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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Politik und Selbstverwaltung

und energisch darauf hin, der großen Masse der handarbeitenden, ungebildeten
Einwohnerschaft die bestehende Staatsordnung, und das ist die monarchische,
verächtlich und verhaßt zu machen. statistisch nachzuweisen, wie weit die
großstädtische und vor allem die reichshauptstädtische Selbstverwaltung schon
von diesen Parteianschauungen beherrscht ist, ist kaum möglich; daß aber der
demokratische, antimonarchische Geist schon sehr weit fortgeschritten ist und dem
Ganzen anfängt das Gepräge auszudrücken, kann wohl nicht mehr bestritten
werden.

Schon durch diese Abschwenkung der "bürgerlichen" Demokratie in das
extreme Lager wird die Vorsicht der Städteordnung, bei den Wahlen in die
Stadtverordnetenversammlung den wohlhabendern und grundbesitzenden Ele¬
menten ein Voraus zu sichern, immer wirkungsloser. Die radikale, ausge¬
sprochen antiinonarchische Demokratie kann jederzeit reiche Leute und Haus¬
besitzer als Kandidaten aufstellen. Dazu kommt nun der große Zulauf der
Juden zur Sozialdemokratie und dem bürgerlichen Radikalismus. Die Bru¬
talität der antisemitischen Hetzereien hat in dieser Beziehung ganz die Früchte
getragen, die der feinfühlige, gebildete Politiker schon vor zwanzig Jahren
hätte voraussehen sollen. Das reiche jüdische Strebertum hat sich kaltes 6s
miöux in hellen Haufen auf die großstädtische Selbstverwaltung geworfen, hier
gelangt es zu Amt und Würde und Herrschaft durch die radikale Demokratie
und die Sozialdemokratie, und nur durch sie glaubt es sich in dieser Herrlich¬
keit erhalten zu können. Das Bild, das wir hier geben, krankt an Lücken
und Unklarheiten in Menge. Es mußte aber in kurzen Zügen gemalt werden,
und es kam darauf an, die Schatten vor Augen zu führen. Lichte Punkte,
erfreuliche Ausnahmen sind in Wirklichkeit zahlreich vorhanden. Persönliche
Integrität, Geschäftstüchtigkeit und Fleiß springen in erfreulicher Häufigkeit,
fast als Regel in die Augen. Es handelt sich für uns immer nur um die
Politik in der Selbstverwaltung, und die ist -- die Leute mögen von Herzen
noch so gut und im Geschäft noch so ehrlich und tüchtig sein -- verfahren,
entartet, mit dem Staatszweck und dem Gemeinwohl unverträglich im höchsten
Grade. Eine -- um wieder mit Schmollers gelehrten Worten, die milder klingen,
zu reden -- von "oberflächlichen demokratischen Vorstellungen über Voltssouvern-
nitüt und ungeschichtlichen Monnrchenhaß" durchdrungne großstädtische Selbstver¬
waltung darf nicht aufkommen. Die verseuchende Wirkung müßte zum Er¬
schrecken stark und schnell werden. Wenn erst die "Väter der Großstädte" mit
ihrem weitverzweigten Einfluß und Ansehen der Masse des Volks als die Vor¬
kämpfer gegen die Autorität des Staats und für den Monarchenhaß erscheinen,
dann ist es vorbei mit dem "Staatszweck" der Selbstverwaltung, dann dient
die Selbstverwaltung nicht mehr den Interessen des Staats, sondern dem Ruin
des Staats, dem Umsturz der Staatsordnung.

Aber was kann dagegen gethan werden? Es ist ein eignes Ding mit
dem Kampf gegen perverse politische Strömungen, die das Staatswesen ge¬
fährden. Ausnahmegesetze mit der Fiktion, daß sich gewisse Parteien außer-


Politik und Selbstverwaltung

und energisch darauf hin, der großen Masse der handarbeitenden, ungebildeten
Einwohnerschaft die bestehende Staatsordnung, und das ist die monarchische,
verächtlich und verhaßt zu machen. statistisch nachzuweisen, wie weit die
großstädtische und vor allem die reichshauptstädtische Selbstverwaltung schon
von diesen Parteianschauungen beherrscht ist, ist kaum möglich; daß aber der
demokratische, antimonarchische Geist schon sehr weit fortgeschritten ist und dem
Ganzen anfängt das Gepräge auszudrücken, kann wohl nicht mehr bestritten
werden.

