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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Lernjahre eines Theologen

nur Worte der Verdammnis oder -- Mas noch beleidigender ist -- des Mit¬
leids. Es fehlt ihr vollkommen die Anerkennung des männlichen Ideals der
Arbeit im Denken und Schaffen*); das Vorwärtsstreben des Mannes, sein
Kampf, sich durchzusetzen und bleibende Kulturwerte zu schaffen, wird als etwas
angesehen, um das die Kirche sich nicht zu kümmern habe. Die Gedanken der
Demut, des Duldens, der Unterwürfigkeit sind in so einseitiger Weise betont
worden, daß das Christentum vielen achtenswerter Männern als eine feige,
weichliche Religion erschienen ist, aus der man sich in den Heldensinn echten
Germanentums oder in die klassischen Knnstideale zu retten habe.

Diese Kämpfe um den Glauben, die bei jungen Männern schon früh zu
beginnen pflegen und in immer wechselnden Gestalten ausgefochten werden,
waren durch das unehrliche Verschweigen des Gymnasiums in mir aufgeschoben
worden. Vielleicht ist es ein seltner Fall, wenn ein junger Mann die Uni¬
versität bezieht, ohne je an der kindlich-naiven Wunderwelt der Bibel- und
Kirchenlehre Zweifel gehabt zu haben. Wenn die Schule sich das Ziel gestellt
hatte, ihre Schüler in kindlicher Unwissenheit über die wichtigsten und drückendsten
Fragen zu erhalten -- bei mir hatte sie es erreicht. Da die Schule ihre
Pflicht versäumt hatte, geistigen Schwimmunterricht zu erteilen, so versank ich
bald in dem Meer einer ziemlich oberflächlichen Weltanschauung, die mich doch
nicht befriedigen konnte. Einen Führer hatte ich nicht. Selbst die bedeutendsten
theologischen Dozenten reden nach ihren eignen Erklärungen meist nur für
solche, die schon im allgemeinen überzeugt sind. Sogar eine bedeutende mo¬
derne Dogmcitik erklärt ausdrücklich, es liege "jenseit ihrer Aufgabe, das Recht
der christlich-religiösen Grundanschauung selbst erst zu prüfen. Sie nimmt
ihren Standpunkt in, nicht außer oder über dem christlichen Glauben." Mögen
solche Erklärungen gläubig klingen -- den Zweifelnden stoßen sie direkt zurück.
Er sieht sich vor andre Thüren gewiesen, wenn die christlichen Dogmatiker ihn
unbarmherzig fortweisen.

Freilich das schwerste Ringen blieb mir erspart. Die Forderungen des
Sittlichen in ihrer absoluten Bedeutung sind mir nie zweifelhaft geworden.
So hatte ich doch hier einen festen Grund, von dem aus es mir gelingen
konnte, ein neues Gebäude aufzurichten. Nur aus der modernen Litteratur
kenne ich solche Menschen, die in der geflissentlicher Loslösung von dem Gesetz
des Guten ihre geistige Befreiung zu erleben glauben und den Durchgang durch
die Sünde für förderlich zur Geistesfreiheit erachten. Immerhin waren die
geistigen Kämpfe, die ich durchzumachen hatte, schon schwer genug. Am meisten
förderlich zum Aufbau einer Weltanschauung, die das bewährte Alte mit dem
guten Neuen zu verbinden wußte, war mir ein Dozent, der unter der Ungunst
der Zeiten besonders schwer zu leiden hatte. Natürlich war er als radikal



