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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Konfnsiusse

essen! Die reichen Chinesen, die alte Eier, Insektenlarven, Haifischflossen und
einen gewissen Wurm, der im Zuckerrohr lebt, genießen, sie könnten uns
Grauen einflößen, wenn sich uicht über den Geschmack streiten ließe, und wenn
es nicht auch auf unsern Tafeln Schncpfendreck und einen Käse gäbe, der mit
verschimmelten Brot gemischt ist, den bekannten Roquefort.

Ein andermal besteht die angebliche Verkehrtheit nur in einer Abänderung
der Form; unzählige chinesische Sitten und Marotten, von den Franzosen
kurzweg als LIriuoissriss bezeichnet, sind auch von unserm Standpunkte nichts
weniger als konträr, sie laufen vielmehr unsern Gewohnheiten parallel. Länd¬
lich, sittlich. Es ist zum Beispiel münniglich bekannt, daß die Chinesen keine
Gabeln haben. Sie helfen sich mit zwei Stäbchen von Holz oder Elfenbein;
mit diesen Eßstäbchen fischen sie das Fleisch aus der Suppe, das Vogelnest aus
dem Ragout geschickt heraus. Läuft das nicht auf eins hinaus? Ob man
den Fisch sticht oder fängt, ist am Ende einerlei, wenn man ihn uur bekommt.
In China und auch in Japan läßt man sich nicht Feder und Tinte, sondern
Pinsel und Tusche geben; der Chinese schreibt nicht, er malt, wie denn auch
die chinesische Schrift keine Buchstabenschrift, sondern eine Bilderschrift ist.
Kaiserliche Anordnungen und Bemerkungen werden mit roter Tusche gemalt, wie
einst in Europa die Kaiser und die Könige mit rotem Wachse siegelten; darum
ist der Purpnrpinsel in China Symbol des kaiserlichen Willens. Auch das
thut gar nichts zur Sache; ganz abgesehen davon, daß anch die Buchstaben¬
schrift auf eine uralte Malerei zurückgeht: der Pinsel ist doch nur ein andres
Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, und zwar ein ähnliches Mittel, ein
Gerät, das der Feder uur zufällig vorgezogen wird, und das wir am Ende
ebensogut brauchen könnten, ja bei der Miniaturmalerei auch wirklich ange¬
wandt haben. Eben die chinesische Schrift aber bietet eine gute Gelegenheit,
sich ans eine wirkliche Umkehrung der Landesart und Sitte zu besinnen. Die
Chinesen schreiben nicht von links nach rechts, sondern, wie man auf jeder
Theekiste sieht, von oben nach unten, das heißt, uicht in Zeilen, sondern in
Säulen, und diese Säulen reihen sich von rechts nach links aneinander. Es
hängt damit zusammen, daß in den chinesischen Büchern und Zeitungen mit
der letzten Seite begonnen wird: die Leitartikel stehn hinten, die Reklamen
und die Inserate vor". Übrigens ist das schou die Anordnung der antiken
Bücher, der sogenannten Volumina gewesen, die man aufrollte, um zu lesen,
und bei denen demgemäß das Titelblatt am Ende sein mußte. Eine Um¬
kehrung liegt vor; ob sie aber anch als eine Verkehrtheit aufzufassen ist,
darüber läßt sich streiten. Es hat ebensoviel für sich von rechts nach links,
wie von links nach rechts zu schreiben; die Gewohnheit thut alles. Eine ost-
asiatische Eigentttinlichkeit scheint mir sogar zur Nnchachtuug empfehlenswert
zu sein. Man pflegt dort zu Lande bei der Angabe des Datums und der
Adresse eines Briefs mit dem Allgemeinen zu beginnen und mit dein Besondern
aufzuhören, also (ins Deutsche übersetzt) zu schreiben: 1900 August 24 und
etwa so zu adressieren: Deutschland, Sachsen, Leipzig, Gohlis, Äußere Hallische


Die Konfnsiusse

essen! Die reichen Chinesen, die alte Eier, Insektenlarven, Haifischflossen und
einen gewissen Wurm, der im Zuckerrohr lebt, genießen, sie könnten uns
Grauen einflößen, wenn sich uicht über den Geschmack streiten ließe, und wenn
es nicht auch auf unsern Tafeln Schncpfendreck und einen Käse gäbe, der mit
verschimmelten Brot gemischt ist, den bekannten Roquefort.