Schon durch diese Abschwenkung der „bürgerlichen" Demokratie in das
extreme Lager wird die Vorsicht der Städteordnung, bei den Wahlen in die
Stadtverordnetenversammlung den wohlhabendern und grundbesitzenden Ele¬
menten ein Voraus zu sichern, immer wirkungsloser. Die radikale, ausge¬
sprochen antiinonarchische Demokratie kann jederzeit reiche Leute und Haus¬
besitzer als Kandidaten aufstellen. Dazu kommt nun der große Zulauf der
Juden zur Sozialdemokratie und dem bürgerlichen Radikalismus. Die Bru¬
talität der antisemitischen Hetzereien hat in dieser Beziehung ganz die Früchte
getragen, die der feinfühlige, gebildete Politiker schon vor zwanzig Jahren
hätte voraussehen sollen. Das reiche jüdische Strebertum hat sich kaltes 6s
miöux in hellen Haufen auf die großstädtische Selbstverwaltung geworfen, hier
gelangt es zu Amt und Würde und Herrschaft durch die radikale Demokratie
und die Sozialdemokratie, und nur durch sie glaubt es sich in dieser Herrlich¬
keit erhalten zu können. Das Bild, das wir hier geben, krankt an Lücken
und Unklarheiten in Menge. Es mußte aber in kurzen Zügen gemalt werden,
und es kam darauf an, die Schatten vor Augen zu führen. Lichte Punkte,
erfreuliche Ausnahmen sind in Wirklichkeit zahlreich vorhanden. Persönliche
Integrität, Geschäftstüchtigkeit und Fleiß springen in erfreulicher Häufigkeit,
fast als Regel in die Augen. Es handelt sich für uns immer nur um die
Politik in der Selbstverwaltung, und die ist — die Leute mögen von Herzen
noch so gut und im Geschäft noch so ehrlich und tüchtig sein — verfahren,
entartet, mit dem Staatszweck und dem Gemeinwohl unverträglich im höchsten
Grade. Eine — um wieder mit Schmollers gelehrten Worten, die milder klingen,
zu reden — von „oberflächlichen demokratischen Vorstellungen über Voltssouvern-
nitüt und ungeschichtlichen Monnrchenhaß" durchdrungne großstädtische Selbstver¬
waltung darf nicht aufkommen. Die verseuchende Wirkung müßte zum Er¬
schrecken stark und schnell werden. Wenn erst die „Väter der Großstädte" mit
ihrem weitverzweigten Einfluß und Ansehen der Masse des Volks als die Vor¬
kämpfer gegen die Autorität des Staats und für den Monarchenhaß erscheinen,
dann ist es vorbei mit dem „Staatszweck" der Selbstverwaltung, dann dient
die Selbstverwaltung nicht mehr den Interessen des Staats, sondern dem Ruin
des Staats, dem Umsturz der Staatsordnung.

Aber was kann dagegen gethan werden? Es ist ein eignes Ding mit
dem Kampf gegen perverse politische Strömungen, die das Staatswesen ge¬
fährden. Ausnahmegesetze mit der Fiktion, daß sich gewisse Parteien außer-


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[0134] Politik und Selbstverwaltung und energisch darauf hin, der großen Masse der handarbeitenden, ungebildeten Einwohnerschaft die bestehende Staatsordnung, und das ist die monarchische, verächtlich und verhaßt zu machen. statistisch nachzuweisen, wie weit die großstädtische und vor allem die reichshauptstädtische Selbstverwaltung schon von diesen Parteianschauungen beherrscht ist, ist kaum möglich; daß aber der demokratische, antimonarchische Geist schon sehr weit fortgeschritten ist und dem Ganzen anfängt das Gepräge auszudrücken, kann wohl nicht mehr bestritten werden. Schon durch diese Abschwenkung der „bürgerlichen" Demokratie in das extreme Lager wird die Vorsicht der Städteordnung, bei den Wahlen in die Stadtverordnetenversammlung den wohlhabendern und grundbesitzenden Ele¬ menten ein Voraus zu sichern, immer wirkungsloser. Die radikale, ausge¬ sprochen antiinonarchische Demokratie kann jederzeit reiche Leute und Haus¬ besitzer als Kandidaten aufstellen. Dazu kommt nun der große Zulauf der Juden zur Sozialdemokratie und dem bürgerlichen Radikalismus. Die Bru¬ talität der antisemitischen Hetzereien hat in dieser Beziehung ganz die Früchte getragen, die der feinfühlige, gebildete Politiker schon vor zwanzig Jahren hätte voraussehen sollen. Das reiche jüdische Strebertum hat sich kaltes 6s miöux in hellen Haufen auf die großstädtische Selbstverwaltung geworfen, hier gelangt es zu Amt und Würde und Herrschaft durch die radikale Demokratie und die Sozialdemokratie, und nur durch sie glaubt es sich in dieser Herrlich¬ keit erhalten zu können. Das Bild, das wir hier geben, krankt an Lücken und Unklarheiten in Menge. Es mußte aber in kurzen Zügen gemalt werden, und es kam darauf an, die Schatten vor Augen zu führen. Lichte Punkte, erfreuliche Ausnahmen sind in Wirklichkeit zahlreich vorhanden. Persönliche Integrität, Geschäftstüchtigkeit und Fleiß springen in erfreulicher Häufigkeit, fast als Regel in die Augen. Es handelt sich für uns immer nur um die Politik in der Selbstverwaltung, und die ist — die Leute mögen von Herzen noch so gut und im Geschäft noch so ehrlich und tüchtig sein — verfahren, entartet, mit dem Staatszweck und dem Gemeinwohl unverträglich im höchsten Grade. Eine — um wieder mit Schmollers gelehrten Worten, die milder klingen, zu reden — von „oberflächlichen demokratischen Vorstellungen über Voltssouvern- nitüt und ungeschichtlichen Monnrchenhaß" durchdrungne großstädtische Selbstver¬ waltung darf nicht aufkommen. Die verseuchende Wirkung müßte zum Er¬ schrecken stark und schnell werden. Wenn erst die „Väter der Großstädte" mit ihrem weitverzweigten Einfluß und Ansehen der Masse des Volks als die Vor¬ kämpfer gegen die Autorität des Staats und für den Monarchenhaß erscheinen, dann ist es vorbei mit dem „Staatszweck" der Selbstverwaltung, dann dient die Selbstverwaltung nicht mehr den Interessen des Staats, sondern dem Ruin des Staats, dem Umsturz der Staatsordnung. Aber was kann dagegen gethan werden? Es ist ein eignes Ding mit dem Kampf gegen perverse politische Strömungen, die das Staatswesen ge¬ fährden. Ausnahmegesetze mit der Fiktion, daß sich gewisse Parteien außer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/134>, abgerufen am 26.06.2024.