Vgl. auch Lagarde, Deutsche Schriften, Seite 235: "Es ist höchst charakteristisch, daß
die ausdrückliche Männlichkeit in der Kirche niemals zur Geltung gekommen ist"? "weil das
eigentliche Gebiet des Mannes, die Arbeit in der Welt gegen die Welt, von der Kirche nicht be¬
griffen und darum auch nicht gewürdigt wurde."
Lernjahre eines Theologen

nur Worte der Verdammnis oder — Mas noch beleidigender ist — des Mit¬
leids. Es fehlt ihr vollkommen die Anerkennung des männlichen Ideals der
Arbeit im Denken und Schaffen*); das Vorwärtsstreben des Mannes, sein
Kampf, sich durchzusetzen und bleibende Kulturwerte zu schaffen, wird als etwas
angesehen, um das die Kirche sich nicht zu kümmern habe. Die Gedanken der
Demut, des Duldens, der Unterwürfigkeit sind in so einseitiger Weise betont
worden, daß das Christentum vielen achtenswerter Männern als eine feige,
weichliche Religion erschienen ist, aus der man sich in den Heldensinn echten
Germanentums oder in die klassischen Knnstideale zu retten habe.

Diese Kämpfe um den Glauben, die bei jungen Männern schon früh zu
beginnen pflegen und in immer wechselnden Gestalten ausgefochten werden,
waren durch das unehrliche Verschweigen des Gymnasiums in mir aufgeschoben
worden. Vielleicht ist es ein seltner Fall, wenn ein junger Mann die Uni¬
versität bezieht, ohne je an der kindlich-naiven Wunderwelt der Bibel- und
Kirchenlehre Zweifel gehabt zu haben. Wenn die Schule sich das Ziel gestellt
hatte, ihre Schüler in kindlicher Unwissenheit über die wichtigsten und drückendsten
Fragen zu erhalten — bei mir hatte sie es erreicht. Da die Schule ihre
Pflicht versäumt hatte, geistigen Schwimmunterricht zu erteilen, so versank ich
bald in dem Meer einer ziemlich oberflächlichen Weltanschauung, die mich doch
nicht befriedigen konnte. Einen Führer hatte ich nicht. Selbst die bedeutendsten
theologischen Dozenten reden nach ihren eignen Erklärungen meist nur für
solche, die schon im allgemeinen überzeugt sind. Sogar eine bedeutende mo¬
derne Dogmcitik erklärt ausdrücklich, es liege „jenseit ihrer Aufgabe, das Recht
der christlich-religiösen Grundanschauung selbst erst zu prüfen. Sie nimmt
ihren Standpunkt in, nicht außer oder über dem christlichen Glauben." Mögen
solche Erklärungen gläubig klingen — den Zweifelnden stoßen sie direkt zurück.
Er sieht sich vor andre Thüren gewiesen, wenn die christlichen Dogmatiker ihn
unbarmherzig fortweisen.

Freilich das schwerste Ringen blieb mir erspart. Die Forderungen des
Sittlichen in ihrer absoluten Bedeutung sind mir nie zweifelhaft geworden.
So hatte ich doch hier einen festen Grund, von dem aus es mir gelingen
konnte, ein neues Gebäude aufzurichten. Nur aus der modernen Litteratur
kenne ich solche Menschen, die in der geflissentlicher Loslösung von dem Gesetz
des Guten ihre geistige Befreiung zu erleben glauben und den Durchgang durch
die Sünde für förderlich zur Geistesfreiheit erachten. Immerhin waren die
geistigen Kämpfe, die ich durchzumachen hatte, schon schwer genug. Am meisten
förderlich zum Aufbau einer Weltanschauung, die das bewährte Alte mit dem
guten Neuen zu verbinden wußte, war mir ein Dozent, der unter der Ungunst
der Zeiten besonders schwer zu leiden hatte. Natürlich war er als radikal



Vgl. auch Lagarde, Deutsche Schriften, Seite 235: „Es ist höchst charakteristisch, daß
die ausdrückliche Männlichkeit in der Kirche niemals zur Geltung gekommen ist"? „weil das
eigentliche Gebiet des Mannes, die Arbeit in der Welt gegen die Welt, von der Kirche nicht be¬
griffen und darum auch nicht gewürdigt wurde."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/299>, abgerufen am 28.06.2024.