Ein andermal besteht die angebliche Verkehrtheit nur in einer Abänderung
der Form; unzählige chinesische Sitten und Marotten, von den Franzosen
kurzweg als LIriuoissriss bezeichnet, sind auch von unserm Standpunkte nichts
weniger als konträr, sie laufen vielmehr unsern Gewohnheiten parallel. Länd¬
lich, sittlich. Es ist zum Beispiel münniglich bekannt, daß die Chinesen keine
Gabeln haben. Sie helfen sich mit zwei Stäbchen von Holz oder Elfenbein;
mit diesen Eßstäbchen fischen sie das Fleisch aus der Suppe, das Vogelnest aus
dem Ragout geschickt heraus. Läuft das nicht auf eins hinaus? Ob man
den Fisch sticht oder fängt, ist am Ende einerlei, wenn man ihn uur bekommt.
In China und auch in Japan läßt man sich nicht Feder und Tinte, sondern
Pinsel und Tusche geben; der Chinese schreibt nicht, er malt, wie denn auch
die chinesische Schrift keine Buchstabenschrift, sondern eine Bilderschrift ist.
Kaiserliche Anordnungen und Bemerkungen werden mit roter Tusche gemalt, wie
einst in Europa die Kaiser und die Könige mit rotem Wachse siegelten; darum
ist der Purpnrpinsel in China Symbol des kaiserlichen Willens. Auch das
thut gar nichts zur Sache; ganz abgesehen davon, daß anch die Buchstaben¬
schrift auf eine uralte Malerei zurückgeht: der Pinsel ist doch nur ein andres
Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, und zwar ein ähnliches Mittel, ein
Gerät, das der Feder uur zufällig vorgezogen wird, und das wir am Ende
ebensogut brauchen könnten, ja bei der Miniaturmalerei auch wirklich ange¬
wandt haben. Eben die chinesische Schrift aber bietet eine gute Gelegenheit,
sich ans eine wirkliche Umkehrung der Landesart und Sitte zu besinnen. Die
Chinesen schreiben nicht von links nach rechts, sondern, wie man auf jeder
Theekiste sieht, von oben nach unten, das heißt, uicht in Zeilen, sondern in
Säulen, und diese Säulen reihen sich von rechts nach links aneinander. Es
hängt damit zusammen, daß in den chinesischen Büchern und Zeitungen mit
der letzten Seite begonnen wird: die Leitartikel stehn hinten, die Reklamen
und die Inserate vor». Übrigens ist das schou die Anordnung der antiken
Bücher, der sogenannten Volumina gewesen, die man aufrollte, um zu lesen,
und bei denen demgemäß das Titelblatt am Ende sein mußte. Eine Um¬
kehrung liegt vor; ob sie aber anch als eine Verkehrtheit aufzufassen ist,
darüber läßt sich streiten. Es hat ebensoviel für sich von rechts nach links,
wie von links nach rechts zu schreiben; die Gewohnheit thut alles. Eine ost-
asiatische Eigentttinlichkeit scheint mir sogar zur Nnchachtuug empfehlenswert
zu sein. Man pflegt dort zu Lande bei der Angabe des Datums und der
Adresse eines Briefs mit dem Allgemeinen zu beginnen und mit dein Besondern
aufzuhören, also (ins Deutsche übersetzt) zu schreiben: 1900 August 24 und
etwa so zu adressieren: Deutschland, Sachsen, Leipzig, Gohlis, Äußere Hallische


