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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Gymnasiasten. Das kann es einfach nicht. Schon aus natürlichen Gründen
nicht. Es kann vielleicht mehr erreichen, die weibliche Abiturientin kann als
Weib gereifter die Maturitätsprüfung bestehn, als der Mulus in seiner Art.
Immer aber wird dieser andre Voraussetzungen und andre Eigenschaften zur
Universität mitbringen als jene. Und nun bedenke man einmal die grausame
Härte, die darin liegt, daß ein Mädchen vom neunten oder mindestens doch
vom zwölften Jahre an in einen Bildungsgang hineingezwungen wird, der
physisch und seelisch ganz andre Anforderungen an das Kind stellt, als die
seiner weiblichen Natur entsprechenden. Schon in unsern Gymnasien ist nicht
alles so, wie es sein sollte und könnte -- von der unglücklichen Halbheit
während der Experimente des zur Zeit noch immer schwebenden Umbildungs¬
prozesses gar nicht zu reden --, und da sollen Anstalten geschaffen werden, die
Lehrplan, Lehrmethode und Lehrziele der Gymnasien in der Hauptsache kopieren,
um Mädchen für die Reifeprüfung zu drillen. Denn darauf allein kommt es
schließlich doch hinaus. Ein von Haus aus verfehlter und ungesunder Ge¬
danke. Eine Menge von Mädchen würde das schon Physisch nicht aushalten.
Und wenn sie sich mit ihrem weiblichen Ehrgeiz wirklich energisch durch¬
kämpften, so würden die traurigen Folgen nachkommen und sich sowohl während
der Universitätszeit wie im spätern Leben geltend machen. Hätte man es mit
Mädchen zu thun, die sich schon mit einiger Klarheit ein Bild ihres spätern
Lebens zu machen vermöchten, so ließe sich über die Sache allenfalls noch
reden. Aber das ist ja bei dem Mädchengymnasium ausgeschlossen und läßt
sich mit der Form des Gymnasiums absolut nicht vereinigen. Im aller-
günstigsten Falle muß das Mädchengymnasium alle Kraft daran setzen, seine
Schülerinnen mit dem gleichen Maße von Kenntnissen, von Wissensstoff aus¬
zurüsten, wie das Gymnasium seine Schüler. Dabei aber kommt unter allen
Umständen das Beste zu kurz, was ein Mädchen, mag es heiraten oder
studieren, für sein späteres Leben braucht. Wir haben ja ein oder zwei
Mädchengymnasicn in Deutschland (Karlsruhe und Weimar), die mit Ernst
und bestem Willen die Aufgabe zu lösen versuchen. Schon jetzt leiden sie,
namentlich in den obern Klassen, unter Unzuträglichkeiten, die der Natur der
Sache nach gar nicht ausbleiben können. Man möge sie nur gewähren lassen.
Es wird sich in der Praxis sehr bald mit erschreckender Deutlichkeit heraus¬
stellen, daß sich die Quadratur des Kreises nicht konstruieren läßt. Es wird
immer ein irrationales Verhältnis bleiben.

(Schluß folgt)




