45 an¬
genommen worden sind. Ich kann hier gern zugeben, daß sich die größere Hälfte
von ihnen überhaupt nicht gemeldet Hütte, wenn sie, gestützt auf den Geldbeutel
des Vaters, nicht die Hoffnung hätten, es in der verheißenen bequemen Weise
zum Schiffsoffizier zu bringen.

Aus der deutschen Küstenbevölkcrung gehn die Jungen hauptsächlich aus
zwei Beweggründen zur See: 1. Weil sie an den Männern ihrer Umgebung
sehen, daß sie es zum Steuermann und Schiffer bringen können, wenn sie
fleißig sind und sich gut führen, wenigstens war es früher so. Jetzt sind die
Eltern mit dem Niedergang der kleinen Fahrt genau vertraut und wissen, daß
es damit schlecht genug bestellt ist; deshalb halten sie ihre Söhne vielfach von
der Seefahrt zurück. 2. Weil die armen Eltern den heranwachsenden Sohn
vom Tische los werden müssen; besonders auf den neu angebauten Strecken
der ostfriesischen Fehlte ist dies der Fall. Schon mit zwölf Jahren muß der
Sohn während des Sommers von der Schule dispensiert werden, damit er
durch seiner Hände Arbeit die Familie mit ernähren hilft, und dient auf dem
Torfschiffe des Vaters, eines Onkels oder Nachbarn. Diese Jungen erstreben
ein eignes Torfschiff oder gehn nach ihrer Entlassung aus der Schule zur
See und sind zufrieden, wenn sie die Stellung eines Schiffers auf kleiner
Fahrt, des Steuerers, Bootsmanns und dergleichen auf großen Schiffen er¬
reichen können.

Aus dem Inlande gehn die Jungen aus den verschiedensten Gründen
zur See, wohl die meisten, weil die Schulbank zu hart und das Lernen zu
schwer ist, andre werden dazu durch das Lesen von Seeromanen veranlaßt,
noch andre durch Familienverhältnisse, und ein durchaus nicht kleiner Teil
wird von den Eltern oder Vormündern zur See wie in eine Besserungsanstalt
geschickt. Die strenge Disziplin und das einfache Leben an Bord zwischen
Himmel und Wasser hat schon manchen Thunichtgut zu einem ordentlichen
Menschen gemacht. Da der Verdienst auf deutscheu Schiffen im allgemeinen
gering ist, lassen einsichtige, nicht geradezu arme Eltern ihre Söhne meistens
nicht zur See gehn, zunächst weil sie am Lande mehr als auf See verdienen
können, und dann, weil das Leben auf See unendlich viel gefährlicher und
mühseliger als das auf dem Lande ist. Ist es doch statistisch nachgewiesen, daß
der Prozentsatz der Unglücksfälle auf See und der Todesfülle an gelbem Fieber,
Cholera, Pest, Malaria und Dysenterie vier- bis fünfmal so groß ist als
bei den Bergleuten, die am Lande das gefährlichste Gewerbe treiben.

In der Jugend hat die Seefahrt einen gewaltigen Reiz, kommt der heran¬
gewachsene Mann aber zum Nachdenken und zum Vergleichen seines Standes


hat des augenblicklichen Gewinns wegen geradezu Raubbau getrieben. Das
Angebot von Schiffsjungen ist seit vielen Jahren immer größer als die Nach¬
frage gewesen, ja es sind den Heuerbaasen, die sich mit der Unterbringung der
Jungen befaßten, dafür ungeheure Vergütungen gezahlt worden. Für das
Kadettenschnlschiff des Norddeutschen Lloyds sollen sich nach der einen Lesart
über 400, nach der andern gar an die 800 gemeldet haben, von denen 45 an¬
genommen worden sind. Ich kann hier gern zugeben, daß sich die größere Hälfte
von ihnen überhaupt nicht gemeldet Hütte, wenn sie, gestützt auf den Geldbeutel
des Vaters, nicht die Hoffnung hätten, es in der verheißenen bequemen Weise
zum Schiffsoffizier zu bringen.

Aus der deutschen Küstenbevölkcrung gehn die Jungen hauptsächlich aus
zwei Beweggründen zur See: 1. Weil sie an den Männern ihrer Umgebung
sehen, daß sie es zum Steuermann und Schiffer bringen können, wenn sie
fleißig sind und sich gut führen, wenigstens war es früher so. Jetzt sind die
Eltern mit dem Niedergang der kleinen Fahrt genau vertraut und wissen, daß
es damit schlecht genug bestellt ist; deshalb halten sie ihre Söhne vielfach von
der Seefahrt zurück. 2. Weil die armen Eltern den heranwachsenden Sohn
vom Tische los werden müssen; besonders auf den neu angebauten Strecken
der ostfriesischen Fehlte ist dies der Fall. Schon mit zwölf Jahren muß der
Sohn während des Sommers von der Schule dispensiert werden, damit er
durch seiner Hände Arbeit die Familie mit ernähren hilft, und dient auf dem
Torfschiffe des Vaters, eines Onkels oder Nachbarn. Diese Jungen erstreben
ein eignes Torfschiff oder gehn nach ihrer Entlassung aus der Schule zur
See und sind zufrieden, wenn sie die Stellung eines Schiffers auf kleiner
Fahrt, des Steuerers, Bootsmanns und dergleichen auf großen Schiffen er¬
reichen können.