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[0148] Die Konfnsiusse essen! Die reichen Chinesen, die alte Eier, Insektenlarven, Haifischflossen und einen gewissen Wurm, der im Zuckerrohr lebt, genießen, sie könnten uns Grauen einflößen, wenn sich uicht über den Geschmack streiten ließe, und wenn es nicht auch auf unsern Tafeln Schncpfendreck und einen Käse gäbe, der mit verschimmelten Brot gemischt ist, den bekannten Roquefort. Ein andermal besteht die angebliche Verkehrtheit nur in einer Abänderung der Form; unzählige chinesische Sitten und Marotten, von den Franzosen kurzweg als LIriuoissriss bezeichnet, sind auch von unserm Standpunkte nichts weniger als konträr, sie laufen vielmehr unsern Gewohnheiten parallel. Länd¬ lich, sittlich. Es ist zum Beispiel münniglich bekannt, daß die Chinesen keine Gabeln haben. Sie helfen sich mit zwei Stäbchen von Holz oder Elfenbein; mit diesen Eßstäbchen fischen sie das Fleisch aus der Suppe, das Vogelnest aus dem Ragout geschickt heraus. Läuft das nicht auf eins hinaus? Ob man den Fisch sticht oder fängt, ist am Ende einerlei, wenn man ihn uur bekommt. In China und auch in Japan läßt man sich nicht Feder und Tinte, sondern Pinsel und Tusche geben; der Chinese schreibt nicht, er malt, wie denn auch die chinesische Schrift keine Buchstabenschrift, sondern eine Bilderschrift ist. Kaiserliche Anordnungen und Bemerkungen werden mit roter Tusche gemalt, wie einst in Europa die Kaiser und die Könige mit rotem Wachse siegelten; darum ist der Purpnrpinsel in China Symbol des kaiserlichen Willens. Auch das thut gar nichts zur Sache; ganz abgesehen davon, daß anch die Buchstaben¬ schrift auf eine uralte Malerei zurückgeht: der Pinsel ist doch nur ein andres Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, und zwar ein ähnliches Mittel, ein Gerät, das der Feder uur zufällig vorgezogen wird, und das wir am Ende ebensogut brauchen könnten, ja bei der Miniaturmalerei auch wirklich ange¬ wandt haben. Eben die chinesische Schrift aber bietet eine gute Gelegenheit, sich ans eine wirkliche Umkehrung der Landesart und Sitte zu besinnen. Die Chinesen schreiben nicht von links nach rechts, sondern, wie man auf jeder Theekiste sieht, von oben nach unten, das heißt, uicht in Zeilen, sondern in Säulen, und diese Säulen reihen sich von rechts nach links aneinander. Es hängt damit zusammen, daß in den chinesischen Büchern und Zeitungen mit der letzten Seite begonnen wird: die Leitartikel stehn hinten, die Reklamen und die Inserate vor». Übrigens ist das schou die Anordnung der antiken Bücher, der sogenannten Volumina gewesen, die man aufrollte, um zu lesen, und bei denen demgemäß das Titelblatt am Ende sein mußte. Eine Um¬ kehrung liegt vor; ob sie aber anch als eine Verkehrtheit aufzufassen ist, darüber läßt sich streiten. Es hat ebensoviel für sich von rechts nach links, wie von links nach rechts zu schreiben; die Gewohnheit thut alles. Eine ost- asiatische Eigentttinlichkeit scheint mir sogar zur Nnchachtuug empfehlenswert zu sein. Man pflegt dort zu Lande bei der Angabe des Datums und der Adresse eines Briefs mit dem Allgemeinen zu beginnen und mit dein Besondern aufzuhören, also (ins Deutsche übersetzt) zu schreiben: 1900 August 24 und etwa so zu adressieren: Deutschland, Sachsen, Leipzig, Gohlis, Äußere Hallische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/148>, abgerufen am 26.06.2024.