Gymnasiasten. Das kann es einfach nicht. Schon aus natürlichen Gründen
nicht. Es kann vielleicht mehr erreichen, die weibliche Abiturientin kann als
Weib gereifter die Maturitätsprüfung bestehn, als der Mulus in seiner Art.
Immer aber wird dieser andre Voraussetzungen und andre Eigenschaften zur
Universität mitbringen als jene. Und nun bedenke man einmal die grausame
Härte, die darin liegt, daß ein Mädchen vom neunten oder mindestens doch
vom zwölften Jahre an in einen Bildungsgang hineingezwungen wird, der
physisch und seelisch ganz andre Anforderungen an das Kind stellt, als die
seiner weiblichen Natur entsprechenden. Schon in unsern Gymnasien ist nicht
alles so, wie es sein sollte und könnte — von der unglücklichen Halbheit
während der Experimente des zur Zeit noch immer schwebenden Umbildungs¬
prozesses gar nicht zu reden —, und da sollen Anstalten geschaffen werden, die
Lehrplan, Lehrmethode und Lehrziele der Gymnasien in der Hauptsache kopieren,
um Mädchen für die Reifeprüfung zu drillen. Denn darauf allein kommt es
schließlich doch hinaus. Ein von Haus aus verfehlter und ungesunder Ge¬
danke. Eine Menge von Mädchen würde das schon Physisch nicht aushalten.
Und wenn sie sich mit ihrem weiblichen Ehrgeiz wirklich energisch durch¬
kämpften, so würden die traurigen Folgen nachkommen und sich sowohl während
der Universitätszeit wie im spätern Leben geltend machen. Hätte man es mit
Mädchen zu thun, die sich schon mit einiger Klarheit ein Bild ihres spätern
Lebens zu machen vermöchten, so ließe sich über die Sache allenfalls noch
reden. Aber das ist ja bei dem Mädchengymnasium ausgeschlossen und läßt
sich mit der Form des Gymnasiums absolut nicht vereinigen. Im aller-
günstigsten Falle muß das Mädchengymnasium alle Kraft daran setzen, seine
Schülerinnen mit dem gleichen Maße von Kenntnissen, von Wissensstoff aus¬
zurüsten, wie das Gymnasium seine Schüler. Dabei aber kommt unter allen
Umständen das Beste zu kurz, was ein Mädchen, mag es heiraten oder
studieren, für sein späteres Leben braucht. Wir haben ja ein oder zwei
Mädchengymnasicn in Deutschland (Karlsruhe und Weimar), die mit Ernst
und bestem Willen die Aufgabe zu lösen versuchen. Schon jetzt leiden sie,
namentlich in den obern Klassen, unter Unzuträglichkeiten, die der Natur der
Sache nach gar nicht ausbleiben können. Man möge sie nur gewähren lassen.
Es wird sich in der Praxis sehr bald mit erschreckender Deutlichkeit heraus¬
stellen, daß sich die Quadratur des Kreises nicht konstruieren läßt. Es wird
immer ein irrationales Verhältnis bleiben.

(Schluß folgt)




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[0084] Gymnasiasten. Das kann es einfach nicht. Schon aus natürlichen Gründen nicht. Es kann vielleicht mehr erreichen, die weibliche Abiturientin kann als Weib gereifter die Maturitätsprüfung bestehn, als der Mulus in seiner Art. Immer aber wird dieser andre Voraussetzungen und andre Eigenschaften zur Universität mitbringen als jene. Und nun bedenke man einmal die grausame Härte, die darin liegt, daß ein Mädchen vom neunten oder mindestens doch vom zwölften Jahre an in einen Bildungsgang hineingezwungen wird, der physisch und seelisch ganz andre Anforderungen an das Kind stellt, als die seiner weiblichen Natur entsprechenden. Schon in unsern Gymnasien ist nicht alles so, wie es sein sollte und könnte — von der unglücklichen Halbheit während der Experimente des zur Zeit noch immer schwebenden Umbildungs¬ prozesses gar nicht zu reden —, und da sollen Anstalten geschaffen werden, die Lehrplan, Lehrmethode und Lehrziele der Gymnasien in der Hauptsache kopieren, um Mädchen für die Reifeprüfung zu drillen. Denn darauf allein kommt es schließlich doch hinaus. Ein von Haus aus verfehlter und ungesunder Ge¬ danke. Eine Menge von Mädchen würde das schon Physisch nicht aushalten. Und wenn sie sich mit ihrem weiblichen Ehrgeiz wirklich energisch durch¬ kämpften, so würden die traurigen Folgen nachkommen und sich sowohl während der Universitätszeit wie im spätern Leben geltend machen. Hätte man es mit Mädchen zu thun, die sich schon mit einiger Klarheit ein Bild ihres spätern Lebens zu machen vermöchten, so ließe sich über die Sache allenfalls noch reden. Aber das ist ja bei dem Mädchengymnasium ausgeschlossen und läßt sich mit der Form des Gymnasiums absolut nicht vereinigen. Im aller- günstigsten Falle muß das Mädchengymnasium alle Kraft daran setzen, seine Schülerinnen mit dem gleichen Maße von Kenntnissen, von Wissensstoff aus¬ zurüsten, wie das Gymnasium seine Schüler. Dabei aber kommt unter allen Umständen das Beste zu kurz, was ein Mädchen, mag es heiraten oder studieren, für sein späteres Leben braucht. Wir haben ja ein oder zwei Mädchengymnasicn in Deutschland (Karlsruhe und Weimar), die mit Ernst und bestem Willen die Aufgabe zu lösen versuchen. Schon jetzt leiden sie, namentlich in den obern Klassen, unter Unzuträglichkeiten, die der Natur der Sache nach gar nicht ausbleiben können. Man möge sie nur gewähren lassen. Es wird sich in der Praxis sehr bald mit erschreckender Deutlichkeit heraus¬ stellen, daß sich die Quadratur des Kreises nicht konstruieren läßt. Es wird immer ein irrationales Verhältnis bleiben. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/84>, abgerufen am 01.07.2024.