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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Ronfnsiusse

die Frauen den Männern aufheben, wenn sie etwas fallen lassen, den Männern
die Hand küssen usw. Indessen die Japaner sind doch gegenwärtig viel zu
gebildet, viel zu europäisch, als daß man dergleichen kleine Absonderlichkeiten,
die ihnen noch anhängen, groß bemerkte. Die Chinesen stehn uns heute noch
so fremd gegenüber wie vor Jahrtausenden. Sie haben, seitdem mau über¬
haupt etwas von ihnen weiß, nicht einen Schritt vorwärts gethan, nichts an¬
genommen und nichts abgelegt. Sie waren von jeher Sonderlinge und sind
die Sonderlinge der Welt geblieben.

Es ist freilich nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alles chinesisch,
was dem oberflächlichen Beobachter gerade so erscheint. Gar vieles wird als
Marotte und Sonderbarkeit verschrieen, bloß weil es dem Reisenden in China
zu Gesicht kommt, nachdem er daheim nicht darauf geachtet hat. Wie mancher
wird die Notiz, daß in China mit Steinen gewaschen werde, und daß darum
die Schlafanzüge des Grafen Waldersee aus Flanell, nicht aus Seide gearbeitet
worden seien, weil Seide bei dem Verfahren nicht lange halten würde, mit
Kopfschütteln gelesen haben! Mit Steinen waschen! Nun, in vielen Gegenden
Frankreichs und Italiens wird mit Steinen gewaschen. Die Frauen stehn am
Ufer eines Flusses und reiben die Wäsche auf Steinplatten, spülen sie und
schlagen sie mit dem Waschbleuel. Oder aber man liest: in China werde die
Verunreinigung der Plätze nicht wie bei uns verboten, sondern es würde im
Gegenteil durch allsgestellte Gefäße dazu eingeladen. Nun ist es allerdings
richtig, daß der Chinese, der wenig Viehzucht treibt, nicht bloß die tierischen,
sondern auch die menschlichen Exkremente braucht, um deu Boden damit zu
düngen. In Peking wie auf den Landstraßen trifft man eigne Düngersammler,
die so dahinter her sind wie unsre Naturforscher und Lumpensammler, den
Landleuten zuführen, was sie können, und deren Gewerbe nicht verachtet ist.
Aber die unbegrenzte Hochachtung dieser Stoffe charakterisiert doch den euro¬
päischen Landwirt ebensogut wie den Chineseu, sie findet sich in allen acker¬
bautreibenden Ländern. Ich habe einen alten preußischen General gekannt,
der allmorgentlich mit einer kleinen Schippe ans seinem Gut herumging lind
jeden Pferdeapfel aufhob. Und was die obige Einladung betrifft, so ergeht
sie in Südfrankreich häufig an die Touristen, oft in spaßhafter Form (loi on
est Kiön. Einige Schritte weiter: loi on est, inisux).

Wer hätte noch nichts von dem chinesischen Kindermord gehört? Die
neugebornen chinesischen Mädchen werden ertränkt oder ausgesetzt, in den Klein-
kinderturm geworfen wie in den Rachen eines Moloch, in den untern und
mittlern Ständen soll das geradezu Regel sein. In Wirklichkeit wird die
Maßregel mir ergriffen, wenn die Eltern zu arm sind, als daß sie eine größere
Anzahl Kinder ernähren könnten; ebensogut könnte man sagen, daß in Europa
die Tötung der unehelichen Kinder durch die Mutter Regel sei. Die Armut,
die Armut drückt in Europa, sie drückt in Ostasien. Und was die Ratten,
die Hunde und Katzen, die Schlangen anbelangt, zu denen im Proletariat
gegriffen wird, weiß man denn, was bei uns die Armen im Ostend alles


Gronzboten IV 1900 ^
Die Ronfnsiusse

die Frauen den Männern aufheben, wenn sie etwas fallen lassen, den Männern
die Hand küssen usw. Indessen die Japaner sind doch gegenwärtig viel zu
gebildet, viel zu europäisch, als daß man dergleichen kleine Absonderlichkeiten,
die ihnen noch anhängen, groß bemerkte. Die Chinesen stehn uns heute noch
so fremd gegenüber wie vor Jahrtausenden. Sie haben, seitdem mau über¬
haupt etwas von ihnen weiß, nicht einen Schritt vorwärts gethan, nichts an¬
genommen und nichts abgelegt. Sie waren von jeher Sonderlinge und sind
die Sonderlinge der Welt geblieben.

Es ist freilich nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alles chinesisch,
was dem oberflächlichen Beobachter gerade so erscheint. Gar vieles wird als
Marotte und Sonderbarkeit verschrieen, bloß weil es dem Reisenden in China
zu Gesicht kommt, nachdem er daheim nicht darauf geachtet hat. Wie mancher
wird die Notiz, daß in China mit Steinen gewaschen werde, und daß darum
die Schlafanzüge des Grafen Waldersee aus Flanell, nicht aus Seide gearbeitet
worden seien, weil Seide bei dem Verfahren nicht lange halten würde, mit
Kopfschütteln gelesen haben! Mit Steinen waschen! Nun, in vielen Gegenden
Frankreichs und Italiens wird mit Steinen gewaschen. Die Frauen stehn am
Ufer eines Flusses und reiben die Wäsche auf Steinplatten, spülen sie und
schlagen sie mit dem Waschbleuel. Oder aber man liest: in China werde die
Verunreinigung der Plätze nicht wie bei uns verboten, sondern es würde im
Gegenteil durch allsgestellte Gefäße dazu eingeladen. Nun ist es allerdings
richtig, daß der Chinese, der wenig Viehzucht treibt, nicht bloß die tierischen,
sondern auch die menschlichen Exkremente braucht, um deu Boden damit zu
düngen. In Peking wie auf den Landstraßen trifft man eigne Düngersammler,
die so dahinter her sind wie unsre Naturforscher und Lumpensammler, den
Landleuten zuführen, was sie können, und deren Gewerbe nicht verachtet ist.
Aber die unbegrenzte Hochachtung dieser Stoffe charakterisiert doch den euro¬
päischen Landwirt ebensogut wie den Chineseu, sie findet sich in allen acker¬
bautreibenden Ländern. Ich habe einen alten preußischen General gekannt,
der allmorgentlich mit einer kleinen Schippe ans seinem Gut herumging lind
jeden Pferdeapfel aufhob. Und was die obige Einladung betrifft, so ergeht
sie in Südfrankreich häufig an die Touristen, oft in spaßhafter Form (loi on
est Kiön. Einige Schritte weiter: loi on est, inisux).

Wer hätte noch nichts von dem chinesischen Kindermord gehört? Die
neugebornen chinesischen Mädchen werden ertränkt oder ausgesetzt, in den Klein-
kinderturm geworfen wie in den Rachen eines Moloch, in den untern und
mittlern Ständen soll das geradezu Regel sein. In Wirklichkeit wird die
Maßregel mir ergriffen, wenn die Eltern zu arm sind, als daß sie eine größere
Anzahl Kinder ernähren könnten; ebensogut könnte man sagen, daß in Europa
die Tötung der unehelichen Kinder durch die Mutter Regel sei. Die Armut,
die Armut drückt in Europa, sie drückt in Ostasien. Und was die Ratten,
die Hunde und Katzen, die Schlangen anbelangt, zu denen im Proletariat
gegriffen wird, weiß man denn, was bei uns die Armen im Ostend alles


Gronzboten IV 1900 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/147>, abgerufen am 26.06.2024.