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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

dienen auch für westeuropäische Verhältnisse und zeigt, welche segensreiche
Verbindung das aristokratische Prinzip mit der liberalen Gesinnung ein¬
gehn kann.

Die Ritterschaften sind heute in ihrem besten Streben vielfach gehemmt.
Der livländische Landtag beschloß schon im Jahre 1803, zugleich mit der Auf¬
hebung der Leibeigenschaft eine energische Organisation des Volksschülwcseus
in seine Hand zu nehmen. Als die Russifizierung zu Anfang der siebziger
Jahre einsetzte, fand sie in den drei Provinzen eine vortreffliche, von den
Ritterschaften geleitete und zum größten Teil von ihnen bezahlte Volksschule
und gute Lehrerseminare vor. Die Ritterschaften wurden seitdem auf diesem
Felde wie auf so vielen andern beiseite geschoben. Wenn hier Staatspolitik
die provinziell-ständische Arbeit gestört hat, wenn hier wie anderwärts, wie
nur zu oft auch in deutschen Landen, die selbstzufriedne Hand des Beamten¬
tums die ständisch-provinzielle Thätigkeit lähmt, so ist das oft die Schuld
eines übermächtigen oder unverständigen Kanzleimechnnismns. Oft aber trägt
auch der Staat die Schuld.

Die Not hat den Adel und den Großgrundbesitz in Ostelbien und andern
Teilen Deutschlands in der letzten Zeit dazu getrieben, dem Bauern zur Ver¬
teidigung gemeinsamer Interessen die Hand zu reichen. Aber man dürfte sich
nicht wundern, wenn der Agrarier oder der Bund der Landwirte nicht überall
das volle Vertrauen des Bauern in die Führung des Großbesitzes diesen Be¬
strebungen entgegenbrächte. Die Erfahrung dürfte keine sehr eindringliche Lehr¬
meisterin für den Bauern von heute sein, da der Bauer von gestern nicht gar
viel zu erzählen wußte von einer Sorge des üblichen Standes um das Wohl
des bäuerlichen Standes, von einer Verteidigung bäuerlicher Interessen durch
den Adel auch dort, wo bäuerliche und adliche Interessen verschiedne Wege
gingen. Der Trieb des Eigennutzes drüugt heute deu Großbesitz zum Bauern.
Ein recht verstandner Eigennutz aber dürfte den bäuerlichen Stand nach seiner
Loslösung vom Adel nicht zu der vollen Trennung vom Adel forttreiben lassen.
Hätte sich der ostelbische Adel als Vertreter nicht nur eigner, sondern allge¬
meiner Interessen des Volkes gefühlt und sich demgemäß seine Stellung ge¬
schaffen, so wäre sein Gewicht im Lande heute wahrscheinlich größer, als es ist,
und vielleicht seine Leutenot geringer. Wie die Dinge heute liegen, würde
jede Agrarreform, die aus eine Stärkung des Bauernstandes ausginge, sofern
sie dem Großbesitz nicht Gewalt anthun will, gar bald auf die Sandbank der
"Landenge" laufen, die von manchen sogenannten Volkswirten so hoch ge¬
schützt wird, weil sie den Arbeiter vom Land in die Stadt treibt. Indessen
wäre es auch heute noch nicht zu spät, zu erwägen, ob es nicht geboten wäre,
der Verstärkung der Landenge dadurch vorzubeugen, daß man der weiter" Auf-
sangung des bäuerlichen Bodens durch den Großbesitz einen gesetzlichen Riegel
vorschöbe, und daß man die wucherische Zerstücklung von Bauernhöfen ver¬
hinderte.

Solche Fesselung des bäuerliche" Landes wäre natürlich nicht nach dem


Latifundien und Bauerngut

dienen auch für westeuropäische Verhältnisse und zeigt, welche segensreiche
Verbindung das aristokratische Prinzip mit der liberalen Gesinnung ein¬
gehn kann.

Die Ritterschaften sind heute in ihrem besten Streben vielfach gehemmt.
Der livländische Landtag beschloß schon im Jahre 1803, zugleich mit der Auf¬
hebung der Leibeigenschaft eine energische Organisation des Volksschülwcseus
in seine Hand zu nehmen. Als die Russifizierung zu Anfang der siebziger
Jahre einsetzte, fand sie in den drei Provinzen eine vortreffliche, von den
Ritterschaften geleitete und zum größten Teil von ihnen bezahlte Volksschule
und gute Lehrerseminare vor. Die Ritterschaften wurden seitdem auf diesem
Felde wie auf so vielen andern beiseite geschoben. Wenn hier Staatspolitik
die provinziell-ständische Arbeit gestört hat, wenn hier wie anderwärts, wie
nur zu oft auch in deutschen Landen, die selbstzufriedne Hand des Beamten¬
tums die ständisch-provinzielle Thätigkeit lähmt, so ist das oft die Schuld
eines übermächtigen oder unverständigen Kanzleimechnnismns. Oft aber trägt
auch der Staat die Schuld.

