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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Ucmzlerwechsel

Töne gegen Graf Vülow als Reichskanzler anschlagen, als sie gegen den
Staatssekretär des Auswärtigen Grafen Bülow für angebracht hielt. Schon
daß die noch jüngst in den "Bismarckblättern" versuchten Ausstreuungen
über "Differenzen" zwischen dem Kaiser und dein Auswärtigen Amt so eklatant
Lügen gestraft worden sind, wird manchen unsrer verrannten Junker zur Be¬
sinnung bringen.

Graf Bttlow hat Gelegenheit gehabt, sich in der äußern Politik zu be¬
währen, auf einem Gebiet, auf das sich auch der bisherige Reichskanzler aus
naheliegenden Gründen in der Hauptsache beschränken mußte. Der neue Reichs¬
kanzler wird darin voraussichtlich zu eiuer wesentlich andern Stellung ver¬
anlaßt werden. Einmal ist die auswärtige Politik Deutschlands jetzt schon
durch das Vorwiegen wirtschaftspolitischer Rücksichten genötigt, viel engere
Beziehung mit dem "Innern" zu Pflegen als früher. Die bevorstehende Neu¬
regelung unsrer Zoll- und Handelspolitik spricht darüber deutlich. Dann ist
aber Graf Bülow jetzt dein Kaiser auch für das richtige Arbeiten des Niesen-
appnrats, zu dein sich das Reichsarnt des Innern ausgewachsen hat, un¬
mittelbar verantwortlich, und er ist außerdem auch preußischer Ministerprüsideiit
geworden. Als solcher hatte sein Vorgänger besonders wenig einzugreifen,
viel weniger durchzngreifcn Veranlassung genommen. Hier wird sich Graf
Vülow unter allen Umständen um das "System," das herrschen soll, nicht
nur zu bekümmern, sondern es auch zu bestimmen haben, soweit er es vor dem
Kaiser zu vertreten hat. Es kann nicht geleugnet werden, und es war auch ganz
natürlich, daß im letzten Jahrzehnt verschiedne Verwaltungsstellen dem Reichs¬
kanzler und dem preußischen Ministerpräsidenten mehr ans der Hand gekommen
worden sind, als gut ist. Die Folgen davon machen sich an allen Ecken und
Enden bemerkbar. Es ist eine sehr große Aufgabe, die in dieser Beziehung dem
Grafen erwächst. Viele Widerstände werden überwunden werden müssen, denn
so wie bisher geht es nicht weiter. Aber dazu scheint der neue "Chef" ja
gerade der rechte Mann zu sein: Lug,vit-ör in uioäo, tortitsr in rs.

Die gewaltigen Aufgaben und Wandlungen, die das Reich in dem be¬
gonnenen Jahrzehnt wird lösen und durchmachen müssen, stehn uns allen vor
Augen. Je weniger das politische Pnrteileben und die Parlamente uns Ver¬
trauen einflößen können, um so höher muß es veranschlagt werden, daß wir
volles Vertrauen zum Kaiser und zu deu verbündeten Regierungen haben
dürfen. Es wird eine der schönsten und um das Vaterland verdienstlichsten
Aufgaben des neuen Kanzlers sein, im deutschen Volk das Vertrauen zu der
kaiserlichen Politik, wie sie es verdient und braucht, um dem Reich eine herr¬
liche Zukunft zu sichern, überall zu wecken und zu praktischer Bethätigung zu
erziehn. Dann wird er anch die Parteien und die Parlamente wieder zu ge¬
sunder Wirksamkeit erzogen haben.




Der Ucmzlerwechsel

Töne gegen Graf Vülow als Reichskanzler anschlagen, als sie gegen den
Staatssekretär des Auswärtigen Grafen Bülow für angebracht hielt. Schon
daß die noch jüngst in den „Bismarckblättern" versuchten Ausstreuungen
über „Differenzen" zwischen dem Kaiser und dein Auswärtigen Amt so eklatant
Lügen gestraft worden sind, wird manchen unsrer verrannten Junker zur Be¬
sinnung bringen.

Graf Bttlow hat Gelegenheit gehabt, sich in der äußern Politik zu be¬
währen, auf einem Gebiet, auf das sich auch der bisherige Reichskanzler aus
naheliegenden Gründen in der Hauptsache beschränken mußte. Der neue Reichs¬
kanzler wird darin voraussichtlich zu eiuer wesentlich andern Stellung ver¬
anlaßt werden. Einmal ist die auswärtige Politik Deutschlands jetzt schon
durch das Vorwiegen wirtschaftspolitischer Rücksichten genötigt, viel engere
Beziehung mit dem „Innern" zu Pflegen als früher. Die bevorstehende Neu¬
regelung unsrer Zoll- und Handelspolitik spricht darüber deutlich. Dann ist
aber Graf Bülow jetzt dein Kaiser auch für das richtige Arbeiten des Niesen-
appnrats, zu dein sich das Reichsarnt des Innern ausgewachsen hat, un¬
mittelbar verantwortlich, und er ist außerdem auch preußischer Ministerprüsideiit
geworden. Als solcher hatte sein Vorgänger besonders wenig einzugreifen,
viel weniger durchzngreifcn Veranlassung genommen. Hier wird sich Graf
Vülow unter allen Umständen um das „System," das herrschen soll, nicht
nur zu bekümmern, sondern es auch zu bestimmen haben, soweit er es vor dem
Kaiser zu vertreten hat. Es kann nicht geleugnet werden, und es war auch ganz
natürlich, daß im letzten Jahrzehnt verschiedne Verwaltungsstellen dem Reichs¬
kanzler und dem preußischen Ministerpräsidenten mehr ans der Hand gekommen
worden sind, als gut ist. Die Folgen davon machen sich an allen Ecken und
Enden bemerkbar. Es ist eine sehr große Aufgabe, die in dieser Beziehung dem
Grafen erwächst. Viele Widerstände werden überwunden werden müssen, denn
so wie bisher geht es nicht weiter. Aber dazu scheint der neue „Chef" ja
gerade der rechte Mann zu sein: Lug,vit-ör in uioäo, tortitsr in rs.

Die gewaltigen Aufgaben und Wandlungen, die das Reich in dem be¬
gonnenen Jahrzehnt wird lösen und durchmachen müssen, stehn uns allen vor
Augen. Je weniger das politische Pnrteileben und die Parlamente uns Ver¬
trauen einflößen können, um so höher muß es veranschlagt werden, daß wir
volles Vertrauen zum Kaiser und zu deu verbündeten Regierungen haben
dürfen. Es wird eine der schönsten und um das Vaterland verdienstlichsten
Aufgaben des neuen Kanzlers sein, im deutschen Volk das Vertrauen zu der
kaiserlichen Politik, wie sie es verdient und braucht, um dem Reich eine herr¬
liche Zukunft zu sichern, überall zu wecken und zu praktischer Bethätigung zu
erziehn. Dann wird er anch die Parteien und die Parlamente wieder zu ge¬
sunder Wirksamkeit erzogen haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/177>, abgerufen am 26.06.2024.