Aus dem Inlande gehn die Jungen aus den verschiedensten Gründen
zur See, wohl die meisten, weil die Schulbank zu hart und das Lernen zu
schwer ist, andre werden dazu durch das Lesen von Seeromanen veranlaßt,
noch andre durch Familienverhältnisse, und ein durchaus nicht kleiner Teil
wird von den Eltern oder Vormündern zur See wie in eine Besserungsanstalt
geschickt. Die strenge Disziplin und das einfache Leben an Bord zwischen
Himmel und Wasser hat schon manchen Thunichtgut zu einem ordentlichen
Menschen gemacht. Da der Verdienst auf deutscheu Schiffen im allgemeinen
gering ist, lassen einsichtige, nicht geradezu arme Eltern ihre Söhne meistens
nicht zur See gehn, zunächst weil sie am Lande mehr als auf See verdienen
können, und dann, weil das Leben auf See unendlich viel gefährlicher und
mühseliger als das auf dem Lande ist. Ist es doch statistisch nachgewiesen, daß
der Prozentsatz der Unglücksfälle auf See und der Todesfülle an gelbem Fieber,
Cholera, Pest, Malaria und Dysenterie vier- bis fünfmal so groß ist als
bei den Bergleuten, die am Lande das gefährlichste Gewerbe treiben.

In der Jugend hat die Seefahrt einen gewaltigen Reiz, kommt der heran¬
gewachsene Mann aber zum Nachdenken und zum Vergleichen seines Standes


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[0354] hat des augenblicklichen Gewinns wegen geradezu Raubbau getrieben. Das Angebot von Schiffsjungen ist seit vielen Jahren immer größer als die Nach¬ frage gewesen, ja es sind den Heuerbaasen, die sich mit der Unterbringung der Jungen befaßten, dafür ungeheure Vergütungen gezahlt worden. Für das Kadettenschnlschiff des Norddeutschen Lloyds sollen sich nach der einen Lesart über 400, nach der andern gar an die 800 gemeldet haben, von denen 45 an¬ genommen worden sind. Ich kann hier gern zugeben, daß sich die größere Hälfte von ihnen überhaupt nicht gemeldet Hütte, wenn sie, gestützt auf den Geldbeutel des Vaters, nicht die Hoffnung hätten, es in der verheißenen bequemen Weise zum Schiffsoffizier zu bringen. Aus der deutschen Küstenbevölkcrung gehn die Jungen hauptsächlich aus zwei Beweggründen zur See: 1. Weil sie an den Männern ihrer Umgebung sehen, daß sie es zum Steuermann und Schiffer bringen können, wenn sie fleißig sind und sich gut führen, wenigstens war es früher so. Jetzt sind die Eltern mit dem Niedergang der kleinen Fahrt genau vertraut und wissen, daß es damit schlecht genug bestellt ist; deshalb halten sie ihre Söhne vielfach von der Seefahrt zurück. 2. Weil die armen Eltern den heranwachsenden Sohn vom Tische los werden müssen; besonders auf den neu angebauten Strecken der ostfriesischen Fehlte ist dies der Fall. Schon mit zwölf Jahren muß der Sohn während des Sommers von der Schule dispensiert werden, damit er durch seiner Hände Arbeit die Familie mit ernähren hilft, und dient auf dem Torfschiffe des Vaters, eines Onkels oder Nachbarn. Diese Jungen erstreben ein eignes Torfschiff oder gehn nach ihrer Entlassung aus der Schule zur See und sind zufrieden, wenn sie die Stellung eines Schiffers auf kleiner Fahrt, des Steuerers, Bootsmanns und dergleichen auf großen Schiffen er¬ reichen können. Aus dem Inlande gehn die Jungen aus den verschiedensten Gründen zur See, wohl die meisten, weil die Schulbank zu hart und das Lernen zu schwer ist, andre werden dazu durch das Lesen von Seeromanen veranlaßt, noch andre durch Familienverhältnisse, und ein durchaus nicht kleiner Teil wird von den Eltern oder Vormündern zur See wie in eine Besserungsanstalt geschickt. Die strenge Disziplin und das einfache Leben an Bord zwischen Himmel und Wasser hat schon manchen Thunichtgut zu einem ordentlichen Menschen gemacht. Da der Verdienst auf deutscheu Schiffen im allgemeinen gering ist, lassen einsichtige, nicht geradezu arme Eltern ihre Söhne meistens nicht zur See gehn, zunächst weil sie am Lande mehr als auf See verdienen können, und dann, weil das Leben auf See unendlich viel gefährlicher und mühseliger als das auf dem Lande ist. Ist es doch statistisch nachgewiesen, daß der Prozentsatz der Unglücksfälle auf See und der Todesfülle an gelbem Fieber, Cholera, Pest, Malaria und Dysenterie vier- bis fünfmal so groß ist als bei den Bergleuten, die am Lande das gefährlichste Gewerbe treiben. In der Jugend hat die Seefahrt einen gewaltigen Reiz, kommt der heran¬ gewachsene Mann aber zum Nachdenken und zum Vergleichen seines Standes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/354>, abgerufen am 26.06.2024.