Die Not hat den Adel und den Großgrundbesitz in Ostelbien und andern
Teilen Deutschlands in der letzten Zeit dazu getrieben, dem Bauern zur Ver¬
teidigung gemeinsamer Interessen die Hand zu reichen. Aber man dürfte sich
nicht wundern, wenn der Agrarier oder der Bund der Landwirte nicht überall
das volle Vertrauen des Bauern in die Führung des Großbesitzes diesen Be¬
strebungen entgegenbrächte. Die Erfahrung dürfte keine sehr eindringliche Lehr¬
meisterin für den Bauern von heute sein, da der Bauer von gestern nicht gar
viel zu erzählen wußte von einer Sorge des üblichen Standes um das Wohl
des bäuerlichen Standes, von einer Verteidigung bäuerlicher Interessen durch
den Adel auch dort, wo bäuerliche und adliche Interessen verschiedne Wege
gingen. Der Trieb des Eigennutzes drüugt heute deu Großbesitz zum Bauern.
Ein recht verstandner Eigennutz aber dürfte den bäuerlichen Stand nach seiner
Loslösung vom Adel nicht zu der vollen Trennung vom Adel forttreiben lassen.
Hätte sich der ostelbische Adel als Vertreter nicht nur eigner, sondern allge¬
meiner Interessen des Volkes gefühlt und sich demgemäß seine Stellung ge¬
schaffen, so wäre sein Gewicht im Lande heute wahrscheinlich größer, als es ist,
und vielleicht seine Leutenot geringer. Wie die Dinge heute liegen, würde
jede Agrarreform, die aus eine Stärkung des Bauernstandes ausginge, sofern
sie dem Großbesitz nicht Gewalt anthun will, gar bald auf die Sandbank der
„Landenge" laufen, die von manchen sogenannten Volkswirten so hoch ge¬
schützt wird, weil sie den Arbeiter vom Land in die Stadt treibt. Indessen
wäre es auch heute noch nicht zu spät, zu erwägen, ob es nicht geboten wäre,
der Verstärkung der Landenge dadurch vorzubeugen, daß man der weiter» Auf-
sangung des bäuerlichen Bodens durch den Großbesitz einen gesetzlichen Riegel
vorschöbe, und daß man die wucherische Zerstücklung von Bauernhöfen ver¬
hinderte.

Solche Fesselung des bäuerliche» Landes wäre natürlich nicht nach dem


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[0297] Latifundien und Bauerngut dienen auch für westeuropäische Verhältnisse und zeigt, welche segensreiche Verbindung das aristokratische Prinzip mit der liberalen Gesinnung ein¬ gehn kann. Die Ritterschaften sind heute in ihrem besten Streben vielfach gehemmt. Der livländische Landtag beschloß schon im Jahre 1803, zugleich mit der Auf¬ hebung der Leibeigenschaft eine energische Organisation des Volksschülwcseus in seine Hand zu nehmen. Als die Russifizierung zu Anfang der siebziger Jahre einsetzte, fand sie in den drei Provinzen eine vortreffliche, von den Ritterschaften geleitete und zum größten Teil von ihnen bezahlte Volksschule und gute Lehrerseminare vor. Die Ritterschaften wurden seitdem auf diesem Felde wie auf so vielen andern beiseite geschoben. Wenn hier Staatspolitik die provinziell-ständische Arbeit gestört hat, wenn hier wie anderwärts, wie nur zu oft auch in deutschen Landen, die selbstzufriedne Hand des Beamten¬ tums die ständisch-provinzielle Thätigkeit lähmt, so ist das oft die Schuld eines übermächtigen oder unverständigen Kanzleimechnnismns. Oft aber trägt auch der Staat die Schuld. Die Not hat den Adel und den Großgrundbesitz in Ostelbien und andern Teilen Deutschlands in der letzten Zeit dazu getrieben, dem Bauern zur Ver¬ teidigung gemeinsamer Interessen die Hand zu reichen. Aber man dürfte sich nicht wundern, wenn der Agrarier oder der Bund der Landwirte nicht überall das volle Vertrauen des Bauern in die Führung des Großbesitzes diesen Be¬ strebungen entgegenbrächte. Die Erfahrung dürfte keine sehr eindringliche Lehr¬ meisterin für den Bauern von heute sein, da der Bauer von gestern nicht gar viel zu erzählen wußte von einer Sorge des üblichen Standes um das Wohl des bäuerlichen Standes, von einer Verteidigung bäuerlicher Interessen durch den Adel auch dort, wo bäuerliche und adliche Interessen verschiedne Wege gingen. Der Trieb des Eigennutzes drüugt heute deu Großbesitz zum Bauern. Ein recht verstandner Eigennutz aber dürfte den bäuerlichen Stand nach seiner Loslösung vom Adel nicht zu der vollen Trennung vom Adel forttreiben lassen. Hätte sich der ostelbische Adel als Vertreter nicht nur eigner, sondern allge¬ meiner Interessen des Volkes gefühlt und sich demgemäß seine Stellung ge¬ schaffen, so wäre sein Gewicht im Lande heute wahrscheinlich größer, als es ist, und vielleicht seine Leutenot geringer. Wie die Dinge heute liegen, würde jede Agrarreform, die aus eine Stärkung des Bauernstandes ausginge, sofern sie dem Großbesitz nicht Gewalt anthun will, gar bald auf die Sandbank der „Landenge" laufen, die von manchen sogenannten Volkswirten so hoch ge¬ schützt wird, weil sie den Arbeiter vom Land in die Stadt treibt. Indessen wäre es auch heute noch nicht zu spät, zu erwägen, ob es nicht geboten wäre, der Verstärkung der Landenge dadurch vorzubeugen, daß man der weiter» Auf- sangung des bäuerlichen Bodens durch den Großbesitz einen gesetzlichen Riegel vorschöbe, und daß man die wucherische Zerstücklung von Bauernhöfen ver¬ hinderte. Solche Fesselung des bäuerliche» Landes wäre natürlich nicht nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/297>, abgerufen am 28.06.2024.